Josef Jedlicka
Schriftsteller
Geb. 16.3. 1927 in Prag/ CSSR
Gest. 5.12. 1990 in Augsburg
So unbequem Josef Jedlickas Leben war, so kompliziert gestaltete sich auch die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte seines literarischen Œuvres, das aus zwei Hauptwerken besteht: der Novelle Unterwegs (1966) und dem Roman Blut ist kein Wasser (1991).
Zwischen dem Erscheinen der beiden Bücher liegt ein Vierteljahrhundert. Beide haben bilanzierenden Charakter. Das erste schrieb er ungefähr in der Mitte eines Lebens, das zweite, von schwerer Krankheit gezeichnet, im Wettlauf mit dem Tot. Beide sind in der Verbannung entstanden, das erste während der Stalinzeit in innerer Emigration im nordböhmischen Litvínov, wohin er sich 1953 als politisch unerwünschte Person zurückgezogen hatte, das zweite im deutschen Exil, wo er seit 1968 lebte. Beide zählen zu den Meisterwerken der tschechischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Dennoch steht der hohen Wertschätzung, die Josef Jedlicka bei Literaturkennern genießt, eine relative Unbekanntheit in breiteren Leserschichten gegenüber. Das erklärt sich aus seinem Lebensschicksal, das von den historischen Zäsuren seines Heimatlandes gezeichnet wurde – der kommunistischen Machtübernahme 1948 und der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968. Es ist das exemplarische Schicksal eines Mitteleuropäischen Intellektuellen, der in einerpluralistischen, demokratischen Gesellschaft im noch ungeteilten Europe aufwuchs, von Begabung und Erziehung her zu einem akademischen Werdegang prädestiniert schien, durch die politischen Bedingungen jedoch aus der ihm vorgezeichneten Bahn geworfen wurde.
Um Josef Jedlickas literarische Leistung wirklich würdigen und seine Bedeutung für die tschechische Literatur einschätzen zu können, muss man sich vergegenwärtigen, das die tschechoslowakische Kultur in der Ära des Kommunismus zentralistisch gelenkt und politischen Zielsetzungen unterworfen war, mit Ausnahme des sich seit 1963 abzeichnenden Vorfrühlings, in dem die staatliche Kontrolle schwächer wurde. Das literarische Leben, begleitet von Schriftstellerverfolgungen und Ausgrenzungen, spielte sich in diesem Zeitraum daher zum Großteil – unsichtbar für die Öffentlichkeit – in den Katakomben ab, wobei bekanntlich nicht nur Jedlickas Generation von den Auswirkungen des Totalitarismus betroffen war. Dass nach der Samtenen Revolution in Jahre 1989 nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten, der Zugang zur Samisdat- und Exilliteratur gehabt hatte, mit dem tatsächlichen Reichtum der Literatur vertraut war, und tschechische Autoren internationalen Rangs daheim bestenfalls als Regimekritiker im öffentlichen Bewusstsein figurierten, ist aber nicht nur auf die Publikationsverbote zurückzuführen; politisch Unangepasste und Verfasser ideologisch nicht genehmer Werke wurden auch in den Literaturgeschichten totgeschwiegen. Daher war auch Josef Jedlicka, dessen literarisches Debüt in einer kleinen, rasch ausgekauften Auflage herausgekommen war, in den zwei Jahrzehnten der Normalisierung in Vergessenheit geraten und höchstens Hörern der Münchner Rundfunkstation Radio Freies Europa bekannt, bei der er nach seiner Emigration eine Anstellung als Redakteur gefunden hatte.
Bei Radio Freies Europa verfasste er neben Beiträgen zur Tagesjournalistik zahllose literarische und kulturphilosophische Essays, vor allem für das Wochenmagazin Aktuelles und Ewiges. Aus diesem Fundus wurden nach seinem Tod zwei Bücher zusammengestellt: Tschechische Typen oder die Frage nach unserem Helden, Prag 1992, und Zerstreut in Raum und Zeit, Brünn 2000. Jedlicka beschäftigte sich in diesen stilistisch ausgefeilten Arbeiten mit tschechischen Schriftstellern und Repräsentanten des Geisteslebens, aber auch mit Autoren wie Novalis, Heine, Thomas Mann, Sartre, Canetti und vielen anderen, wobei er seinen Landsleuten immer auch eine ethische Botschaft zu vermitteln und einen für sie gesellschaftlich oder existenziell relevanten Bezug herzustellen versuchte. Ein wiederkehrendes Thema stellte dabei die Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus, dem Patriotismus, mit der Frage von Freiheit und Verantwortlichkeit oder mit dem Phänomen und der Bedeutung des kulturellen Außenseitertums dar. Bei Persönlichkeiten tschechischer Provenienz umriss Jedlicka ihren Stellenwert für die tschechische Kultur, und in mehreren Essays bemühte er sich, Grundzüge des tschechischen Nationalcharakters herauszuarbeiten, wie er sich in allgemein bekannten literarischen Helden wie dem Švejk manifestiert.
Neben seiner Tätigkeit beim Rundfunk publizierte er in Exilperiodika, beispielweise in der seit 1956 bestehenden, von Pavel Tigrid (geboren 1917) edierten Pariser Exilzeitschrift Svedectví, einem Forum russischer und osteuropäischer Autoren, abgedruckte Studie Eine verschüttete Kultur oder was nicht mehr an die Tagesordnung kam. Die Kontinuität der tschechischen Literatur und ihr europäischer Zusammenhang im Zeitalter des Totalitarismus. Sie entstand zu einem Zeitpunkt, da man im Ausland die Folgen der Säuberungen in der tschechoslowakischen Kultur mit dem Schlagwort vom „geistigen Biafra“ umschrieb. Jedlicka wollte mit seiner Aufarbeitung dem „Niedergang des nationalen Kulturbewusstseins“ und der Bedrohung der „geistigen Erinnerung“ entgegenwirken. Das erinnert an Milan Kunderas (geboren 1929) ersten in der Emigration herausgegebenen Roman Das Buch vom Lachen und vom Vergessen, Paris 1979, den er bezogen auf den Beginn der Normalisierung mit dem Satz einleitete: „Der Kampf des Menschen gegen die Macht ist der Kampf des Gedächtnisses gegen das Vergessen“. Jedlickas von kulturgeschichtlichen und politischen Analysen untermauerte Rekonstruktion des literarischen Kanons seit 1939 war zur damaligen Zeit mangels verlässlicher Informationen und angesichts des völlig unzureichenden Standes der tschechischen Literaturgeschichtsschreibung eine unschätzbare Studienquelle, doch wird man auch heute noch aus der Lektüre Nutzen ziehen. 1987 veröffentlichte er in der Londoner Exilzeitschrift Rozmluvy (Gespräche) eine literaturwissenschaftliche Studie, in der er sich tabuisierten und totgeschwiegenen tschechischen Autoren und Werken zuwandte.
Zu dokumentieren, zu rekonstruieren, Zeugnis abzulegen ist eine Motivation, die das Gesamte Werk von Josef Jedlicka, das man als Ausdruck einer bewussten Gedächtniskultur werten kann, dominiert. Er erlegte sich selbst die Rolle des Zeugen auf, der in seinen Büchern wiederholt die Absicht deklariert, nicht Fiktion, sondern Fakten zu liefern.
Autorin:
Christa Rothmeier
Dieser Beitrag wurde dem Exil-Archiv freundlicherweise von der Initiative „Tschechische Bibliothek“ zur Verfügung gestellt. Die „Tschechische Bibliothek“ ist eine Initiative der Robert Bosch-Stiftung, einer der großen unternehmensverbundenen Stiftungen in Deutschland, die sich unter anderem der Völkerverständigung widmet. Mit der „Tschechischen Bibliothek“ möchte die Stiftung einen Beitrag zur deutsch-tschechischen Verständigung leisten. Zusätzlich zur Bibliothek wird eine Reihe begleitender Veranstaltungen gefördert wie eine Konferenz der Literatur-Übersetzer aus dem Tschechischen im Januar 2002, die deutsch-tschechische Übersetzerwerkstatt in Straelen im November 2003 oder die „Prager Nacht“, eine Entdeckungsfahrt durch die tschechische Literatur in zahlreichen deutschen Städten 2002-2005.
Die Tschechische Bibliothek in 33 Bänden
Herausgegeben von:
Hans Dieter Zimmermann, Eckhard Thiele,
Peter Demetz, Jiri Grusa und Peter Kosta.
Josef Jedlicka
Blut ist kein Wasser
Roman. Aus dem Tschechischen übersetzt und
mit einem Nachwort von Christa Rothmeier
DVA, Stuttgart/München 2002
ISBN: 3421052441
Leseprobe:
Wie schon angesprochen, spielte sich die Familiengeschichte meiner Mutter in einem Milieu ab, das vom Schauplatz der Historie von Vaters Familie grundverschieden war. Und dennoch lassen beide Familien so viele auffällige Übereinstimmungen erkennen, daß sich der Gedanke einer Art schicksalhaft vorausbestimmter Wechselbeziehung geradezu aufdrängt.
Es stimmt schon – alles passierte zur gleichen Zeit und in einem bereits damals kulturell einheitlichen Raum, Vater wie Mutter stammten aus der gleichen mittelmäßig begüterten Handwerkerschicht, und ihre Vorfahren und Altersgenossen wichen, wie sie selbst, keineswegs spektakulär von allgemeinen gesellschaftlichen Klischees ab. Ungeachtet dessen tragen sich die entscheidenden Ereignisse sowohl in Neuhaus als auch in Gewitsch erst nach dem mißglückten Anlauf einer ersten Ehe meiner beiden Großmütter zu
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Diese Leseprobe wurde dem Exil-Archiv freundlicherweise von der Deutschen Verlags-Anstalt zur Verfügung gestellt.
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