Alfred Kantorowicz
Literaturwissenschaftler, Journalist und Schriftsteller
Geb. 12.8.1899 in Berlin
Gest. 27.3.1979 in Hamburg
„Der stellte in Frage, was angeblich ewig dauern sollte. Die Mächtigen nennen das Ketzertum und fürchten solche innere Gegnerschaft weit mehr, als den Feind von außen. Der hier war ein Ketzer. Alle Zeiten, auch die unsere, haben diesen Typus nötig wie die Luft zum Atmen.“
(Ralph Giordano, 1999)
Alfred Kantorowicz‘ Biographie ist die lebenslange Geschichte eines Leidens an Deutschland und spiegelt auf tragische Weise die Katastrophen des Zeitalters der Extreme des 20. Jahrhunderts wieder.
Der siebzehnjährige Schüler aus einer gutbürgerlichen jüdischen Kaufmannsfamilie meldet sich als Kriegsfreiwilliger zum Militärdienst und nimmt bis zu seiner Verwundung am Ersten Weltkrieg teil; Erlebnisse, die er später eindrücklich in seinem Artikel Die schwerste Stunde dokumentiert.
1919 beginnt Alfred Kantorowicz auf Wunsch des Vaters ein Jurastudium, belegt aus eigenem Interesse aber zusätzlich noch Ger-manistik. In München macht er die Bekanntschaft mit Lion Feuchtwanger, über den er auch Oskar Maria Graf, Klabund und Bertold Brecht kennenlernt. Die letzte Station seiner Studentenlaufbahn ist Erlangen, wo Kantorowicz mit dem massiven Antisemitismus der Studentenschaft konfrontiert wird. Eine Erfahrung, die er in sein Theaterstück Erlangen. Deutschland: Das ist eine Minderheit!“ einarbeitet.
Auch das Thema seiner Doktorarbeit über Die völkerrechtlichen Grundlagen des nationaljüdischen Heims in Palästina hat seinen Ursprung in diesen Erfahrungen. 1924, in seine Geburtsstadt zurückgekehrt, wird er Mitarbeiter der Vossischen Zeitung, zwei Jahre später Kulturredakteur und Theaterkritiker für die Neue Badische Landeszeitung in Mannheim.
In der Nachfolge Kurt Tucholskys geht Alfred Kantorowicz 1928 als Kulturkorrespondent der Vossischen Zeitung nach Paris und schreibt nach seiner Rückkehr 1929 Literaturkritiken und Essays u.a. für die Vossische Zeitung, die Literarische Welt und andere Blätter.
Die ersten Anzeichen der Weltwirtschaftskrise sind bereits unüber-sehbar, gekennzeichnet durch zunehmende Arbeitslosigkeit und das bedrohliche Wachstum des Nationalsozialismus. Trotz einer nahezu „unüberwindlichen Scheu vor gruppenmäßiger organisatorischer Bindung und Unterordnung unter Parteidisziplin“ tritt er – ebenso wie Arthur Koestler – im Herbst 1931 der Kommunistischen Partei bei und lebt als Mitglied der Künstlerkolonie am Laubenheimer Platz (dem heutigen Ludwig-Barnay-Platz) in Berlin-Wilmersdorf.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 ist Kantorowicz in seiner Wohnung nicht mehr sicher. Der befreundete Schriftsteller Friedrich Hielscher, dessen Wohnung ein Treffpunkt für SA-Leute ist, gewährt ihm Unterschlupf; für den Nazi-Gegner Kantorowicz eine mehr als paradoxe Situation.
Am 19. Februar 1933 findet in der Kroll-Oper der Kongress Das Freie Wort statt, wo „zum letzten Mal der Ruf nach Gedankenfreiheit ertönte“ (Kantorowicz). Als Reaktion auf einen Artikel in der kommunistischen Welt am Abend wird die Zeitung von den Nazis umgehend verboten und gegen Kantorowicz ein Haftbefehl erlassen.
Am 12. März 1933 beginnt Kantorowicz‘ französisches Exil. In Paris bezieht er jenes Hotel, in dem er bereits als Korrespondent gewohnt hat. Hier kann er durch die Mitarbeit an dem von Willi Münzenberg herausgegebenen Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror etwas Geld zu dem hinzuverdienen, was seine spätere Ehefrau Friedel für Schreibarbeiten, z.B. für Johannes R. Becher, erhält.
Zum ersten Jahrestag der Bücherverbrennung gründet Alfred Kantorowicz in der französischen Hauptstadt die Deutsche Freiheitsbibliothek, die bereits am 10. Mai 1934 über 11 Tausend Bände verfügt. Zusätzlich zu seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Direktor dieser Bibliothek wird er Generalsekretär des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller (SDS) in Paris. Bis Kriegsausbruch bleibt die Deutsche Freiheitsbibliothek ein geistiges Zentrum von Exilautoren und ihrer verbotenen und verbrannten Bücher und bietet zudem Journalisten aus aller Welt ein umfangreiches Archiv über den antifaschistischen Kampf gegen Hitler. Unterstützt wird die Arbeit des Archivs u.a. von Persönlichkeiten wie Romain Rolland, André Gide, H. G. Wells und Heinrich Mann.
1934 steht sein Name neben dem von Klaus Mann, Erich Weinert und vielen anderen auf der dritten Ausbürgerungsliste.
Im Pariser Tageblatt schreibt Kantorowicz über das Buch: „Deutsch für Deutsche: das ist nicht nur ein Titel, der tarnen soll vor dem Zugriff der Hitlerschergen. Das ist ein Programm. Deutsche Schriftsteller sprechen zu Deutschen. Sie sprechen von der Wahrheit, der Freiheit, der Gerechtigkeit und von dem Kampf für das bessere Morgen, um dessentwillen sie ins Exil gegangen sind.“
Neben seiner Tätigkeit in der Bibliothek schreibt Alfred Kantorowicz Artikel für Exilzeitungen wie das Pariser Tageblatt, Pariser Tageszeitung, Die Sammlung, Der deutsche Schriftsteller, Internationale Literatur und den Aufbau.
Zwischen 1936 und 1938 kämpft er auf der Seite der Republikaner im spanischen Bürgerkrieg und dokumentiert seine Erlebnisse später in der Reportagesammlung Tschapaiew. Das Bataillon der 21 Nationen und in seinem wohl berühmtesten Werk Spanisches Tagebuch (später als Spanisches Kriegstagebuch erschienen).
Nach dem Sieg der Francotruppen lebt Alfred Kantorowicz vorübergehend in Paris zurück, siedelt aber kurz danach in den Süden Frankreichs über. Im Mai 1938 wendet er sich mit der Bitte um ein Stipendium an die American Guild for German Cultural Freedom, um seine Tagebücher aus dem Spanischen Bürgerkrieg zu einem Buch verdichten zu können. Ein Vorhaben, das durch viele Prominente – unter ihnen auch Heinrich Mann – unterstützt wird. Kantorowicz erhält finanzielle Unterstützung für ein halbes Jahr, dazu Geld aus der Schweiz und 1939 zudem noch mehrere hundert US-Dollar von Ernest Hemingway. Im selben Jahr lädt ihn – gemeinsam mit dem Schriftsteller Egon Erwin Kisch – zu einem Arbeitsaufenthalt in ihr Heim in Grasse ein.
Alfred Kantorowicz zieht nach Bormes-les-Mimosas in der Nähe des Dorfes Le Lavandou, von wo er – kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges – wie die meisten hier lebenden Deutschen und Österreicher – in einem Sammellager bei Toulon interniert und später nach Les Milles verlegt. Nach einigen Wochen ist er wieder auf freiem Fuß, wird jedoch im Mai 1940 (nach dem deutschen Überfall auf Frankreich) erneut nach Les Milles geschickt, wo er Zeuge wird, wie der deutsche Dramatiker Walter Hasenclever aus Verzweiflung Selbstmord begeht.
Während eines Transportes gelingt Kantorowicz die Flucht vor den anrückenden Hitler-Truppen. Von Marseille aus gelingt ihm, gemeinsam mit seiner späteren Frau, Ende März 1941 die Flucht auf einem Frachter über Martinique New York. Seinen Kampf um die nötigen Papiere zur Ausreise und die ständige Angst vor Verhaftung hat die Schriftstellerin Anna Seghers in ihrem Roman Transit verarbeitet.
In den Vereinigten Staaten arbeitet Kantorowicz zunächst für die CBS (Columbian Broadcasting System) und kann sich damit, im Gegensatz zu den meisten anderen Exilanten – die sich vielfach als Drehbuchautoren in Hollywood durchschlagen -, ein finanzielles Standbein schaffen. Wie fast alle Exilautoren steht auch Alfred Kantorowicz in den USA unter Beobachtung durch das FBI.
Bereits 1946 kehrt er über Bremerhaven nach Berlin zurück, erhält eine Professor an der dortigen Humboldt-Universität und gibt von 1947 bis 1949 in Ostberlin die Zeitschrift Ost und West heraus, die sich der Spaltung Deutschlands entgegenstellt. Alfred Kantorowicz sieht sich als Teil jenes anderen Deutschlands, das er in seinem berühmt gewordenen Essay „In unserem Lager ist Deutschland“ beschreibt. Ende 1949 unterbindet die SED das weitere Erscheinen der Zeitschrift und Kantorowicz gerät durch seine kritische Haltung, gepaart mit Widerwillen gegen alle Eingriffe von Funktionären in wissenschaftliche und literarische Arbeit, zunehmend in Konflikt mit der DDR. Als Unperson totgeschwiegen, verschwindet der Name des streitbaren Humanisten und Schriftstellers allmählich aus den Werken der Literaturgeschichte.
1957 geht der Widerständige in den Westen. Den Spanienkämpfer, Emigranten, Juden und ehemaligen Kommunisten empfängt die Bundesrepublik keineswegs mit offenen Armen und erst im Jahre 1966 wird er als politischer Flüchtling anerkannt.
Bis 1962 lebt Alfred Kantorowicz in München, wo er eine Anstellung beim Kindler Verlag findet, der auch seine Tagebücher der Jahre 1945-1957 unter dem Titel Deutsches Tagebuch veröffentlicht, eine literarische Fundgrube über die Gründerjahre der DDR, die einen dezidierten Einblick in die Methoden der Unterdrückung widerständigen Geistes und unliebsamer Literatur.
Seine letzten Lebensjahre verbringt er in Hamburg, wo Kantorowicz Mitglied der Freien Akademie der Künste wird und 1969 den Thomas-Dehler-Preis des Ministeriums für Gesamtdeutsche Fragen erhält.
Links (deutsch):
http://www.alfred-kantorowicz.de/index2.htm
http://www.kuenstlerkolonie-berlin.de/bewohner/kanto.htm
http://www.berliner-lesezeichen.de/lesezei/Blz00_04/text01.htm
http://www.comiccongress.de/alfred.htm
http://www.gegen-diktatur.de/beispiel.php?beisp_id=223&tafel_id=22&thema=1
http://www.raederscheidt.com/Les%20Milles.htm
http://www.antiquario.de/a_autoren/k/Kantorowicz_Alfred.html
http://www.zvab.com/angebote/kantorowicz.html
http://www.bpb.de/publikationen/CAETVS,1,0,Die_SED_und_die_Schriftsteller_1946_bis_1956.html
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