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Serner, Walter

H.A.M. 0

Walter Serner (eigtl. Walter Eduard Seligmann)
Schriftsteller


Geb. 15.1. 1889 in Karlsbad (Böhmen)/ Österreich-Ungarn
Gest. Herbst 1942 (vermtl. KZ Auschwitz)


„Dr. Serner ist ein internationaler Hochstapler und Bordellbesitzer“ heißt es am 10. Mai 1925 im Prager Tagblatt. Der Verfasser heißt Paul Steegemann, Verleger in Hannover. Fünf Jahre zuvor hat er von diesem so heftig angegriffenen Schriftsteller begeistert eine der berühmtesten Schriften des Dadaimus veröffentlicht. Die Kenner sind spätestens seitdem gespalten, wenn sie über Walter Serner urteilen: Für die einen ist er ein „größenwahnsinniger Außenseiter“ – so Tristan Tzara, einer der Dada-Väter, der Serner früher emphatisch gefeiert hatte. Wer von den beiden wen beeinflusst hat, ist bis heute umstritten. Für die anderen ist Walter Serner einer der Hauptvertreter des Dadaimus: Mit seinem 1918, vor Tzara geschriebenen dadaistischen Manifest Letzte Lockerungen, manifest Dada, habe er „eine glänzende Analyse des Zeitalters des Nihilismus“ geschrieben, urteilt der Literaturwissenschaftler Jörg Drews.


Eines war er gewiss nicht: langweilig. In Zürich – wo der Ruhelose, der 1914 in die Schweiz gekommen war – hält er es mit Zwischenaufenthalten bis 1919 am längsten aus. Er schreibt für die Zeitschrift Mistral und gibt ab 1. Oktober 1915 die Monatsschrift für Literatur und Kunst >Sirius< heraus. Die Zürcher Freunde provoziert er am 9. April 1919 bei einer Dada-Performance mit einer Lesung aus der Letzten Lockerung, so dass sie ihn von der Bühne jagen.

Schon die Titel seiner Arbeiten machen neugierig: Zum blauen Affen, Das fette Fluchen, Hirngeschwür oder Der Pfiff um die Ecke. Seine Doktorarbeit schreibt er über das eigenartige Thema Die Haftung des Schenkers wegen Mängel im Rechte und wegen Mängel der verschenkten Sache. Den Narzisten aller Zeiten dürfte er ein Greuel sein. Unter dem Pseudonym seines Malerfreundes Christian Schad macht er sich über sich selbst lustig, etwa wenn er über die 33 Geschichten aus dem Blauen Affen urteilt:

„Alle dreiunddreißig sind kurz, witzig, fein, neu und gemein [locker]. Ihre Helden sind zarte Lumpen, überlegene Cocainisten, amüsante Tagediebe, geistreiche Zuhälter [Kokotten], trickschwangere Sadisten, graziöse Verbrecher. Jede dieser dreiunddreißig Geschichten ist wirklich hahnebüchen. Ihr Verfasser ist der einigermaßen bekannte, sogar etwas berüchtigte Doktor Serner aus Karlsbad in Böhmen.“


Ein Typ war er, unübersehbar: Mit hoher Stirn, dunklem Haar, tiefliegenden Augen. Raucher. Sein Abitur hat er erst im zweiten Anlauf gemacht – prompt gab er am 19. Juni 1909 in der Karlsbader Zeitung seines Vaters Berthold Seligmann allen nachfolgenden Schülern „Ratschläge für Maturanden“. Es war die erste Veröffentlichung des Walter Serner, der wenige Wochen zuvor zum katholischen Glauben konvertiert war und damit zugleich seinen jüdischen Familiennamen geändert hatte. Das half ihm ebensowenig wie der tschechoslowakische Pass, den er sich zuletzt in der Schweiz hatte verlängern lassen. Als die Nazis Prag besetzen, wurden Walter Serner und seine aus Berlin stammende Ehefrau Dorothea, geborene Herz, aus ihrer Wohnung in der V. Kolkovne 5 deportiert. Die beiden hatten 1938 geheiratet.


Noch am 11. Januar hatte er bei der zuständigen Polizeidirektion in Prag ein Leumundszeugnis „zwecks Auswanderung nach Shanghai“ beantragt. Der weitgereiste Serner, der noch bei einem Aufenthalt am 8. Oktober 1937 im Wiener Belvedere das spanische Barcelona als letzten Wohnort angab, wusste um die Besonderheit der chinesischen Hafenmetropole: Shanghai war zu jener Zeit die einzige offene Stadt der Welt, für die Flüchtlinge weder Pass noch Einreisevisum brauchten. Die Briten hatten der Stadt über dem Meer nach dem ersten Opiumkrieg 1842 internationale Konzessionen aufgezwungen – Rettung hundert Jahre später für mindestens 17.000 vor den Nazis geflohenen Juden.

Bereits im Januar 1931 hatten deutsche Ämter in vorauseilendem Gehorsam vor den Nazis und Hitlers endgültiger Machtergreifung zum großen Schlag gegen Schriftsteller wie Walter Serner ausgeholt: Seine Bücher waren schon von der konservativen Justiz der Weimarer Republik als Schund und Schmutzschriften verfolgt worden. Einige Titel konnten nur per Post vertrieben werden. Seine Erzählung Die Tigerin, die 1925 erschien und erst 1992 verfilmt wurde, erregte wegen ihrer „sexuellen Sprache“ Aufsehen. Nur durch ein Gutachten des Schriftstellers Alfred Döblin konnte sie dem Zugriff der Zensur entzogen werden.


Ruhelos pendelt Walter Serner zwischen Locarno, Genf, München, Zürich und Prag. „Konstant unterwegs“, schreibt er über diese Zeit. Seit 1928 tritt er öffentlich kaum noch in Erscheinung. Vielleicht um den Vorwürfen und den sich mehrenden antisemitischen Pöpeleien zu entfliehen? Anfang 1933 lehnt die zuständige Berliner Prüfstelle die Indizierung seiner Bücher noch ab. Doch bereits kurz vor Jahresende 1933 ordnet die Deutsche Zentralstelle zur Bekämpfung unzüchtiger Bilder, Schriften und Inserate die Beschlagnahme von zunächst vier Erzählbänden an. Im Oktober 1935 werden gar „sämtliche Schriften“ Serners auf die Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums der Reichsschrifttumskammer gesetzt.. Es ist auch davon auszugehen, dass seine Bücher am 10. Mai 1933 zu denen gehörten, die reichsweit von Schülern, Studenten und Lehrern „den Flammen übergeben“ wurden.


In einem lyrischen Verlagswerbetext eines Dr. Manfred Georg, geschrieben lange vor 1933, wurde der vormalige Dada-Schriftsteller als Krimi-Autor gefeiert:

„Die Namen EDGAR WALLACE auf der einen, FRANK HELLER und SVEN ELVESTAD auf der anderen Seite geben heute die Richtung an, in der es weiter geht. Zu ihnen gesellt sich ein Mann, der eine ganz einzigartige Stellung in der internationalen Kriminalliteratur einnimmt, und der leider noch lange nicht den Ruf hat, den er eigentlich verdient. Das ist WALTER SERNER, dessen spannende Bücher im Verlag von Paul Steegemann, Berlin, erschienen sind. Er rettet im gewissen Sinne den Ruf der Romantik der Unterwelt. Er destilliert aus der Wirklichkeit des modernen Verbrechers die Essenz, die ihn von neuem anziehend macht. Aus seinen Frauen und Männern wächst der deutschen Kriminalliteratur ein NEUER TYP zu. Walter Serner ist heute bald vierzig Jahre, aber die Welt weiß noch recht wenig von ihm, höchstens ein paar Legenden. Er ist ein Mann, immer unterwegs, immer mit scharfen Augen mitten im europäischen Verkehr, nicht leicht zu verblüffen, auf Du und Du mit den gefährlichsten Typen der Großstädte und ohne besonderen Beruf. Man hat ihm zwar angedichtet, daß er Besitzer verrufener Häuser sei oder auch weißrussischer Verschwörergehilfe, aber das ist Anekdote. SERNER ist lediglich ein Reisender durch die Unterwelt. Freilich kein Orpheus, sondern ein kesser Reporter, der um die seelischen Verflechtungen auch der mit allen Wassern gewaschensten Menschen weiß, der die abruptesten Episoden der Hochstaplerwelt, der Detektivabenteuer, der Spionage und der Kaschemmengeheimnisse mit einer in eisklare Ironie getauchten Feder notiert und in der zweischneidigsten Situation nicht die innere Balance verliert. Sein Roman ,,DIE TIGERIN“ ist das stärkste und konzentrierteste Gift der Wahrheit, das jemand aus der Atmosphäre des Pariser Montmartre destillieren konnte. Die andern Bücher: „Die tückische Straße“, „Der Pfiff um die Ecke“, „Zum blauen Affen“, „Der Elfte Finger“, das Gaunerstück „Posada“ oder „Die Letzte Lockerung“, das Brevier für Hochstapler, sind von einer bunten Gallenbitterkeit, die ihnen einen substanzstarken Gehalt gibt. Der TAG DES ERFOLGES wird auch für Walter Serner kommen, für diesen Schöpfer einer vorbildlichen, spannenden Unterhaltungslektüre.“


Als er um 1927/28 mit dem Schreiben aufhört, sagt Walter Serner: Dichtung ist und bleibt ein, wenn auch höherer, Schwindel. Ich lege Wert darauf, das zum erstenmal ausgesprochen zu haben. Menschen gestalten, heißt: sie fälschen.

Zeugen bekunden, dass der polyglotte Walter Serner in Theresienstadt Sprachunterricht gegeben hat. Aber schon wenige Tage nach der Einlieferung des Ehepaars am 10. August 1942 werden die Serners in einem Viehwaggon zusammen mit anderen Juden abtransportiert, vermutlich nach Auschwitz.


Autor:

Hajo Jahn (unter Verwendung der Recherchen von Thomas Milch, Initiator eines Serner-Archivs)


Literatur:

Walter Serner: Das erzählerische Werk in 3 Bänden, Goldmann Verlag, München 2000, ISBN 3442902592

Christian Schad: Relative Realitäten. Erinnerungen um Walter Serner. Mit einer Nachbemerkung von Bettina Schad, Maro Verlag, Augsburg 1999, ISBN 3875126610

Walter Serner: Die Tigerin. Eine absonderliche Liebesgeschichte Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Andreas Puff-Trojan, Residenz Verlag, Salzburg/Wien 1998, ISBN 3701711429


Links (deutsch):

http://www.perlentaucher.de/autoren/4813.html

http://www.jcvt.de/drwalterserner/biographie1/biographie.htm

http://www.lib.uiowa.edu/dada/serner.html

http://www.choosebooks.com/angebote/walter-serner.html

http://www.jcvt.de/drwalterserner/soc_sernerstartseite.htm

http://www.literaturhaus.at/buch/buch/rez/serner/bio.html

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=3281

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