Liebes und Musengeschichten – Das fragile Glück im Unglück von Verfolgung und Exil
…ist das Thema der Ausstellung. Die Dokumentation reicht von prominenten Namen wie Else Lasker-Schüler, Alfred Döblin oder Joseph Roth bis zu heute kaum mehr bekannten Autoren.
Die Paargeschichten dieser literarischen Exil-Ausstellung wurden erstmals aus Anlass des X. Else-Lasker-Schüler-Forums vorgestellt: Vom 14. November 2002 bis zum 23. März 2003 im Kunstmuseum Baden, Solingen. Vom 27. Januar (Holocaust-Gedenktag) bis zum 29. Februar 2004 waren sie in der Landesvertretung des Saarlandes in Berlin zu sehen. Danach in Breslau, Prag und Jerusalem.
Ein Mensch der Liebe kann nur auferstehen
Letzte Lebensstation Else Lasker-Schülers in Jerusalem: Sie ist 71 Jahre alt und liebt den aus Berlin stammenden 30 Jahre jüngeren Hochschullehrer Ernst Simon. Sie schiebt ihm nach Vortragsabenden Zettel zu mit den Worten: „I love you. I kiss you always day and night. “ Sie lässt ihm Briefe zukommen: „Man muß nicht kleinlich denken. Ich wollte Deine Finger schnell küssen, aber faßte sie nicht schnell genug und warf Dir Kuß- hände. Niemand sah es. Mir sind ja die Weiber und ihre Männer egale, aber Dir nicht. Ich küsse Dich immer… Ich küsse immer Deine Hände, Deine Schulter, Deine Arme, Deine Lenden, Deinen Leib, Deine Beine, Deine Füße, lieg nachts auf Deinem Gesicht, das enthüllt mir alles. Ich hör Dich manch-mal schimpfen mit mir, schadet nichts… „
Soll man, darf man solche Briefe veröffentlichen, wie es hier erstmals geschieht? Ja, man soll und darf. Nicht zuletzt deshalb, um zu zeigen, welcher Preis dafür bezahlt wird, um in einer Legende zu verschwinden. In der Legende der Dichterin hat das lyrische Ich das „simple Leben“ ausgelöscht. Da sind der Schmerz und das Leid schön. Ewig jung, alterslos geht Jussuf, Prinz von Theben, durch die Legende der Lasker-Schüler. Was die Bestandteile der Legende ausmachen, gerinnt zu dem berühmten Foto, auf dem sie die Flöte spielt, gekleidet in weiße Stiefeletten, in Atlasseide, Pluderhose, Russenjacke, den Dolch im Gewande.
„In der Nacht meiner tiefsten Not erhob ich mich zum Prinzen von Theben“, schrieb sie zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts. Als dessen Personifizierung konnte man durch Berlin gehen, aber nicht durch das Jerusalem der vierziger Jahre. Else Lasker-Schülers Vorstellung vom „Hebräerland“ hatte nichts oder sehr wenig mit dem täglichen Überlebenskampf derjenigen deutschen Juden zu tun, die in Palästina Zuflucht gefunden hatten. Einige wussten um die Bedeutung der Dichterin, wussten um ihre Hilflosigkeit und halfen, nicht zuletzt finanziell.
Else Lasker-Schüler war körperlich gebrechlich, aber geistig völlig klar. Doch ihre Hellsicht wird als verrückt denunziert: Ihr Theaterstück „IchundIch“ wird über ihren Tod hinaus viele Jahre versteckt, ehe eine andere Generation ihre Darstellung von Hitlers Teufelswelt als eine geniale Antwort auf Goethes „Faust“-Dichtung sieht. Ihre Sicht auf jene Gewalt, die sie 1933 aus Deutschland vertrieben hat, macht sie nicht milde gegenüber den Juden in Palästina. Und so, wie sie in ihrem Theaterstück Jerusalem nicht in eine himmlische, sondern in eine höllische Stadt verwandelt, schreibt sie an den von ihr geliebten Ernst Simon: „Ich bin aus diesem jüdischen Volk geschieden! Ich werde mal Schofar blasen, daß es noch Jahre lang in die Ohren der Spießergesellschaft Israels hier posaunt… Solch ein Volk wie hier habe ich nie erlebt. Könnt ich nur fort. „
Für Else Lasker-Schüler sind die Briefe ein Probesprechen für das, was Dichtung werden soll. Ernst Simon, der Freund und Mitarbeiter Martin Bubers, die Worte wägend, von völlig anderer Intelligenz als die Dichterin, muss Himmel und Hölle geschwitzt haben – ganz gleich, ob es um Politik, Liebe oder Freunde ging. Originalton Lasker-Schüler über Gershom Scholem: „Den kann ich nun nicht ausstehen! Ein Clown ohne Ulk. Er ist nicht ernst, aber ernsthaft. Ich möchte mich direkt mal mit ihm boxen.“ Doch Ernst Simon, Ehemann, Vater zweier Kinder, nach dem Krieg Professor für Pädagogik in Jerusalem, hat die Briefe, hunderte von Seiten, aufgehoben, auch die, in denen die Dichterin ihn bitter und ironisch attackiert.
Ernst Simon, 1988 im Alter vom 89 Jahren in Jerusalem gestorben, hatte das Briefkonvolut 1955 der Universitätsbibliothek geschenkt und die Veröffentlichung zehn Jahre über seinen Tod hinaus gesperrt. Den zahllosen Briefen der Dichterin stehen: 15 gegenüber, die Simon schrieb und zum Nachlass Else Lasker-Schülers gehören. Der 41jährige fühlt sich geschmeichelt, als ihm Else Lasker-Schüler 1940 schreibt. Sie besucht seine Vortragsabende, ist hingerissen von der Art, seine Zuhörer in seinen Bann zu ziehen, und sie nennt ihn sehr schnell „Ernest Apoll“, schenkt ihm Gedichte, Liebesgedichte. Er bleibt beim „Sie“, sie meistens auch, wechselt in den Briefen ins distanzüberwindende Englisch: „I love you Tag und Nacht. „
Jussuf, der Prinz von Theben, spürt, dass Else Lasker-Schüler Ernst Simon mit ihrer Direktheit verstört, und schreibt dann: „Ich beabsichtige nichts. Ich bin doch eine Dichterin, und wirkliche Liebe darf nur im Traum wohnen. Sie sind im Traum meine Wiesenschaumkrautwiese und
Auf einmal mußte ich singen —
Und ich wußte nicht warum?
— Doch abends weinte ich bitterlich.
Es stieg aus allen
Ein Schmerz, und der ging um
— Und legte sich auf mich.
„Fest stehen auf der Erde, ich meine realistisch denken, denken können, kann nur ein Mensch mit einem Himmel über sich „, hatte sie ihm geschrieben und sich gewünscht: „Ich möchte die Sprache des Himmels können. “ Sie kann sie. „Komm zu mir in der Nacht — wir schlafen engverschlungen „, heißt es in dem Gedichtband. Auch: „Und hast mein Herz verschmäht — / In die Himmel wärs geschwebt… “ Und triumphierend: „Ich liebe dich! / Ich liebe dich! / Ich liebe dich!/ Es öffnen deine Lippen sich / Die Welt ist taub, / Die Welt ist blind/ Und auch die Wolke/ Und das Laub —/ —Nur wir, der goldene Staub, /Aus dem wir zwei bereitet: / — Sind!“
Noch einmal gelingen ihr Liebesgedichte des Schmerzes, der Erfüllung im Unerfülltsein wie vor genau 30 Jahren, als sie den 17 Jahre jüngeren Gottfried Benn besang („Aber dein Herz läßt keine Meere mehr ein. / O du!“) und der ihre Liebe mit Gedichten beantwortete und seinem Gedichtheft „Söhne“ die Widmung voranstellte: „Ich grüße Else Lasker-Schüler: ziellose Hand aus Spiel und Blut.“ Else Lasker-Schüler war damals 44 Jahre alt, genau so alt wie Ernst Simon, als „Das blaue Klavier“ erscheint. Für ihn, Ernst Simon, blühte sie noch einmal auf. Für sich selbst wusste sie, dass mit dem „Blauen Klavier“ alle Worte verbraucht waren und selbst der poetischste Satz den Mangel nicht mehr mehr zuzuschminken vermochte.
Als ich 1976 nach Jerusalem kam, um für mein Buch „Die verbrannten Dichter“ das Schicksal Else Lasker-Schülers an ihrer letzten Lebensstation zu recherchieren, da waren die Spuren arabischen Umgangs mit dem Ölberg noch sichtbar. Viele Grabplatten waren weggeschleppt und zum Bau von Häusern benutzt worden — in jener Zeit vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967, als dieser Ort noch zu Jordanien gehörte. Der Stein Else Lasker-Schülers, unbehauen bis auf die Inschrift und mehrere Tonnen schwer, war umgestürzt. Zu schwer für einen Abtransport. Die Hadassah-Friedhofsgesellschaft erlaubte uns, dem Fotografen Wilfried Bauer und mir, den Stein wieder aufzustellen. Ein Kranwagen kam. Wir zahlten 750 Schekel.
Die Totenmaske der Dichterin, die wir fanden, fotografierte Wilfried Bauer im Abendlicht auf dem Ölberg. Und das Gesicht der 75jährigen zeigte ein Lächeln, das sonst nicht sichtbar ist.
Zeitzeugen gab es noch genug, und es gab den 1944 in einem deutschen KZ geborenen Jakob Hessing, heute Professor für deutsche Literatur an der Hebräischen Universität Jerusalem. 1964 war er nach dem Abitur in Westberlin ausgewandert nach Israel und saß mitten in seinen Forschungen über Else Lasker-Schüler, die zu zwei profunden Büchern über die Dichterin führen sollten. Von ihm kam der Hinweis, es doch einmal mit Ernst Simon als Gesprächspartner zu versuchen. Doch mein Gespräch mit Ernst Simon war kurz. Kein Wort über Else Lasker-Schüler zu seinen Lebzeiten. Er lehnte ab.
Nun, angesichts der Ausstellung, saß ich im Februar und März 2002 in der Jerusalemer Universitätsbibliothek und arbeitete mich durch das riesige Konvolut ungeordneter Briefe Else Lasker-Schülers an den von ihr geliebten Ernst Simon. Briefe, die herauskommen werden in der Kritischen Ausgabe ihrer Werke im Jüdischen Verlag des Suhrkamp-Unternehmens. Zu meiner Arbeit gehören die Begegnungen mit Israelis, die – scheinbar ohne Chance – an der Realisierung von Else Lasker-Schülers Traum vom „Hebräerland“ arbeiten.
Da ist Greta Klingsberg, meine Gastgeberin, einst die Aninka in Hans Krásas Kinderoper „Brundibár“ im Ghetto Theresienstadt, Auschwitz-Überlebende, in Jerusalem Angestellte der Musikabteilung des israelischen Rundfunks. Rentnerin im Unruhestand. Greta spricht arabisch und hat seit vielen Jahren Freunde im Palästinensischen. Wir fahren mit dem Taxi zu ihrer Freundin Kalima, die 50 Jahre alt ist und 15 war, als Greta sie kennerlernte. Kalima und ihr Mann haben ein Haus in Bet Zafafa. Das Dorf war bis zum Sechs-Tage-Krieg geteilt. Eine Tochter Kalimas ist Gretas Paten-kind. Die junge Frau lebt inzwischen in den USA. Bei einer Hochzeit der Familie war Greta die einzige Jüdin unter den Gästen.
Wir werden bei Kalima bewirtet. Am Ende führt uns Kalima durch ihren Olivenhain, begleitet uns ein Stück, und dann gehen wir ohne sie weiter durch das Palästinensische zurück ins jüdische Jerusalem. Ohne Angst, in der Sicherheit einer palästinensisch-jüdischen Freundschaft, um die die Menschen dort wissen.
Im Weincenter Gaffen, früher einmal German Colony in Jerusalem, sitzen wir am langen Tisch zusammen. Mit Maja, einer Grafikerin, die Plakate für die Demonstrationen gegen die Politik Ariel Scharons entwirft und herstellt. Auch Listen der Lebensmittel, die Israelis in den palästinensischen Gebieten herstellen und in Israel verkaufen. Aufruf zum Boykott solcher Waren. Marianne, gebürtige Berlinerin, 95 Jahre alt, zweimal wöchentlich Teilnehmerin an den Demonstrationen gegen die Scharon-Politik in Jerusalem, ist dabei. Ein Dutzend Frauen sitzen an dem Tisch, Frauen, die die Hoffnung auf eine Wende in der israelischen Politik und auch in der palästinensischen nicht aufgeben.
Greta und ich fahren mit der Linie sieben in die Jerusalemer Innenstadt. Wir steigen aus, als 200 Meter weiter ein palästinensischer Selbstmordattentäter sich und neun Israelis in die Luft sprengt, darunter ein sieben Monate und ein 18 Monate altes Kind. Die Sanitätswagen jagen mit Geheul durch die Strassen. Das Militär riegelt die Stadt ab. Wir laufen zum Zionsplatz, wo im einstigen Hotel Atlantic in den vierziger Jahren Else Lasker-Schüler eine zeitlang gewohnt und die Spatzen gefüttert hat: „Die Spatzen haben mich morgens nötig, Menschen hier nicht. „
Am Zionsplatz sammeln sich die Demonstranten. 3000 Menschen sind es an diesem Abend. Geschützt in einem Kordon von Polizisten, beschimpft von orthodoxen Juden, gehen wir zum Amtsgebäude Ariel Scharons, müssen an diesem Abend noch einmal durch einen schmalen Gang zwischen Gittern. Und dann sind wir da. In den Reden heißt es: Raus aus den besetzten Gebieten, zurück zu uns selber. Hören wir auf, uns weiter auf den Weg der Entmenschlichung schieben zu lassen.
Spuren Else Lasker-Schülers im Jahre 2002, Spuren ihres Denkens, ihrer Vision vom Heiligen Land der Gemeinsamkeit. Mit dem Blick auf ihre und anderer Flucht aus Deutschland schrieb sie: „An Kaktushecken vorbei und Steinen; Steine, die den angelangten Juden, erzählt man in Palästina, bei ihrer Ankunft im Heiligen Lande vom Herzen gefallen sind. “ Und sie träumte von einer „unverhetzten Liebe“ zum arabischen Volk.
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