Jürgen Fuchs
Psychologe und Schriftsteller
Geb. 19.12.1950 in Reichenbach, Vogtland
Gest. 9.5.1999 in Berlin
„Als vor Jahren ein neuer Präsident für das wiedervereinigte Deutschland gewählt werden sollte, machte ich in einem Essay öffentlich, daß – und erklärte auch: warum – ich diesen Schriftsteller gerne als Präsidenten sehen würde. Kurz: Jürgen Fuchs ist ein sehr ähnlicher Mensch wie der, um den wir die Tschechen beneiden können: Vaclav Havel„.
Wolf Biermann: „Einmal im Leben Prophet sein!“
(Rede zur Verleihung des Nationalpreises in Berlin am 17.5.1998)
Sicher ist: Jürgen Fuchs war dem Regime in Ostberlin unbequem und lästig. Er hatte ab 1971 in Jena Psychologie studiert und mit ersten Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien begonnen. 1973 begannen die Schwierigkeiten mit der Staatspartei. „Um Veränderungen herbeizuführen und den Apparat von innen zu beschreiben“, bemühte sich Fuchs dennoch um Aufnahme in die SED. Im Anschluss an öffentliche Lesungen und kurz vor dem akademischen Abschluss wurde Fuchs exmatrikuliert sowie aus der Jugendorganisation FDJ und aus der SED ausgeschlossen. Als Konterrevolutionär und Staatsverleumder erhielt er Publikationsverbot und mußte als Transportarbeiter, später als Pfleger in einem kirchlichen Kinderheim seinen Lebensunterhalt verdienen. Wenige Tage nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann im November 1976 wurde Jürgen Fuchs aus dem Auto des Regimekritikers Robert Havemann heraus verhaftet und neun Monate wegen „staatsfeindlicher Hetze im verschärften Falle“ inhaftiert. Noch während seiner U-Haft erschien in Westdeutschland sein Buch Gedächtnisprotokolle. Ende 1977 wurde er zusammen mit dem Liedermacher Gerulf Pannach, dem Musiker Christian Kunert, dem Germanisten Prof. Dr. Hellmuth Nitsche und dem Internisten Dr. Karl-Heinz Nitschke in die Bundesrepublik abgeschoben. Hier galt Fuchs als erster erfolgreicher Vertreter der sogenannten Betroffenheitsliteratur, die sich mit der Vergeblichkeit der Hoffnung auf fortschrittliche gesellschaftliche Veränderungen auseinandersetzt und den Ausdruck zwischenmenschlicher Kälte betrauert.
Die Verstrickungen der DDR-Kulturszene in die Machenschaften der Staatssicherheit beschrieb er in einer fünfteiligen SPIEGEL-Serie (47/1991 ff). Er beklagte die mangelhafte Aufarbeitung der SED-Diktatur – „Kälte, Vergeblichkeit, auch moderne Heuchelei“ – und war Gründungsmitglied des von Bärbel Bohley in Berlin eingerichteten Bürgerbüro e.V., das Menschen helfen will, „die durch Willkürakte der DDR fortdauernd beschädigt sind“. Im Januar 1998 war Fuchs mit Eklat aus dem Beirat der (Gauck)-Behörde des Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen ausgetreten, weil er sich vergeblich bemüht habe, die Behörde zum Verzicht auf die Mitarbeit von Stasi-Hauptamtlichen zu bewegen. Ein unbequemer Mann also, dieser Jürgen Fuchs. In der DDR ebenso wie im wiedervereinigten Deutschland. Er ist Mitunterzeichner des Stiftungsaufrufs für ein Zentrum der verfolgten Künste, den die ELS-Gesellschaft Wuppertal gemeinsam mit dem Exil-P.E.N. 1994 initiiert hat.
Entnommen aus: „Fäden möchte ich um mich ziehen“ Ein Else Lasker-Schüler-Almanach, hrsgg. von Hajo Jahn und Hans Joachim Schädlich, Peter Hammer-Verlag, Wuppertal 2000, ISBN 3-87294-839-3, S. 43/44
„Seine Literatur ist Sprachkunst mit dem „Blick der kleinen Bahnstationen“, persönlich emotionale Nahaufnahme des einzelnen Lebens im Sozialismus. Die Texte belehren nicht, aber sie vergrößern die Augen. Man kann ruhig sagen, sie erziehen. Wer ins Äußere und Innere von Macht und Ohnmacht schauen will, wird sie lesen müssen. Jürgen Fuchs wollte sich nie mit Erfindungen verkleiden. Er hat das geschrieben, was George Arthur Goldschmidt Autofiktion nennt, seine Erfahrungen als literarisches Thema gewählt und sie beglaubigt…“
„Hat die DDR Jürgen Fuchs zerbrochen? Der Verdacht, dieser Staat und seine Organe hätten ihn in der Haft durch „Beibringung radioaktiver Stoffe“ physisch geschädigt, wurde von Fuchs selbst ausgesprochen. Aber Jürgen Fuchs, der Psychologe, litt auch darunter, daß die „Wende“ alles so schnell normal erscheinen ließ: das Unrecht, das Aufbegehren, die Revolution. Er erlebe, schrieb er in seinem letzten Buch, „etwas Umwerfendes: die verwaltungstechnische, behördliche Zähmung einer Revolution“.
Wohin mit den zornigen, verzagten, unduldsamen Revolutionären, wohin mit den Opfern, die glauben, nur sie könnten verstehen und müßten daher bewahren? Jürgen Fuchs sehnte sich nach Offenheit, nach Freiheit, nach Wärme. Er konnte sie nicht finden“.
(Konrad Franke)
Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 1999-05-10 00:00:00
Wichtigste Veröffentlichungen:
Gedächtnisprotokolle (1977)
Vernehmungsprotokolle (1978)
Tagesnotizen (1979)
Pappkameraden (1981)
Fassonschnitt (1984)
Das Ende einer Feigheit (1988)
Magdalena (1998)
CD:
Jürgen Fuchs / Mikolás Chadima / mch band
Tagesnotizen
Black Point music
Prag 2002
Links (deutsch):
http://www.exil-club.de/html/30_projekte/32_projekte_02/portraets/fuchs/notest.html
http://www.ddr-im-www.de/Personen/Fuchs.htm
http://de.wikipedia.org/wiki/J%FCrgen_Fuchs
http://www.goethe.de/fr/bor/wende/d_f02.htm
http://www.dickinson.edu/departments/germn/glossen/heft5/fuchs.html
http://www.litlinks.it/f/fuchs_j.htm
http://www.soyfer.at/online/nr02/a_horn.htm
http://www.gegen-diktatur.de/beispiel.php?beisp_id=334&tafel_id=28&thema=1
http://www.ddr-im-www.de/Aktuelles/Personen/170599_01.htm
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