Wilhelm Unger (Pseud.: Chiron)
Schriftsteller
Geb. 4.6. 1904 in Hohensalza
Gest. 19.12. 1985 in Köln
„Ich bin Europäer, ich war niemals, auch nicht in meinen pro-jüdischen Jahren ein Zionist. Ich glaubte an die Bestimmung der Juden, verstreut zu sein in allen Völkern und da Hefe zu sein!“
(Wilhelm Unger)
„Lasst seinen Namen nicht untergehen!“
(Jürgen Flimm in seiner Gedenkrede am 19. Januar 1986 in Kölner Schauspielhaus)
Sein Vater war der jüdische Arzt Samuel Unger, seine Mutter Flora stammte aus Russland. Drei Jahre nach Wilhelms Geburt in Hohensalza in der ehemaligen Provinz Posen siedelte die Familie nach Köln über, in die Heinsbergstrasse, direkt am Rathenauplatz im Angesicht der Synagoge an der Roonstrasse.
Als er mich einmal in unserer Wohnung am Rathenauplatz Nr. 9 besuchte, brachte er seine Kindheitserinnerungen mit und ich erfuhr, dass in unserem Haus die Familie der ersten Frau von Max Ernst, Lou Strauss-Ernst, gewohnt hat. Lou Strauss wurde noch im Frühjahr 1945 von Paris nach Auschwitz deportiert und dort ermordet, ein Schicksal, das auch zwei Schwestern von Wilhelm Unger erlitten.
Nach der Schule macht der begabte Junge eine Verlags- und Buchhändlerlehre und studiert in Köln und Bonn Germanistik, Philosophie und Psychologie. Schon als 16-Jähriger war er der geistige Kopf der Kölner Buchhandlung Sieger. Etwas später – auch noch blutjung – übernahm er eine wichtige Funktion in der theosophischen Gesellschaft Kölns in der Mozartstrasse.
In dieser Eigenschaft hat er übrigens einmal Rudolf Steiner besucht. Mir selbst ist unvergesslich die Schilderung von diesem Besuch bei Rudolf Steiner, die Wilhelm Unger mir bei einem unserer vielen Gespräche gegeben hat.
Wie ein Schwamm nahm der junge Mann die unglaublich facetten-reichen Strömungen der 20er Jahre in sich auf, intuitiv wurde er aber niemandes Jünger, – vielleicht mit Ausnahme der schon längst verblichenen Großen Goethe und Beethoven. Teilweise lebte er auch in einer Geist-Traumwelt, wie hätte er sich sonst dazu versteigen können, bei der Diskussion über Kandidaten für das Amt des Reichspräsidenten Ludwig van Beethoven vorzuschlagen, der ja schon lange tot war.
Wie man weiß, wurde stattdessen der schon halbtote Hindenburg gewählt mit entsprechenden schlimmen Folgen. Ungers erstes Buch hieß dann auch Beethovens Vermächtnis. Auch dieses Buch wurde 1933 auf einer Grünfläche des Hindenburgparks, der heute Friedenspark heißt im Kölner Süden verbrannt, die Restauflage im EL-DE Haus eingestampft.
Teile seiner Manuskripte, die er unter dem Pseudonym Chiron veröffentlich hatte, entgingen dem Feuer und überstanden die Zeiten im Keller des Hauses des Verlegers Kurt Neven DuMont in der Goethestrasse in Köln-Marienburg. Dort entdeckte sie ein Freund von mir, bekam dadurch Kontakt zum engeren Kreis von Wilhelm Unger und etwas später – sozusagen in seinem Kielwasser – ich selbst. Das war wie gesagt im Jahre 1977, wo Unger schon ein betagter Mann, früher hätte man gesagt Greis war.
Rückblickend schätze ich mich glücklich, ja vor anderen bevorzugt, dass ich zu diesem engeren Kreis von Wilhelm Unger gehören durfte, den er vor der weiteren Öffentlichkeit fast hermetisch abschirmte. Aus gutem Grund, weil Betrachtungen und Erkenntnisse eines großen Geistes in den Fängen oberflächlicher Medien schnell missverstanden und ins Gegenteil verdreht werden können und Wahres zu Lüge wird.
Auch das eine Erkenntnis, die mir im Kontakt mit Unger dämmerte: „Eine Wahrheit, vom falschen Menschen am falschen Ort und zur falschen Zeit ausgesprochen, ist eine Lüge.“ So war ich Zeuge seines unbändigen Zornes, wenn er von solchen medienabhängigen Leuten als Astrologe apostrophiert wurde, der er andererseits im Sinne von C.G. Jung, Ludwig Klages, Karl-Gustav Carus, ja im Sinne von Goethe, Kepler, Spinoza, Paracelsus und vielen anderen tatsächlich war.
Wilhelm Unger hat sich mündlich und schriftlich sein Leben lang zum Charakter, zur Psyche und zum Schicksal von identifizierbaren Persönlichkeiten geäußert – viel öfter als zu abstrakten Themenstellungen. Z.B. – obwohl er Jude war – mit bewundernswerter Gelassenheit zu Richard Wagner und – lange
vor den Veröffentlichungen von I. Hamann und Kershaw – sogar zu Adolf Hitler, den er mit ruhigem, friedvollen Gemüt als Mensch analysierte der er war, wenn auch von Dämonen besessen.
1933 werden auch seine noch unveröffentlichten Manuskripte beschlagnahmt, und verbrannt. So auch das einzige Exemplar seines Entwurfs der Kosmischen Psychologie. Von Heinrich Heine kennen wir den prophetischen Satz, dass dort wo man Bücher verbrennt, später auch Menschen verbrannt werden.
Auch Bücher haben einen Leidensweg: Als Wilhelm Unger sich im März 1939 sozusagen im letzten Moment zur Emigration nach England entschloss, ermöglicht durch den englischen PEN-Club, der ihn wenige Wochen nach der sog. Kristallnacht zum Mitglied gewählt hatte – nahm er sein Manuskript der wieder im Entstehen begriffenen „Kosmischen Psychologie“ mit nach England. Dort erlebt er wie unzählige andere ein typisches Emigrantenschicksal. Obwohl als Refugee from the NAZI oppression anerkannt, wird er am 1. Juli 1940 in London interniert und am 10 Juli auf His Majesties Ship DUNERA nach Australien deportiert. Während der 2-monatigen, von deutschen Fliegern und U-Booten bedrohten Überfahrt, wird die Neuschrift der Kosmischen Psychologie, die im selben Jahr in London hätte erscheinen sollen, von der englischen Begleitmannschaft über Bord geworfen.
Einige seiner jüdischen Leidensgenossen ertragen die psychischen Foltern nicht und begehen Selbstmord.
1941 wird Wilhelm Unger auf Intervention des internationalen PEN-Clubs freigelassen (zuvor hatte es eine für die englische Regierung peinliche Anfrage im Unterhaus gegeben). Nach einer abenteuerlichen, gefahrvollen Überfahrt erreicht er am 7. Dezember 1941 Liverpool. Dazu er selbst: „Am Tage, an dem ich in Liverpool wieder landete, bekam ich die Nachricht von Pearl Harbour. Der japanisch/ amerikanische Krieg hatte begonnen …..Das bedeutete, dass der Krieg noch sehr lange dauern würde.“
Im Dezember 1956 kehrt Wilhelm Unger nach Deutschland zurück, wird Feuilleton-Mitarbeiter beim Kölner Stadtanzeiger, arbeitet für den WDR und viele Zeitungen z.B. die Allgemeine Zeitung der Juden in Köln.
1964 heiratete Wilhelm Unger Ruth Loewenhaupt, die bereits 6 Jahre später stirbt. An sie erinnerte lange Zeit der Ruth-Unger-Ausschuss in der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, deren Vorsitzende Wilhelm Unger 1966 wurde und es 12 Jahre lang blieb.
Autor:
Peter Busmann
Quelle:
Bei der vorstehenden Biografie handelt es sich um die gekürzte Fassung eines Vortrages, den Prof. Peter Busmann am 22. April 2004 in der Begegnungsstätte Alte Synagoge/ Wuppertal gehalten und der Exil-Archiv-Redaktion freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.
Wenn Sie den Wortlaut des gesamten Vortrages nachlesen möchten, klicken Sie bitte hier (PDF-Datei)
Links (deutsch):
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=1416
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