Geb. 26.4.1907 in Groß Tuchen [Tuchomie] / Województwo Supskie/ Österreich-Ungarn
Gest. 29.7. 1995 in Köln
„Man mache sich nichts vor: Es gibt keine gesellschaftliche Freiheit ohne Freiheit für das Individuum, das nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit strebt und das, solange es menschliche Geschichte gibt, unter Freiheit die möglichste Freiheit von allen Schranken und Bindungen verstanden hat, versteht und verstehen wird.“
(Leo Kofler, 1951)
Der Kölner Sozialphilosoph Leo Kofler zählt neben dem Marburger Politologen Wolfgang Abendroth und den Frankfurter kritischen Theoretikern Max Horkheimer und Theodor W. Adorno zu den wenigen bekannten marxistischen Wissenschaftlern in der Bundesrepublik Deutschland.
Das erste von zwei Kindern des assimilierten jüdischen Grundbesitzers Markus Kofler und seiner Frau Mindel muß mit seiner Familie in den Kriegswirren 1915/16 die ostgalizische Heimat verlassen und nach Wien fliehen. Hier besucht Leo Kofler bis 1927 die Volks-, Bürger- und Handelsschule, arbeitet bis zur Weltwirtschaftskrise 1929 als Angestellter und wird danach arbeitslos. Bereits 1927 ist er in die Sozialistische Angestelltenjugend eingetreten und betätigt sich bald als Referent der sozialistischen Wiener Bildungszentrale.
In der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) engagiert sich Kofler Anfang der 30er Jahre auf seiten der politischen Linken und zieht sich nach der Zerschlagung der österreichischen Demokratie 1933/34 auf das wissenschaftliche Studium bei Max Adler zurück.
Nach dem Anschluß Österreichs an das faschistische Deutschland flieht Leo Kofler im Juli 1938 in die Schweiz, wo er in einem Baseler Emigrantenlager interniert wird.
In den Jahren 1940 bis 1944 wird Kofler zum Arbeitsdienst eingeteilt und widmet sich der Fortführung seiner theoretischen Studien, vor allem dem Werk von Georg Lukács. 1944 veröffentlicht er unter dem Pseudonym Stanislaw Warynski seine Schrift Die Wissenschaft von der Gesellschaft. Zur Methodenlehre einer dialektischen Soziologie.
Ein Großteil von Koflers Familie kommt im Holocaust um, seine Eltern werden 1942 erschossen.
1944-1947 Nach Befreiung vom Arbeitsdienst arbeitet der Soziologe an der Schrift Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Versuch einer verstehenden Deutung der Neuzeit, die 1948 in der späteren DDR erscheinen wird. Im September 1947 übersiedelt Kofler in die damalige SBZ und übernimmt eine Lehrtätigkeit an der Universität Halle/ Saale. 1948 habilitiert er sich und erhält eine Professur für Mittlere und Neue Geschichte.
Im Zuge der Stalinisierung von SED und DDR gerät Kofler ab 1949 mit seinem antibürokratischen Marxismusverständnis ins Kreuzfeuer der Parteiinstanzen. Nach öffentlicher Kritik wird er Anfang 1950 beurlaubt, verläßt im Frühjahr demonstrativ die SED und wird zum „ideologischen Schädling“, zum „Trotzkisten“, erklärt. Nach Berufsverbot und Verhaftsungsandrohung zieht Leo Kofler Ende 1950 mit seiner zukünftigen Frau Ursula Wieck über Westberlin nach Köln. Da Kofler jedoch österreichischer Staatsbürger ist, wird ihm lediglich eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erteilt.
Ab 1951 arbeitet er als wissenschaftlicher Autor und Volkshochschuldozent, engagiert sich in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit – ab 1953 unter anderem als Dozent an der (gewerkschaftlichen) Sozialakademie in Dortmund -, hält Vorträge beim Sozialistischen deutschen Studentenbund (SDS) und auf Einladung der Naturfreunde-Jugend und schreibt schreibt Artikel für sozialistische Publikationen wie links und Aufklärung.
In den 60er Jahren erweitert Leo Kofler seine wissenschaftliche Auseinandersetzung um Fragen der Literaturtheorie (Zur Theorie der modernen Literatur, 1962) und übt zunehmende Kritik am Marxo-Nihilismus der Frankfurter Schule um Theodor W.Adorno und Jürgen Habermas. Es folgen zusammenfassende Darstellungen seiner soziologischen Kritik der vermeintlich nivellierten Mittelstandsgesellschaft (Der proletarische Bürger, 1964), seiner sozialphilosophischen Kritik spätbürgerlicher Herrschaftsideologie (Der asketische Eros. Industriekultur und Ideologie, 1967) und seiner politischen Visionen (Perspektiven des revolutionären Humanismus, 1968).
Nach 1968 lehrt Kofler als Dozent an der Kölner Kunstakademie. Seine Frühschriften erscheinen in Form von Raubdrucken durch die Studentenbewegung, so z.B. Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, Die Geschichte von der Gesellschaft und Geschichte und Dialektik.
Zum 65. Geburtstag Leo Koflers wird seine Aufsatzsammlung Zur Dialektik der Kultur herausgegeben und er erhält – aufgrund studentischer Aktionen – einen Lehrauftrag an der Ruhr-Universität in Bochum, wo er 1973 eine Lehrstuhlvertretung für Soziologie übernimmt. 1975 wird er zum Honorarprofessor an der Universität Bochum ernannt.
In den frühen 80ern erscheinen kleinere Gelegenheitsschriften über anthropologische Themen (Der Alltag zwischen Eros und Entfremdung. Perspektiven zu einer Wissenschaft vom Alltag, sowie Eros. Ästhetik und Politik. Thesen zum Menschenbild bei Marx), zur Kritik der Grün-Alternativen (Kritik der Alternativen) und zum Neokonservatismus (Der Konservatismus zwischen Dekadenz und Reaktion).
In der zweiten Hälfte der 80er Jahre widmet sich Leo Kofler der Kritik des aufkommenden neoliberalen (von ihm noch manchesterliberal genannten) Sozialdarwinismus. Kofler sieht in Michail Gorbatschow die große Hoffnung auf einen Neuanfang der sozialistischen Bewegung (Aufbruch in der Sowjetunion? 1986). 1987 erscheint sein autobiographische Gesprächsband Die Kritik ist der Kopf der Leidenschaft. Aus dem Leben eines marxistischen Grenzgängers und 1991 die Festschrift Die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen bringen, in der Ursula Beer, Detlev Claussen, Diedrich Diederichsen, Frank Deppe, Frigga und Wolfgang Fritz Haug, Kornelia Hauser, Joachim Hirsch, Sabine Kebir, Reinhard Kühnl, Ernest Mandel, Jakob Moneta, Oskar Negt, Ursula Schmiederer, Siegfried Tornow und Winfried Wolf Beiträge zur zeitgenössischen marxistischen Theorie veröffentlichen.
Im Sommer 1991 erleidet Leo Kofler einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholt. Er wird, nach seinem Tod im Sommer 1995, in Köln beigesetzt.
Quelle:
Leo-Kofler-Gesellschaft http://www.leo-kofler.de
Literatur:
Christoph Jünke: Sozialistisches Strangut. Leo Kofler – Leben und Werk. VSA, Hamburg 2007
Links (deutsch):
http://coforum.de/index.php4?Leo_Kofler
http://www.marcuse.org/herbert/KoflerHerbert.htm
http://www.freitag.de/2001/05/01051801.htm
http://www.freitag.de/2001/09/01091802.htm
http://www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Utopie_kreativ/168/168_sauerzapf.pdf
http://www.kfunigraz.ac.at/sozwww/agsoe/bestand/tondok1.htm#kofler
http://www.lukacs-gesellschaft.de/forum/online/kofler.html
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/REZENSIO/buecher/2001/HeWl1201.htm
International:
http://www.marxists.org/nederlands/mandel/1980/1980staat.htm
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