Jehuda Amichai (eigtl. Ludwig Pfeuffer)
Schriftsteller
Geb. 1924, Würzburg
Gest. 22.9.2000, Jerusalem/ Israel
Der Körper ist der Grund der Liebe*
Der Körper ist der Grund der Liebe.
Danach ist er die Burg, die sie bewahrt.
Danach ist er der Kerker der Liebe.
Doch stirbt der Körper, tritt die Liebe aus ihm heraus
frei und in großer Fülle,
wie ein Glücksautomat, der zersprungen ist,
und mit einem Mal spuckt er
ratternd alle Münzen
aller Glücksgenerationen
aus.
Kindheit in Würzburg
Jehuda Amichai wird 1924 in einer religiös orthodoxen Familie in Würzburg geboren. 1935 emigriert er mit seinen Eltern nach Palästina. Zunächst arbeitet er dort Lehrer, dann wird er Hoch-schullehrer für hebräische Literatur. Sein Werk umfaßt Gedich-te, Prosa, Schauspiele, Hörspiele und Kinderbücher.
Amichai gilt (nicht nur) in Israel längst als Klassiker der Moderne.
Vielfacher Preisträger
Neben vielen weiteren Preisen erhielt er 1981 den Kulturpreis der Stadt Würzburg und 1982 den Israelpreis, die wichtigste Literaturauszeichnung seines Landes. Schon 1978 wurde die englische Übersetzung seines Gedichtbandes Amen in den USA zu einem Lyrikbestseller.
Begegnung mit Else Lasker-Schüler
Als Junge hat er noch Else Lasker-Schüler in Jerusalem gesehen und später einen Band mit Übertragungen ihrer Gedichte ins Hebräische herausgebracht.
Lesungen
Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der Literaturverein Münster hatten Jehuda Amichai im September 1992 zu einer Lesung eingeladen. Nicht von jetzt, nicht von hier, bislang Amichais einziger Roman, entstand 1959 nach der ersten Deutschlandreise des Autors und war in Israel bereits 1963 veröffentlicht worden.
Das New York Times Magazine nannte das Buch „eines der eindrucksvollsten Werke der hebräischen Literatur der letzten Jahrzehnte“.
Nobelpreis-Kandidat
Jehuda Amichais Bücher sind in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt, eine Fülle von Kommentaren ist seiner Dichtung gewidmet, er war Kandidat für den Nobelpreis. Doch in Deutschland wurde er erst erstaunlich spät vorgestellt. 1988 legte der Piper-Verlag eine erste Gedichtauswahl vor unter dem Titel Wie schön sind deine Zelte, Jakob, und 1990 kam der Erzählband Die Nacht der schrecklichen Tänze heraus. Diese Übertragungen bestätigen die Feststellung Günter Kunerts, Amichai sei „ein großer Dichter der Moderne“.
Christoph Meckel, der zu der Gedichtauswahl ein Nachwort geschrieben hat, hebt hervor, daß Amichai als erster im Hebräischen die Verbindung zur Weltsprache der modernen Poesie hergestellt habe. Und das war kein leichtes Unterfangen, galt es doch, die erhabene Bibelsprache zu profanieren, Archaik und Pathos ebenso abzustreifen wie zionistische und nationalistische Emphase.
Ein genuiner Poet
Auch als Erzähler ist Amichai genuiner Poet. Denn Poesie ist für ihn, wie er in seiner Rede vor dem Internationalen P.E.N.- Kongress in Barcelona erklärte, „ein Ausdruck menschlicher Erfahrung: Sie ist Liebe und Haß, Klage und Lobpreis, Leben und Tod“.
In Amichais Lyrik und Prosa sind Zeitgeschichte und persönliche Erfahrung unauflöslich miteinander verbunden in Akten des Erinnerns, des Vergegenwärtigens, in Versuchen, Menschen und Bildern ein Andenken zu bewahren.
Kriegs-Spuren
Jehuda Amichai, ein Mann des Friedens, mußte in Israel fünf Kriege mitmachen und hat in der Jüdischen Brigade der englischen Armee gegen Hitler-Deutschland im Zweiten Weltkrieg gekämpft. Auch das hat seine Gedichte und Erzählungen bestimmt. So schreibt er Klagelieder für die Gefallenen, nicht Siegeslieder, denn: „Ich verliere stets, /auch wenn ich siege.“ Nie wird bei ihm das Schreckliche poetisch verklärt, denn Amichai weiß: „Grabmäler sind prächtige Grundsteine / für Gebäude, die niemals gebaut werden.“
„Die eigentliche Aufgabe der Schriftsteller und Künstler ist es, Menschen Worte zu geben, die sie stützen … Die Kunst soll dabei helfen, mit der Wirklichkeit zu leben, darf aber nie Illusionen erwecken, nie berauschend sein. Mit der Musik der Worte muß man in einem dauernden Rhythmus wiederholen, was geschieht. Ein gutes Gedicht ist wie ein gutes Gebet. Es gibt Leute, denen es hilft und andere, denen es nicht hilft“, so erklärte Amichai anläßlich des deutsch-israelischen Schriftstellertreffens 1993 in Berlin, was es für ihn bedeutet, Schriftsteller in einem Land zu sein, wo mehr als irgend sonst das Leben jedes einzelnen vom politischen Tagesgeschehen geprägt ist.
Gedichte von besonderer Brisanz
Gerade im Hinblick auf die jüngsten Friedensentwicklungen im Nahen Osten erhalten Amichais Gedichte besondere Brisanz. In seinen Versen von bestechender Klarheit, Offenheit, Lebendigkeit, in seinen ausdrucksstarken, subtilen Metaphern, die doch so einleuchtend bleiben, spiegeln sich die Jahrtausende alte Geschichte seiner Herkunft, die Geschichte eines von Kriegen zerrütteten und immer neuer Hoffnung erfüllten modernen Landes wider – aber auch die Tagträume des Liebenden und der Alltag des Familienvaters, der seinen Kindern vorleben möchte, wie westliche Aufbruchsstimmung und die Verwurzelung in biblischer Tradition miteinander zu versöhnen sind.
Der Dichter als Chronist
Amichai ist der Chronist, der mit Schmerz bezeugt, daß das Göttliche sich im Gewöhnlichen wiederfindet, wie das auser-wählte Volk und die heilige Sprache. Er sucht die Reste zusammen, im heutigen Dasein der Juden, und hebt sie in verständlicher Sprache auf.
Dieser Text wurde überwiegend geschrieben von:
Christoph Meckel
Schriftsteller und Grafiker, »Berlin 12. 6. 1935; seit 1956 (»Tarnkappe«, Ged.) erschienen zahlr. Grafik-, Lyrik- und Pro-sabände, die von einer fantastisch-allegor. Wirklichkeitsspie-gelung geprägt sind. Eine wesentl. Rolle spielen das Thema Kindheit und autobiograph. Elemente (»Bockshorn«, 1973; »Suchbild. Über meinen Vater«, 1980; »Berichte zur Entstehung einer Weltkomödie«, 1985; »Shalamuns Papiere«, R., 1992; »Ein unbekannter Mensch«, R., 1997).
Quelle: Meyers Großes Taschenlexikon, B.I. Taschenbuch-verlag, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2001, 8. durchge-sehene und aktualisierte Auflage, Band 14, Seite 2001
Erinnerungsarbeit
Jehuda Amichai war Mitglied der Else-Lasker-Schüler-Gesell-schaft, hat den Stiftungsaufruf für ein Zentrum der verfolgten Dichter und Künstler unterzeichnet und kam als Teilnehmer des III. Else-Lasker-Schüler-Forums 1995 nach Wuppertal. Der Titel Das Morgenland im Abendland – das Abendland im Morgenland war ganz nach seinem Geschmack. Er hat den Vorsitzenden der ELS-Gesellschaft bestärkt, endlich einmal ein solches Forum in Israel durchzuführen, bevor Zeitzeugen wie er dort alle gestorben seien. Das IX. Forum Die Reise nach Jerusalem fand vom 24. bis 31. März 2001 in Israel statt. Die Vorbereitungen hat er von fern begleitet durch viele Telefonate, die Realisierung aber nicht mehr erlebt. Er starb am 22. September 2000 an Krebs.
In dem Doppelband Die Reise nach Jerusalem (mit Schwarz-weiß-Fotos von Gisela Scheidler; Hrsg. Hajo Jahn, erschienen im Bleicher Verlag 2001, zu beziehen über die ELS-Gesellschaft Wuppertal) ist eine einfühlsame Rede über Amichai fest-gehalten, die der israelische Schriftsteller Asher Reich gehalten hat: In Jerusalem mussten lebende Dichter an tote Kollegen erinnern.
Bibliografie:
Auch eine Faust war einmal eine offene Hand (Gedichte,1994); Die Nacht der schrecklichen Tänze (Erzählungen, 1990);Nicht von hier, nicht von jetzt (Roman, 1992); Wie schön sind deine Zelte, Jakob (Gedichte, 1992).
Quelle:
*Das Gedicht von Jehuda Amichai wurde dem folgenden Buch entnommen: Momente in Jerusalem. Welchen Inhalt birgt das Wort – Erinnern in Israel, Hrsg.: Hajo Jahn, ELS-Gesellschaft/ Wuppertal, Bleicher-Verlag, Gerlingen 2002, ISBN 3-88350-059-3, S. 36
Links (deutsch):
http://www.lyrikwelt.de/autoren/amichai.htm
International:
http://www.ithl.org.il/amichai
http://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/biography/amichai.html
http://www.uvm.edu/~sgutman/Amichai.htm
http://www.kirjasto.sci.fi/amichai.htm
http://www.hebrewsongs.com/artists-yehudaamichai.htm
http://www.findarticles.com/p/articles/mi_m0411/is_4_49/ai_68738705
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