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Weiss, Hilda

H.A.M. 0

Hilda Weiss (verh. Rigaudias, verw. Parker)
Soziologin


Geb. 29. Juli 1900 in Berlin
Gest. 29. Mai 1981 in Brooklyn, New York/ USA


Hilda Weiss“Looking at Trinity Church at the end of Wall Street I had a vision: I saw a small black bird crushed between two huge white walls. Does that signify that religion is dominated by financial capitalism in this country?”

(Hilda Weisss in: Marginal Woman, Ms., S. 9).


Hilde (in den USA: Hilda) Weiss wurde in ein assimiliertes jüdisches Elternhaus geboren. Der Vater Berthold (1860-1936) war Schriftsteller bzw. Privatgelehrter mit sozialistischen Neigungen; ihre Mutter Elisabeth (1867-1932), eine geborene Rathenau, leitete den Haushalt und war ehrenamtlich karitativ tätig. Ihr älterer Bruder, Friedrich (Fritz) Adalbert, kam am 4. Juli 1898 zur Welt. Nach Abschluss des Abiturs an der Königlichen Augustaschule in Berlin studierte Hilde Weiss ab 1919 an den Universitäten Berlin, Jena und Frankfurt Nationalökonomie und Soziologie. Während ihrer Schulzeit war sie zunächst Mitglied des ‚Wandervogel’, dann der sozialistisch-anarchistischen Gruppierung ‚Freie Jugend’ geworden, im Juli 1922 trat sie in den Deutschen Metallarbeiter Verband (Gewerkschaft) ein. In Jena war sie in den Jahren 1922-1924 in der Firma Carl Zeiss in verschiedenen Bereichen der Produktion als Arbeiterin tätig – und zwar unter Hintanstellung ihres Studiums. Von 1925 bis 1932/33 gehörte Hilde Weiss der kommunistischen Partei an.


Ihre Promotion zum Dr. rer. pol. im Fach Volkswirtschaft (Thema der Dissertation: ‚Abbe und Ford. Pläne für die Einrichtung sozialer Betriebe’) schloss sie 1927 bei Carl Grünberg, dem Leiter des Frankfurter ‚Instituts für Sozialforschung’, ab. Nach einigen kürzeren Tätigkeiten arbeitete sie ab ca. 1929 an dem Frankfurter Institut als ‚Forschungsassistentin’, unter anderem an den Studien zu ‚Autorität und Familie’ (Paris 1936) sowie an der (erst 1980 für Erich Fromm [Bearbeitet und herausgegeben von W. Bonß] publizierten Untersuchung über ‚Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches’. 1933 emigrierte sie über die Schweiz nach Paris, wo sie noch für kurze Zeit für das Frankfurter Institut tätig war. Daneben arbeitete sie an der Sorbonne an einer zweiten Dissertation im Fach Soziologie (Thema der Dissertation: ‚Les Enquetes Ouvrieres en France. Entre 1830 et 1848‘), die sie 1935 beendete. 1935 heiratete Hilde Weiss – um die französische Staatsbürgerschaft zu erwerben – den Trotzkisten Louis Rigaudias (1911-1999); die Scheidung erfolgte im Juli 1938. Im April 1939 konnte sie in die Vereinigten Staaten emigrieren.


Nach zahlreichen kurzfristigen Tätigkeiten an verschiedenen Colleges and Universitäten (unter anderem an zwei ‚Negro Colleges‘ in den Südstaaten) gelang es Hilda Weiss, die 1945 amerikanische Staatsbürgerin geworden war, im gleichen Jahr eine Anstellung am Soziologischen Institut des Brooklyn College der City University New York zu finden. Sie erhielt jedoch erst im Jahr 1963 eine ‚Dauer-Stelle’ (tenure) als Assistenzprofessorin für Soziologie – was sie (in zahlreichen Briefen) auf einen frauenfeindlich und antisemitisch eingestellten Vorgesetzten zurückführt. Während dieser Zeit veröffentliche sie einige Aufsätze, vorwiegend auf dem Gebiet der Industriesoziologie. Im April 1955 heiratete sie den Ingenieur Joseph Parker (geb. 1900), der ebenfalls gesellschaftstheoretisch und –politisch interessiert war. Joseph Parker, der Mitte der 20er bis Mitte der 30er Jahre der Kommunistischen Partei der Vereinigten Staaten angehört hatte, verstarb im Februar 1958 bei einem Autounfall .


Hilda Weiss’ Versuche, in den 60er Jahren noch einmal an dem aus den USA zurückgekehrten Institut für Sozialforschung in Frankfurt eine Gastprofessur zu erhalten, scheiterten an der reservierten Haltung Theodor W. Adornos.


Autor:

Detlef Garz (Arbeitsstelle Biografieforschung, Uni Mainz)


Literatur:

Hilda Weiss: Soziologin, Sozialistin, Emigrantin. (Bearbeitet, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Detlef Garz). Hamburg 2005 (darin auch ihr Vortrag ‚Marginal Woman’, der ihre Tätigkeit als Professorin an einem ‚Negro College’ in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts beschreibt).


Veröffentlichungen:

Weiss, Hilde: Rationalisierung und Arbeiterklasse: Zur Rationalisierung der deutschen Industrie. Berlin: Führer-Verlag 1926.
Weiss, Hilde: Abbe und Ford: Pläne für die Errichtung sozialer Betriebe. Dissertation. Frankfurt a.M. 1927.
Veröffentlicht: Weiss, Hilde: Abbe und Ford: Kapitalistische Utopien. Berlin: R.L. Prager Verlag 1927.
Rigaudias-Weiss, Hilde: Les Enquetes Ouvrieres en France. Entre 1830 et 1848. Dissertation. Paris: Les Presses Universitaires de France 1936. (Genehmigt durch den Dekan am 13.12.1935)
Veröffentlicht: Rigaudias-Weiss, Hilde: Les Enquetes Ouvrieres en France. Entre 1830 et 1848. Paris: Felix Alcan 1936. Neu veröffentlicht: New York: Arno Press 1975.
Weiss, Hilde: Die ‚Enquete Ouvriere’ von Karl Marx. In: Zeitschrift für Sozialforschung 5, 1936, 76-98. Wieder abgedruckt in: Fürstenberg, F. (Hg.): Industriesoziologie I. Neuwied 1959, 127-147 und in: Bottomore, T. (ed.): Karl Marx. Englewood Cliffs 1973, 172-184.
Weiss, Hilde: Materialien zum Verhältnis von Konjunktur und Familie. Bericht über ein Manuskript von 109 Seiten. In: Horkheimer, M./Fromm, E./ Marcuse, H. u.a.: Studien über Autorität und Familie. Paris 1936, 579-581.
Weiss, Hilda: Human Relations in Industry. From Ernst Abbe to Karl Mannheim. In: The American Journal of Economics and Sociology 8, 1949, 287-297.
Weiss Parker, Hilda: Industrial Relations, Manipulative or Democratic? In: The American Journal of Economics and Sociology 18, 1958, 25-33: dt.: Weiss Parker, Hilda: Industrial Relations. Sind die industriellen Beziehungen demokratisch oder manipuliert? In: Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht 13, 1959, 360-363.
Weiss, Hilda P.: Durkheim, Denmark, and Suicide: A Sociological Interpretation of Statistical Data. In: Acta Sociologica 7, 1964, 264-278.

 

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