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Keun, Irmgard

H.A.M. 0

Irmgard Keun
Schriftstellerin


Geb. 6.2.1905 in Berlin
Gest. 5.5.1982 in Köln


„Ist die Grenze ein Strich, was ist sie? Ich verstehe es nicht. Ein Zug hört auf zu fahren, das ist die Grenze.
Männer kommen, machen Koffer auf, suchen – Grenze heißt Angst haben.
Der Zug fährt wieder, mein Hundertmarkschein fährt, Franz fährt, alles fährt mit, nur die Angst fährt nicht mehr mit. Das war die Grenze.
Und so liege ich in einem dunkelblauen rasenden Bett der Nacht. Franz, alles wird gut, ich bin glücklich, wir sind gerettet, wir werden leben.
Die Dächer, die du siehst, sind nicht für dich gebaut.
Das Brot, das du riechst, ist nicht für dich gebacken.
Und die Sprache, die du hörst, wird nicht für dich gesprochen.’“

aus: Irmgard Keun „Nach Mitternacht“, Büchergilde Gutenberg, Frankfurt/M. 1998. Lizenzausgabe mit Genehmigung des Claassen Verlags, Hildesheim. © 1980 Claassen-Verlag, ISBN 3-7632-4747-5, S. 167.


Irmgard Keun wird am 6. Februar 1905 als Tochter des Kölner Kaufmanns Eduard Ferdinand Keun in Berlin geboren. Das Kind aus liberalem Elternhaus wächst in Berlin und Köln auf. Nach dem Besuch des Lindenthaler Mädchen-Lyzeums arbeitet Irmgard Keun zunächst als Stenotypistin und belegt gleichzeitig Bühnenkurse an der Kölner Schauspielschule. Engagements führen die junge Schauspielerin dann über das Greifswalder Stadttheater bis zum Thalia-Theater Hamburg.


Von Alfred Döblin zum Schreiben ermuntert, veröffentlicht Irmgard Keun 1931 ihren Romanerstling „Gilgi – eine von uns“. Kurt Tucholsky bemerkt dazu: „Eine schreibende Frau mit Humor, sieh mal an! Hurra! Hier arbeitet ein Talent!“ Keuns Buch erreicht eine Auflage von 30.000 Büchern. Ihr zweiter Roman „Das kunstseidene Mädchen“ aus dem Jahr 1932 wird direkt zu einem Bestseller und Irmgard Keun zum Liebling der Berliner Literatenszene. Die Protagonistinnen beider Romane sind junge Frauen, die über ihre kleinbürgerlichen Ursprünge hinaus sich emanzipieren, behaupten und unabhängig leben wollen. Nicht zuletzt Klaus Mann bescheinigt der Schriftstellerin Keun einen psychologisch scharfsinnigen und ironischen Einblick in die „deutsche Wirklichkeit“. Die unverhohlene Gesellschafts-kritik in ihren Romanen trägt mit dazu bei, daß Irmgard Keuns Werke bei den Nationalsozialisten recht bald als sogenannte „Asphaltliteratur mit antideutscher Tendenz“ auf der Schwarzen Liste stehen.


Irmgard Keun erhebt 1935 wegen der Beschlagnahme ihrer noch im Verlagslager gestapelten Bücher durch die Geheime Staatspolizei Schadenersatzklage gegen den preussischen Fiskus. Bald darauf wird sie von der Gestapo verhört und gefoltert. Sie kann noch im selben Jahr aus Nazi-Deutschland flüchten und läßt sich mit einem belgischen Visum in Oostende nieder. Ihr Ehemann Johannes Tralow, den sie kurz zuvor geheiratet hatte, bleibt im Deuschen Reich zurück . Er hatte sich, so Keun, „leider als Opportunist entpuppt“.


Zweite Exilstation der Schriftstellerin werden die Niederlande, wo sie im Kreis der Emigranten um Stefan Zweig, Ernst Toller, Hermann Kesten und Egon Erwin Kisch die Bekanntschaft mit ihrem späteren Lebensgefährten Joseph Roth macht, den sie auch kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in seine galizische Heimat nach Lemberg begleitet.

Im niederländischen Exil veröffentlicht sie im Querido-Verlag Amsterdam das Buch „Nach Mitternacht“ (1937), eine Abhandlung über den alltäglichen Faschismus. Im Amsterda-
mer Exil erscheinen in der Folgezeit: „Das Mädchen, mit dem
die Kinder nicht verkehren durften“ (1936), „D-Zug 3. Klasse“ (1938) und „Kind aller Länder“ ((1939).


1940 wird Irmgard Keun vom deutschen Einmarsch in den Niederlanden überrascht. Mit falschen Papieren kehrt sie ins Deutsche Reich zurück, wo sie bei ihren Eltern in Köln Unterschlupf findet. Nach Kriegsende lebt sie zwischenzeitlich in Starnberg und Bad Godesberg, kehrt aber wieder nach Köln zurück, wo sie im Mai 1982 stirbt.

Veröffentlichungen nach 1945:

1) Bilder und Gedichte aus der Emigration (1946)
2) „Nur noch Frauen…“ ((1949)
3) „Ferdinand, der Mann mit dem freundlichen Herzen“ (1949)
4) „Wenn wir alle gut wären“ , Erzählungen (1957)
5) „Blühende Neurosen“ (1962)

Verfilmungen:

1) „Das Kunstseidene Mädchen“, 1960 (mit Giulietta Masina in der Hauptrolle)
2) „Nach Mitternacht“ 1981


Literatur:

Häntschel, Hiltrud. 2001. Irmgard Keun. Rororo Monographie. Reinbeck b. Hamburg. Rowohlt TB.
Horsley, Ritta Jo. 1988. „Irmgard Keun“ in: Dictionary of Literacy Biography. Vol 69. (Contemporary German Prose Fiction: 1945 to the Present). Hg. Wolfgang D. Elfe & James Hardin. Detroit. Gale Research Company.
Horsley, Ritta (Joey). 1990. „‚Warum habe ich keine Worte?…kein Wort trifft zutiefst hinein‘.: The Problematics of Language in the Early Novels of Irmgard Keun“. Colloquia Germanica 23, 3-4 (1990): 297-313
Horsley, Ritta Jo. 1992. „Irmgard Keun (1905-1982): ‚Auf dem Trittbrett eines rasenden Zuges‘ – Irmgard Keun zwischen Wahn und Wirklichkeit“, in Duda, Sibylle & Luise F. Pusch. Hg. 1992
WahnsinnsFrauen, Frankfurt/M. suhrkamp TB 1876 S. 280-308.
Horsley, Ritta Jo (Joey). 1993. „Whitness, Critic, Victim: Irmgard Keun and the Years of National Socialism“, in Gender, Patriarchy and Fascism in the Third Reich: The Response of Women Writers. Hg. Elaine Martin. Detroit, MI. Wayne State Press. 65-117
Horsley, Ritta Jo (Joey). 1998. „Irmagard Keun“, Women Writers in German-Spaeking Countries: A Bio-bibliographical Critical Sourcebook. Hg. Elke Fredriksen & Elizabeth Ametsbichler. Westport, CT; London. Greenwood. 233-43.
Horsley, Ritta Jo (Joey). 2000. „‚This Number is Not in Service‘: Destabilizing Identities in Irmgard Keun’s Novels from Weimar and Exile.“ In Facing Fascism and Confronting the Past: German Women Writers from Weimar to the Present. Hg. Elke Fredriksen & Martha Wallach. Albany, NY. SUNY. S. 37-60
Keun, Irmgard. 1988. Ich lebe in einem wilden Wirbel: Briefe an Arnold Strauss, 1933-1947. Hg. Gabriele Kreis und Marjory S. Strauss. Düsseldorf. Claassen.
Keun, Irmgard. 1983 (1954). Wenn wir alle gut wären: Kleine Begebenheiten, Erinnerungen und Geschichten. Hg. Wilhelm Unger. Köln. Kiepenheuer & Witsch.
Krechel, Ursula. 1979. „Irmgard Keun: Die Zerstörung der kalten Ordnung: Auch ein Versuch über das Vergessen weiblicher Kulturleistungen.“ Literaturmagazin 10: 103-128.
Kreis, Gabriele. 1993 (1991). „Was man glaubt, gibt es“: Das Leben der Irmgard Keun. München. Heyne TB.
Steinbach, Dietrich. 1985. „Irmgard Keun“, Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Hg. Heinz Ludwig Arnold. München. Edition text + kritik. S.1-11

Quelle: www.fembio.org/frauen-biographie/irmgard-keun.shtml


Weitere Literaturhinweise:

Irmgard Keun: „Heil Hitler – bei mir nicht!“ in: Serke, Jürgen: „Die verbrannten Dichter“, Beltz-Verlag Weinheim, Basel, Berlin 2002, S. 210-231, 391-392

Sowie:

Ausstellungskatalog zu: „Liebes- und Musengeschichten – das fragile Glück im Unglück von Verfolgung und Exil“ Sammlung Jürgen Serke, Hrsg.: Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft und -stiftung/ Hajo Jahn. 2003
Darin: Joseph Roth-Irmgard Keun, a.a.O., S. 15-18

 

 

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