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Hollaender, Friedrich

H.A.M. 0

Friedrich Hollaender
Komponist


Geb. 18.10.1896, London/ Großbritannien
Gest.18.1.1976, München


Friedrich HolaenderCharly Chaplin hat ihn den „großen kleinen Friedrich“ genannt, weil der kleine, zierliche Mann ein ganz Großer war: Als Komponist und Texter. Ein Allroundtalent: Schriftsteller und Musiker, Regisseur und Theaterleiter, Kabarettist und, wenn es sein musste, auch Schauspieler.


Wäre er ein Amerikaner gewesen, würde man ihn in einem Atemzug nennen mit Kollegen wie Leonhard Bernstein, Cole Porter oder Irving Berlin, Richard Rodgers oder Jerome Kern. Vielleicht hätte er seinen Stern auf dem Walk of Fame der unsterblichen Hollywood-Größen bekommen. So aber war er nur der jüdische Exilant aus Deutschland, der dort (als Frederick Hollander) zwar mehr als zwanzig Jahre lebte, Filmmusiken geschrieben hat und sogar einmal für den Oscar nominiert war. In Berlin hatte er sich und Marlene Dietrich internationalen Ruhm mit Text und Musik wie dem Chanson Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt für den Film Der blaue Engel errungen – nach der Romanvorlage „Professor Unrat“ von Heinrich Mann.


Friedrich HollaenderDie Politiker in der deutschen Hauptstadt haben es abgelehnt, eine Straße nach Friedrich Hollaender zu bennen, es gäbe ja bereits eine Holländerstraße. Die hat „zwar nichts mit Berlins großen Söhnen, weder mit Felix noch mit Gustav, noch mit Victor, geschweige denn mit Friedrich Hollaender zu tun, sondern mit einer Holländer-Windmühle, die hier einmal gestanden hat“ – so Herausgeber Volker Kühn im Nachwort zur Autobiographie des Künstlers, die 1996 im Weidle Verlag erschienen ist.*

Gustav und Felix waren die Brüder von Victor, dem Vater von Friedrich, der mit drei Jahren und der Familie aus dem nebligen London nach Berlin übersiedelt war. Eine musische, schriftstellernde, dirigierende, theaterbesessene Familie. Und der komponierende Vater bald eine Berühmtheit wegen eines Schlagers, der zum Gassenhauer wurde – Friedrich sprach von sich als „Sohn vom Schaukellied“.


Das Wunderkind spielte bereits als Schüler im Kino Klavierimprovisationen zu den Filmen von Asta Nielsen und anderen Stummfilmgrößen. Trotz aller Begabungen (oder gerade deshalb) erhielt er eine exzellente, solide Ausbildung. In seinen Erinnerungen schrieb er über diese frühen Kintopp-Ausflüge: „Wenig wusste ich, daß das schon die Fingerübungen waren für über 150 Filmmusiken, die ich später in Hollywood nach Maß schreiben sollte. Die schattenhaften Spielereien, auch sie gehörten zum Bannkreis der großen Verführung, die mich mit Macht ergriff. Theater, Theater! Es war ja das Panorama, in dem ich – wenn auch von den Eltern behutsam davor geschützt und abgeschirmt – recht eigentlich aufwuchs. Massary, Massary hatte ich endlich auf der Bühne gesehen. Fritzi Massary, diese Königin des leichten Spiels, der Operette, des blitzgescheiten Chansons. Sogar persönlich kennengelernt. Ein tiefdekolletiertes Photo von ihr, mit der eigenhändigen Widmung ‚Meinem jüngsten Verehrer. Die Sünde von Berlin‘. – stand seither auf meinem Jungens-Schreibtisch, gleich neben Karl Kraus, meinem neuen Idol. Die beiden lächelten einander an wie zwei Sterne, die nur durch eine Million Lichtjahre getrennt sind.“


Friedrich HollaenderEinem anderen Idol war er nachgelaufen, bis er die Bekanntschaft der Dichterin Else Lasker-Schüler machte und für sie Ausgaben der Zeitschrift Der Sturm verkaufte. „Und dann schrieb ich die Musik zur Wupper. Und das Deutsche Theater führte es auf. Mit dem Ferf am Dirigentenpult.“ – Ferf nennt sich Hollaender anstelle von Verfasser oder Alfred Knackfuß , weil er das „penetrante Herr ICH schlechthin unerträglich findet. … Wo immer Bühnenmusik gebraucht wurde – und jeder anständige Schauspieldirektor wollte einmal davon haben -, hieß es: Nehmen Sie doch Knackfuß. Ach, Knackfuß, brüste dich nicht, ist ja alles schon mal dagewesen. Sommernachtstruam, Egmont, Peer Gynt – lauter nette Vorgänger.“

Diese ironische Distanz zu sich selbst und sein Humor machen Hollaender sympathisch zugleich und lesenswert. 1941 hat er in den USA seinen ersten Roman unter dem Titel Those Torn From Earths veröffentlicht. Übersetzt ist dieser Emigrations-roman 1995 unter dem Titel Menschliches Treibgut im Weidle Verlag erschienen, mit einem Vorwort von Thomas Mann und einem Nachwort von Volker Kühn. Die Bühnenmusik zum Lasker-Schüler-Theaterstück Die Wupper ist verschwunden, möglicherweise von den Nationalsozialisten vernichtet.


Erinnerungen an Blandine Ebinger, Curt Bois oder Paul Graetz – bekannte Namen während der sogenannten goldenen 20er Jahre in Berlin – sind heute verblasst. Aber Hollaender lässt sie in seiner Autobiografie alle wieder lebendig werden, hat er doch für sie Melodien geschrieben, deren Texte von Kurt Tucholsky oder Walter Mehring stammten: für die großen Kabarett-Revuen jener Zeit.

Marlene Dietrich, Emil Jannings und Friedrich HollaenderÜber Paris flüchtete Friedrich Hollaender nach Hollywood, wo er seine zweite Karriere als Filmkomponist startet. Ausgelöst durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten. Im letzten Augenblick hat er einen britischen Pass bekommen: „British born subject, you know“. Seine Mutter hatte ihn zuvor abgefangen, ihn nicht in die elterliche Wohnung lassen wollen:

„Was ist los Mutti?“
„Sie sind oben.“
„Wer?“
„Gestapo. Gerade jetzt, in diesem Moment. Ich ahnte einfach, daß ihr kommen würdet. Musste euch abfangen. Ich habe gesagt, ich gehe mal auf einen Cognac. Den haben Sie wohl nötig, haben sie gegrinst.“
„Um Gottes Willen, was machen denn die da oben?“
„Zerreißen Bücher. Zerschneiden Bilder. Der Liebermann hat schon ’seins weg‘. Und die Kollwitz. Den Kraus haben sie nur so zerfetzt….“
„Um Gottes Willen, was noch?“
Frederick Hollander„Die Feldpostbriefe an dich haben sie gefunden, von der Lasker-Schüler, mit den Zeichnungen, mit dem Davidstern auf der Backe…“
„Meine schönen Briefe!“
„Wann du nach Hause kommst, haben sie gefragt. – Bald, hab‘ ich gesagt. Bald muss er hier sein. Ich hab’s direkt gefühlt!“
„Und jetzt? Was jetzt?“
„Fort! Fort mit euch. Schnell! Ganz furchtbar schnell!“
„Fort, wohin?“
„Zum Bahnhof!“ „So schnell?“
„Noch schneller! Adjö, adjö, adjö!“

Eindrucksvoll schildert Hollaender die Ängste am Fahrkartenschalter, auf dem Bahnstein, im Zug – immer in der Furcht, verhaftet zu werden. Sarkastisch seine Beschreibung von „Paris im Jahre des Heils – einer sagt’s dem Andern: Hotel Ansonia: Nest der Vertriebenen, Zufluchtstätte der Enteigneten, Sammelstelle, Übergangslager, Brutkasten für alle Arten von Frühgeburten, von Zukunftsplänen bis Selbstmordideen. Kommt her, all ihr Beladenen und Ungeladenen.“


Die französische Hauptstadt aber ist für viele Exilanten, so auch für Hollaender, nur Zwischenstation. Mit der Mary, einem englischen Schiff, geht es in die USA. Er hat einen Vertrag für Hollywood, wo er die Freunde aus Berliner Tagen trifft, Billy Wilder, Ernst Lubitsch, Joe May, Peter Lorre, Franz Waxmann, die Dietrich.

Nach dem Ende der Hitler-Diktatur verspürt er Anfang der 50er Jahre „diesen Wunsch…, das arme Trümmerfeld Europa zu besuchen. Wie wohl Deutschland jetzt aussah? Viele der ausgewanderten Freunde waren fast unmittelbar nach Kriegsende zurückgekehrt: Fritz Kortner, Ernst Deutsch, Blondine, George Salmony, Curt Bois, Max Nosseck, Fritz Rotter, Wilhelm Dieterle, ach so viele, sie waren längst drüben. Konnte man denn dort wieder leben? Gewiss, viele hatten die ganze schwere Zeit dort gelebt und überlebt…
Was ich sagen will, ist: Wie sah man es wohl, aus dem großen Schutz und Obdach heimkehrend, in dem man sich während des Unwetters unterstellen durfte?
So machten Berthe und ich Europaferien. Aber das war falsch. Die erhoffte Erholung wurde zur Krankheit. Zu einer Krankheit. Zu einer Krankheit des Gemüts. Ich weiß nicht, welcher Teufel mich ritt, nicht nur die Freunde und die Trümmer, sondern auch Dachau zu besuchen. Vor dieser schweigenden Hölle, diesen stummen Inschriften und Verbrennungsöfen brach aller Expeditionsgeist zusammen. Wir flohen nach Paris, nach London, an die Riviera—das Bild wollte nicht verblassen. Nach ein paar Monaten flohen wir nach Amerika zurück. Auf der Königin, die unberührt und immer noch graziös tänzelte.“


Friedrich HollaenderWie der Schriftsteller Hans Sahl, der sich im Nachkriegsdeutschland verloren und von den Kollegen in der Gruppe 47 als unwillkommen abgelehnt fühlte, war der Exilant Hollaender also wieder ins Gastland USA zurückgekehrt. Beide Exilanten waren ein zweites mal nach Amerika retiriert – und beide sollten später eine zweite, endgültige Rückkehr wagen. Hollaender schreibt, dass dieser deprimierenden Europabesuch „eine unverständliche Sehnsucht hinterließ. Ich schrieb zwei Filmmusiken für Billy Wilder. Foreign Affair, einen Liebeskrimi, der im ausgebombten Berlin spielt. Marlene sang drei Lieder, der Text und die Musik – VON MIR; der Ferf war mal wieder am Klavier zu sehen. Der zweite Film hieß Sabrina. William Holden, Humphrey Bogart und –? Ihm verdanke ich die Begegnung mit dem zartesten Elfenwesen der Leinwand: Audrey Hepburn. Man kann sich nicht vorstellen, wie unauffällig, wie bescheiden sie ist. Als Billy mich vorstellen wollte, war gerade Umbaupause. Aber sie war gar nicht in ihrer Stargarderobe. Wir fanden sie schließlich irgendwo in der Dekoration, auf einem klapprigen Stühlchen sitzend, mitten im Gehämmer und Gebrülle der Dekorationsarbeiter und Scheinwerferboys, ihre Zeilen für die nächste Szene vor sich hin murmelnd. Sie blickte auf, erhob sich halb von ihrem Stühlchen und lächelte. Haben Sie schon einmal ein Lächeln so ganz richtig – ich meine: bewusst, ich meine: so in der Großaufnahme—? Rrrrrrr…!“


1956 kehrte Friedrich Hollaender dann doch endgültig nach Deutschland zurück, wählt jedoch nicht Berlin, sondern München als Wohnsitz. In Berlin dreht er unter der Regie von Billy Wilder mit James Cagney, Lieselotte Pulver und Horst Buchholz den Film Eins-zwei-drei, der zunächst ein Flop, aber in den späten 80er, frühen 90er Jahren des 20. Jahrhunderts für junge Kinogänger ein Kultfilm werden sollte. Ein anderer Film, in dem Hollaender für die Musik sorgte, war Das Spukschloß im Spessart. In diese Zeit fällt ein verwirrendes Ereignis, daß so mancher Remigrant ähnlich kennengelernt hat: Ohne Pass ist man kein Mensch. Und mancher wollte kein deutscher Mensch sein, wenn man ihm die alte Staatsbürgerschaft nur geben wollte, wenn der Betroffene den entsprechenden Antrag stellte. Georg Kreisler verzichtete auf den österreichische Pass und blieb Amerikaner. Wie kafkaesk die Bürokratie mit den einstigen Exilanten umgeht, dafür steht Hollaenders Schilderung exemplarisch:


Friedrich Hollaender„Nun aber, o Schreck – der mit so bibbernder Examensangst erkämpfte amerikanische Pass drohte abzulaufen, da ich die vorgeschriebene Wiederkehr in die Vereinigten Staaten über-schritten hatte. Staatenlos kann man beim besten Willen nicht herumlaufen. Was lag näher, als die deutsche Staatsbürgerschaft wieder anzunehmen. Aber das ist leicht gesagt. Groteskerweise musste ich, um wieder Deutscher werden zu können, genau den Beweis erbringen, der einst, im schnellsten Nachweisverfahren, genügt hatte, um nicht Deutscher sein zu dürfen. Das Etikett ‚Nichtarier‘ kam damals geradezu mit einem Fliegengewicht von Leichtigkeit angeflogen. Jetzt war das Gegenteil zu beweisen. Und eben schwer zu beweisen. Ich hatte meine Not, eben gerade den Nichtarier zu beweisen, um ins Mutterland aufgenommen zu werden. Wie beweist man das? Mit einer etwas verdrehten Logik nur dadurch, dass man beweisen kann, dass man es damals nicht beweisen konnte. Hoffentlich bleibt’s jetzt mal dabei – sonst fände eine unheilbare Verwirrung des Begriffs ‚Beweis’ statt.“


Autor:

Hajo Jahn

Die Fotos wurden uns freundlicherweise vom Weidle Verlag zur Verfügung gestellt
http://www.weidle-verlag.de


Literatur:

Friedrich Hollaender: „Menschliches Treibgut“, 1995, Weidle Verlag, Bonn, mit einem Vorwort von Thomas Mann und einem Nachwort von Volker Kühn.
Friedrich Hollaender: „Von Kopf bis Fuss: mein Leben mit Text und Musik“,
Hrsg. und kommentiert von Volker Kühn, 1996, ISBN 3-931135-17-9 Weidle Verlag, Beethovenplatz 4, D-53115 Bonn
(Die Originalausgabe erschien 1965 im Kindler Verlag, München)

CD:
„Friedrich Hollaender or The Laughter Of Loneliness“ von Dirk Raulf – eine Auseinandersetzung mit Friedrich Hollaenders musikalischem Erbe. Best.-Nr. FONO/NCC 8006, New Classiv Colours, Hauptstr. 100, D-50226 Frechen


Links (deutsch):

http://www.deutsches-filminstitut.de/dt2tp0116.htm

http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Hollaender

http://www.hr-online.de/website/derhr/home/index.jsp?rubrik=4142&key=standard_document_1011362

http://www.operone.de/komponist/hollaenderfr.html

http://www.radiobremen.de/magazin/kultur/musik/erinnerung

volume_up.gifhttp://demand.radiobremen.de/bb/redirect.lsc?stream=radiobremen/magazin/kultur/musik/hollaender_100.rm&content=content&media=rm

http://www.bear-family.de/tabel1/neuheit/spring2002/friedrich_hollaender.htm

http://www.filmevona-z.de/filmsuche.cfm?sucheNach=personNr&wert=136605

http://www.marlene.com/newsletter04.htm

http://www.filmportal.de/df/0a/Uebersicht,,,,,,,,93C02DA025EE4360BC28157FC4AE48AB,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html

http://www.zeit.de/archiv/1996/43/hollaend.txt.19961018.xml?page=8

http://www.murnau-stiftung.de/de/suchergebnis.asp?ID=78

http://www.antiquario.de/a_autoren/h/Hollaender_Friedrich.html

http://www.echthoerbuch.de/makepage.php?rsl_rewritepar=1370/booknr/2425

http://www.duemling.de/musikerexil_in_kalifornien1.htm

http://www.orpheustrust.at/noten.php?l=g&von=91&notensearch=


International:

 

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