Ulrich Becher
Schriftsteller
Geb. 2.1.1910 in Berlin
Gest. 15.4.1990 in Basel/ Schweiz
„Man mußte aber meinem Vater vieles nachsehen, denn er war ein großer Schriftsteller. Das wurde mir von mei-ner Mutter immer wieder versichert. Ein schwieriger Charakter, zugegeben, aber ein großer Schriftsteller. Für meine Mutter erforderte der Status des großen Schriftstellers absolute Loyalität. Daß man einen großen Schriftsteller hätte verlassen können, wenn er sich als Lebenspartner und als Vater ungeeignet erwies, wäre ihr niemals in den Sinn gekommen. Ich durfte ihn als Men-schen nach Belieben verachten, verspotten, ihn nach Herzenslust kritisieren, aber immer im Bewußtsein, daß er ein großer Schriftsteller war. Die größten Künstler – das zeigen zahllose Biographien – sind im Leben die größten Schweine gewesen, das gehörte auf irgendeine Weise sogar zu ihrer Größe. In enger Nachbarschaft mit einem Menschen mit unmöglicher Lebenstweise, mit einem schwierigen Charakter zu leben, bedeutete im Hinblick auf sein Künstlertum geradezu einen Vorzug. Das war die Legitimation unserer bizarren Lebensweise. Soviel verstand ich. Ich merkte mir die Botschaft gut und stellte sie für lange Zeit nicht in Frage.“
(Martin Roda Becher)*
Geboren in Berlin als Sohn des Rechtsanwalts Richard Becher und der Schweizer Pianistin Elisa Ulrich
1920 – 28 Besuch des Gymnasiums in Berlin und der Freien Schulgemeinde in Wickersdorf (bei Deutschlehrer Peter Suhrkamp)
1928 – 32 Jurastudium in Berlin und Genf, Grafikschüler von George Grosz, Bekanntschaft mit Wieland Herzfelde und Erwin Piscator
1932 erscheint sein Novellenband Männer machen Fehler
1933 sein Erstling wird von den Nazis auf den Scheiterhaufen geworfen, jüngster ‚entarteter‘ Dicher jener Zeit
Übersiedlung nach Wien, Arbeit als Zeitungskorrespondent
4.11.1933 Heirat mit Dana, der Tochter des Österreichischen Schriftstellers Alexander Roda Roda, Österreichische Staatsbürgerschaft
1936 Uraufführung seines ersten, von einer Grosz-Zeichnung inspirierten Stücks Niemand am Stadttheater in Bern
1938 Emigration in die Schweiz
1941 Flucht über Frankreich, Spanien und Portugal nach Brasilien und zuletzt nach New York
21.10.1944 Geburt des Sohnes Martin Roda
1948 Rückkehr nach Wien; Aufführung des Stücks Der Bockerer mit grossem Erfolg
1954 Wohnsitz in Basel
1955 Dramatikerpreis des Deutschen Bühnenvereins
1976 Preis der Schweizerischen Schillerstiftung
1980 Österreichisches Bundesverdienstkreuz 1. Klasse für Literatur und Wissenschaft
„Als Ulrich Becher mit seinem Erstling Männer machen Fehlerdie literarische Bühne betrat, schien sich eine vielversprechende Karriere für das junge Talent abzuzeichnen. Neben der starken Ausdrucksform seiner Erzählungen zeigte sich eine nicht minder beeindruckende bildnerische Begabung, die von seinem Mentor Georg (damals noch, er wurde erst im Exil zum George) Grosz gefördert wurde, und auch im Klavierspiel hatte er sich schon so weit ausgebildet, dass er später – in Zeiten der Not – als Barpianist zum Lebensunterhalt beitragen konnte. Doch mit der Machtübernahme durch die Hitlerhorden erfuhr sein Lebensplan eine einschneidende Veränderung, sein erstes Buch wurde von den Nazischergen auf den Scheiterhaufen geworfen und er gelangte zur traurigen Berühmtheit, der jüngste unter den verfemten, ‚entarteten‘ Schriftstellern zu sein. Er versuchte, dem Unheil auszuweichen, aber nicht einmal die Schweiz (mit der er von mütterlicher Seite her verbunden war (sein Grossvater hatte während einiger Zeit als Pächter das Rütli verwaltet)) bot ihm Asyl, und so blieb nur noch die Emigration nach Übersee, erst nach Brasilien und zum Schluss nach New York. Allen Schicksalsschlägen zum Trotz verfolgte er seine schriftstellerische Arbeit weiter und schuf ein volumenmässig knappes dafür aber in Inhalt und Dichte umso grandioseres Werk.
Die Lebensumstände und vielleicht auch seine Haltung: „War er doch im Herzensgrund ein hochmoderner Individualist kosmopolitisch-pazifistischer Ausrichtung (wie er seinen Standpunkt diagnostizierte).“(Das Zitat aus Nachtigall will zum Vater fliegen auf Seite 281 gilt dem Protagonisten der Erzählung Dr Nightingale, könnte aber sehr gut auf Ulrich Becher selbst angewendet werden) verhinderten leider einen grösseren Bekanntheitsgrad. Die Stadt Basel, in der er nach seiner Rückkehr nach Europa Wohnsitz nahm, hatte es ihm seit seinen ersten Besuchen mit ihrem historisch-kulturellen Hintergrund, ihren zum Teil skurrilen Bewohnern und ihrer einzigartigen Fasnacht so sehr angetan, dass er sie als Schauplatz in einige seiner Geschichten aufnahm (Nachtigall will zum Vater fliegen, Mademoiselle Löwenzorn, Das Herz des Hais). Umgekehrt kümmerte das offizielle Basel sich nicht sonderlich (um nicht zu sagen überhaupt nicht) um den ‚heimatlosen‘ Schriftsteller, und wen erstaunt es, von seiner immer wieder geäusserten Absicht die Stadt zu verlassen, zu erfahren. Seit seinem Tod ist es ziemlich still um ihn geworden, seine Bücher sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur noch antiquarisch zu erwerben (es sei hier der Hinweis auf das Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher (zvab.com) erlaubt) und es bleibt zu hoffen, mit diesem Auftritt im Internet Ulrich Becher vor der Vergessenheit zu retten oder sogar die Verbreitung (mittels Neuauflage?) seines Werkes voranzutreiben“.
Autor:
Dieter Häner (Mai 2001)
*) Martin Roda Becher,“Dauergäste“ Seite 104
http://www.nagel-kimche.ch/buch/2000/3-312-00267-2.htm
Links (deutsch):
http://www.literaturepochen.at/exil/multimedia/pdf/presesbockerer.pdf
http://www.dla-marbach.de/kallias/hyperkuss/b-reg.html
http://www.literaturepochen.at/exil/multimedia
http://www.sim-kultur.at/?sub=archiv&sub1=personen&sub2=autoren&sub3=&sub4=&id=2949
http://kundendienst.orf.at/service/dvd/bockerer.html
http://www.schnitt.de/tvtip/artikel/bockerer_2__der.shtml
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