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Ury, Else

H.A.M. 0

Else Ury
Schriftstellerin


Geb. 1. 11. 1877 in Berlin
Gest. vermutl. 13. 1. 1943 im KZ Auschwitz-Birkenau


Else UrySie war das, was man heute eine Bestsellerautorin nennt. Ihre 39 Bücher werden auf eine Gesamtauflage von sieben Millionen Exemplaren geschätzt. Der Durchbruch gelang ihr mit der zehnbändigen Serie Nesthäkchen. Diese Bücher – begonnen während des Ersten Weltkriegs, erschienen ab 1918, der letzte 1925 – begleiteten Generationen von Mädchen und jungen Frauen, doch dürften unter den Lesern mehr oder weniger heimlich nicht wenige Jungen und Männer gewesen sein. Else Ury hat sich in ihren Büchern schon früh für eine bessere Ausbildung ihrer Geschlechtsgenossinnen eingesetzt, vor allem für ein Studium, das ihr selbst versagt blieb.


Else Ury stammte aus einer seit drei Generationen in Berlin lebenden jüdischen Kaufmannsfamilie. Die beiden älteren Brüder Ludwig und Hans studierten Jura bzw. Medizin, die jüngere Schwester Käthe besuchte, immerhin, das Lehrerinnenseminar; das Frauenstudium wurde in Preußen erst 1908 zugelassen. Zwei Jahre zuvor hatte Else Ury, die seit der Jahrhundertwende Märchen und Reiseberichte in der Wochenendbeilage der renommierten Vossischen Zeitung veröffentlichte, ihren ersten größeren Erfolg mit der Erzählung Studierte Mädel. Ironischerweise thematisierte sie damit und in ihren weiteren Büchern immer wieder eine akademische Berufsausbildung für Frauen, blieb jedoch selbst als Tochter aus gutem Hause eben dort: daheim. Einen Beruf hat sie nie erlernt.


Vielleicht war ja der von ihr in zehn Büchern einfühlsam beschriebene Lebensweg der Arzttochter Annemarie Braun ihr heimlicher Traum: Sich vom umhegten, liebenswürdigen und zugleich widerspenstigen Nesthäkchen zur Medizinstudentin zu emanzipieren. Aber es blieb dann doch bei der herkömmlichen Frauenrolle: Die junge Frau wurde Gattin eines Arztes, natürlich Mutter und schließlich Großmutter.


Beim eigenen familiären Umfeld war das nicht verwunderlich: Wie so viele deutsche Juden war auch die Familie von Else Ury kaisertreu und liberal. Richtschnur waren traditionelle Werte wie Familie, Heimat und Pflicht. In ihren Büchern schmückte sie die heile Welt, die sie in ihrem persönlichen Umfeld hatte, nur spannender aus, manchmal zu Tränen rührend und, auch das ein Erfolgsrezept, sehr humorvoll.

Ob sie selbst jemals verliebt war, gerne tanzte oder andere Hobbies hatte, ist kaum bekannt. Boulevardzeitungen hätten aus ihrem zurückgezogenen Leben nur eine Schlagzeile gewinnen können: Als Else Ury von ihrem Autorenhonorar ein Feriendomizil im Riesengebirge kaufte, über dem sie eine Tafel mit dem Schriftzug Haus Nesthäkchen anbrachte.


Diese Idylle wurde jäh zerstört durch die Nationalsozialisten. Es begann 1935 mit dem Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer, also mit Berufsverbot, denn damit war ihr das Publizieren verboten. Es muss sie wie ein Schock getroffen haben, als nur wenig später ihr Bruder Hans Selbstmord beging. Die Zerstörung ihrer Welt setzte sich fort und zerfiel mit der Emigration von Verwandten, die sie finanziell und ideell unterstützte. Dabei hätte auch sie sich durch Flucht ins Ausland vor dem Gas retten können, als sie 1938 nach London reisen durfte, um einen emigrierten Neffen zu besuchen. Doch ihr Pflichtbewusstsein ließ sie zurückreisen. Ihre 90jährige Mutter, die zwei Jahre später starb, musste gepflegt werden.

Mit der hinfälligen Mutter wurde sie von den Behörden gezwungen, sie die Wohnung am Kaiserdamm 24 in Berlin verlassen. Die beiden Frauen zogen wie so viele andere Menschen in ein Judenhaus. Dieses Gebäude an der Solinger Straße 10 musste die berühmte Erfolgsschriftstellerin im Januar 1943 verlassen, nachdem sie in einer Vermögenserklärung ihren gesamten noch vorhandenen Besitz aufzulisten hatte. Denn mit deutscher Gründlichkeit wurden Juden wie Else Ury von Amtswegen ausgeraubt, ihr „volks- und staatsfeindliches Vermögen“ zugunsten des Deutsches Reiches requiriert.


Mit wenigen Habseligkeiten, die vorgeschrieben waren um eine Umsiedlung vorzutäuschen, wurde die 65jährige mit rund 1.190 weiteren Juden im 26. Osttransport vom Bahnhof Berlin-Grünewald nach Auschwitz deportiert. Das war am 12. Januar 1943. Einen Tag vorher hatte sie ordentlich die Zustellurkunde des Ober-Gerichtsvollziehers von Berlin-Tempelhof über ihre Enteignung unterzeichnen müssen. Am 13. Januar 1943 wurden aus dem 26. Osttransport 127 Männer zur Zwangsarbeit ausgewählt. Alle anderen kamen umgehend in die Gaskammern. Unter ihnen Else Ury, die mit ihren Büchern Millionen Kindern und Erwachsenen Freude bereitet hat.


Autor:

Hajo Jahn


Literatur:

Marianne Brentzel:
Nesthäkchen kommt ins KZ
Eine Annäherung an Else Ury 1877-1943.
Fischer Taschenbücher Band 13114
Frankfurt am Main 1996
ISBN: 3-596-13114-6


Links (deutsch):

http://www.ghwk.de/sonderausstellung/ury/else-ury.htm

http://www.juden-in-berlin.de/juedisches-museum/else-ury.htm

http://www.wdr.de/tv/nachtkulturundgeschichtszeit/gznesthaekchen.html

http://infos.aus-germanien.de/Else_Ury

http://de.wikipedia.org/wiki/Else_Ury

http://www.altekinderbuecher.de

http://www.mariannebrentzel.de/rezNest.htm

http://www.literaturschock.de/Bodies/specials/ElseUry

http://www.ghwk.de/deut/Wanderausstellung/wanderausstellung61.htm

http://www.zvab.com/angebote/else-ury.html

http://www.hausarbeiten.de/download/23937.pdf

http://www.diplomarbeiten24.de/vorschau/22848.html

http://www.phil.uni-mannheim.de/germ/ng1/sand/sand_doktorandInnen_tilg.htm

http://www.beepworld.de/members25/nesthaekchens_erben/dissertation.htm

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