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Stöcker, Helene

H.A.M. 0

Helene Stöcker
Philosophin, Publizistin, Pazifistin und Frauenrechtlerin

Geb. 13.11.1869 in Elberfeld (heute Wuppertal)
Gest. 23.02.1943 in New York/ USA


Helene Stöcker war so etwas wie die „Alice Schwarzer der Goldenen Zwanziger Jahre“ – sehr bekannt, heftig umstritten, ungemein standhaft. Sie engagierte sich als Frauenrechtlerin, Sexual- und Sozialreformerin und als Pazifistin.


Als 22-Jährige floh sie aus der Enge ihres Elberfelder Elternhauses nach Berlin und schloß sich dort der Frauenbewegung an. Sie besuchte ein Lehrerinnenseminar und machte ihr Abitur nach; obwohl zu dieser Zeit keineswegs klar war, daß sie dies auch zum Hochschulstudium berechtigen würde. Die Universitäten waren nämlich immer noch fest in Männerhand, Frauen zum Studium nicht zugelassen. Dennoch fanden sich einzelne Professoren, die bereit waren, auch Frauen in ihren Vorlesungen zu dulden, und so studierte Helene Stöcker von 1896-1899 Literaturgeschichte, Philosophie und Nationalökonomie in Berlin und wurde nach einigen weiteren Semestern in Bern 1901 zum Doktor promoviert. Über dieses herausragende Ereignis berichteten damals viele deutsche Zeitungen. Helene Stöcker eroberte sich als eine Intellektuelle des linken Flügels einen festen Platz in der Führungsriege der deutschen Frauenbewegung, gründete mehrere Vereine und war die Herausgeberin von Zeitschriften.


Ein besonderes Anliegen war ihr die Beseitigung der gesellschaftlichen Ächtung nicht verheirateter Mütter und unehelich geborener Kinder, unter dem Motto „Reform der sexuellen Ethik“. („Sexualität“ war ein Wort, das damals, 1903, erst Eingang in den deutschen Wortschatz fand.). Stöcker wollte die gesellschaftlichen Umstände verändern, durch welche z.B. Prostitution, Geschlechtskrankheiten, Doppelmoral, Entrechtung und Unterdrückung der Frau und erzwungene Enthaltsamkeit (durch das Beamtinnenzölibat oder den Unzuchts- und Kuppeleiparagraphen) möglich wurden. Ihr 1905 gegründeter Mutterschutzbund richtete Heime für Schwangere und ledige Mütter ein und baute Beratungsstellen auf.


Obwohl Helene Stöcker nie einer Partei oder einem Parlament angehörte, war ihre politische Wirksamkeit nicht unerheblich; vor allem durch ihre persönlichen Kontakte zu Politikern und ihr Engagement in nationalen und internationalen Friedensgesellschaften.

Vieles von dem, was Helene Stöcker politisch in Bewegung gebracht hatte, besonders auf dem Gebiet Eherecht (Gleichstellung unehelicher Kinder, Scheidung, Gleichberechti-gung von Mann und Frau) oder Sexualstrafrecht (z.B. §218 und §175), wurde durch die NS-Diktatur wieder zunichte gemacht und mußte nach dem Krieg langwierig wieder neu erkämpft werden. Schon in den 20er Jahren musste Stöcker erleben, wie etliche ihrer Freunde und Mitstreiter ermordet wurden und schon früh sah sie die Gefahr, welche von den Nationalsozialisten ausging:

„Die Herrschaft dieser Gesinnung im Staate würde die Auflösung alles dessen bedeuten, was in jahrhundertelanger Arbeit bisher an menschlicher Kultur, an Gerechtigkeit, an Güte, an Achtung auch vor dem politischen Gegner errungen worden ist. Wird diese Menschheit – die deutsche Menschheit zumal – durch dieses Tal des Grauens, des Todes wirklich hindurch müssen? Arme verblendete, verhetzte Menschheit!“ (Die Neue Generation 27, 1931).
Nach dem Reichstagsbrand flüchtete sie ins Exil, das sie über die Schweiz, England und Schweden bis nach Amerika führte. Ihre Schriften wurden verboten und gerieten in Vergessenheit, bis man sich in den 70er Jahren ihrer wieder zu erinnern begann.


Tabellarischer Lebenslauf:

13.11.1869: Geboren in Elberfeld, Schwanenstraße 5. Vater: Ludwig Stöcker, Posamentierer. Mutter: Hulda geb. Bergmann

30.12.1869: Taufe in der Reformierten Kirche in Elberfeld

1875-1877: Kleinkinderschule Neuenteich

1877-1887: Städtische höhere Töchterschule Zollstraße/ Auer Straße (Direktor R. Schornstein)

1887-1891: Haushaltshilfe im Elternhaus; Selbststudium (Nietzsche, von Suttner, Bebel).Erste Publikationen: Novelle Vera (zum Tode von Theodor Storm);Appell in der Lokalpresse, die Öffnung der Universitäten für Frauen zu befürworten.

1892-1893: Lehrerinnen-Seminar in Berlin. Programmatischer Artikel Die moderne Frau in der Freien Bühne.

1894-1896: Viktoria-Lyzeum und Helene-Lange-Schule (Gymnasialkurse)

Herbst 1896: Beginn des Universitätsstudiums per Sondergenehmigung (offiziell wurden Frauen erst 1908 zugelassen)

1896-1901: Studium der deutschen Literatur, Geschichte, Nationalökonomie und Philosophie in Berlin, Glasgow und Bern.

03.07.1902: Promotion zum Dr. phil. an der Universität Bern

ab 1902: Dozentin an der Lessing-Hochschule in Berlin

1905: Gründung des Bundes für Mutterschutz, Vorsitzende;Herausgabe der Zeitschrift Mutterschutz, ab 1908 unter dem Titel Die neue Generation; Rechtsanwalt Dr. Bruno Springer (gest. 1931) wird Helene Stöckers Lebensgefährte.

1933: Nach dem Reichstagsbrand Emigration (Schweiz, England, Schweden, USA). Ihre Schriften werden verboten und verbrannt, der Bund für Mutterschutz von NS-Frauen übernommen.

24.02.1943: Helene Stöcker stirbt in New York.


Seit 1892 war Helene Stöcker in verschiedenen Frauenvereinen tätig und schrieb regelmäßig Beiträge zu deren Zeitschriften, besonders zu Fragen der Emanziaption, der Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium und zum Frauenwahlrecht.

Eine Sammlung der wichtigsten Aufsätze erschien 1905 in Buchform.

In und mit dem Bund für Mutterschutz kämpfte sie durch eine Fülle von Artikeln, Flugschriften, Vorträgen und Aktionen gegen die Unterdrückung der Frau durch Doppelbelastung (Beruf und Mutterschaft), für Liberalisierung des Sexualstrafrechts, Abschaffung des § 218 und eine Neue Ethik.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges engagierte sie sich stark in der Friedensbewegung, gehörte den Vorständen verschiedener pazifistischer Gesellschaften, Verbände und Menschenrechtsorganisationen an und nahm an unzähligen Konferenzen, Kongressen und Kundgebungen in aller Welt teil.

1929, an ihrem 60. Geburtstag, wurde sie mit zahlreichen Ehrungen aus dem In- und Ausland überhäuft; die Festreden erschienen als Buch, und die Vossische Zeitung plädierte dafür, Helene Stöcker für den Friedensnobelpreis zu nominieren.

Viele der von ihr so vehement vertretenen Forderungen wurden erst in unseren Tagen rechtliche Wirklichkeit, andere bleiben nach wie vor unerfüllt.


Große Elberfelderin geehrt

Am 18.11.1994, fünf Tage nach ihrem 125. Geburtstag, wurde Helene Stöcker in Berlin mit einer Gedenktafel geehrt. Das Haus in der Münchowstr. 1, wo sie von 1912 bis zu ihrer Vertreibung 1933 gewohnt und gearbeitet hatte, liegt in der Nähe der S-Bahn-Station Nikolassee, im Südwesten Berlins zwischen Grunewald und Wannsee. In einer lebendigen Skizze charakterisierte der Zehlendorfer Bezirksbürgermeister den damaligen genius loci dieses „praktisch außerhalb Preußens“ gelegenen Fleckens als kulturell vielseitig, von Ideen der Freiheit und des Fortschritts geprägt. Die Historikerin Dr. Wickert von der Freien Universität würdigte Helene Stöckers Wirken in einer kurzen Ansprache und führte den versammelten Zuhörern vor Augen, wie Stöcker im Sommer 1914 vom Balkon dieser Wohnung aus die unablässig gen Westen rollenden Züge mit kriegsbegeisterten Freiwilligen beobachten konnte. Hatte ihr Interessenschwerpunkt vorher in der Reform des Frauen-, Familien- und Sexualstrafrechts gelegen, so engagierte sie sich von da an schwerpunktmäßig in der nationalen und internationalen Friedensarbeit. Nach Enthüllung der Tafel saßen Angehörige und Freunde der vor über 50 Jahren Verstorbenen noch beieinander, um sich über ihr persönliches Verhältnis zu Helene Stöcker und zur Aktualität ihres Denkens und Strebens auszutauschen.


Mit ihrem vorbildlichen Programm Berliner Gedenktafel erinnert die Stadt bereits seit Jahren an bedeutende Persönlichkeiten, die von den Nazis vertrieben oder umgebracht worden sind.


Seit dem 30. Mai 2014 erinnert vor dem Gebäude der Bergischen Volkshochschule an der Auer Schulstraße in Wuppertal-Elberfeld eine lebensgroße Bronze-Stele an die von den Nazis ins Exil getriebene Philosophin, Kriegsgegnerin, Sozialreformerin sowie Frauen- und Kinderrechtlerin. Der gemeinsame Entwurf der Wuppertaler Künstler Ulle Hees (1941-2012) und Frank Breidenbruch (geb. 1963) wurde von der Armin T. Wegner-Gesellschaft, zusammen mit der Initiative „Geschichte Gestalten“ und zahlreichen Einzelpersönlichkeiten als Denkmal realisiert (Quelle und weitere Infos unter: http://www.armin-t-wegner.de/).


Autor:

Johannes Abresch


Literatur:

Annegret Stopczyk-Pfundstein:
Philosophin der Liebe: Helene Stöcker. Die „Neue Ethik“ um 1900 in Deutschland und ihr philosophisches Umfeld bis heute
Books on Demand, Hamburg 2003
ISBN 3831142122

Gudrun Hamelmann: Helene Stöcker,
der ‚Bund für Mutterschutz‘ und ‚Die Neue Generation‘.
Haag Verlag, Frankfurt am Main, 1998
ISBN 389228945X

Johannes Abresch: Helene Stöcker in:
Rheinische Lebensbilder, Band 14 (1994), S. 191-213.

Christl Wickert: Helene Stöcker.
Frauenrechtlerin, Sexualreformerin und Pazifistin, Bonn 1991

Rolf von Bockel: Philosophin einer „neuen Ethik“:
Helene Stöcker (1869-1943), 1991, ISBN: 3928770470


Links (deutsch):

http://www.helene-stoecker-gesellschaft.de

http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/StoeckerHelene

http://dispatch.opac.ddb.de/DB=4.1/REL?PPN=118755455

http://de.wikipedia.org/wiki/Helene_St%C3%B6cker

http://www.information-philosophie.de/philosophie/philosophin.html

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=7040&ausgabe=200405

http://www.dradio.de/dlr/sendungen/kalender/335728

http://www.jungewelt.de/2004/11-12/025.php


International:

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