Reiner Kunze
Schriftsteller und Journalist
Geb. 16.8.1933 in Oelsnitz/ Erzgebirge
„LITERATURUNTERRICHT“
Sie war außer sich. Der Lehrer hatte Pasternak und Solschenizyn als Gesindel bezeichnet. ‚Kannst du dir
das vorstellen?‘ sagte sie. Und von neuem: ‚Das mußt du dir mal vorstellen!‘ Was der Nobelpreis wert sei, könne man daran erkennen, daß Gesindel wie Pasternak und Solschenizyn ihn erhalte, hatte der Lehrer gesagt. Sie hatte Übelkeit vorgetäuscht und das Klassenzimmer verlassen. ‚Da kannst du doch nicht einfach ruhig sitzen bleiben‘, sagte sie.
Ich sagte: ‚Aber bei uns ist doch ein Buch von Pasternak erschienen.‘
‚Welches?‘
‚Initialen der Leidenschaft.‘
‚Wann?‘
Ich nahm den Gedichtband vom Regal und schlug ihr
das Impressum auf.
„Neunundsechzig? Bei uns? Bei uns erscheint Gesindel?!‘ Sie faßte sich mit beiden Händen an die Stirn. ‚Und ich
hab das nicht gewußt!‘ Sie war zerknirscht.“
(Reiner Kunze: „Die wunderbaren Jahre“)*
Der Sohn eines Bergarbeiters studiert nach dem Schulabschluß Philosophie und Journalistik in Leipzig. Bis 1959 ist er wissen-schaftlicher Assistent an der Universität Leipzig. Nach schweren politischen Angriffen verläßt Reiner Kunze 1959 vor der geplanten Promotion die Hochschule und schlägt sich mit unterschiedlichsten Arbeiten durch. Es folgen diverse Aufenthalte in der Tschechoslowakei mit ersten Übersetzungen. Seit 1962 lebt Kunze als freiberuflicher Schriftsteller in Greiz/Thüringen. In den folgenden Jahren werden Kunzes Publikationsmöglichkeiten zunehmend erschwert.
Am Tag der Zerschlagung des „Prager Frühlings“ 1968 gibt Reiner Kunze sein Parteibuch zurück, was den Ausschluß aus der SED nach sich zieht. Öffentliche Lesungen sind kaum noch möglich. Kunze veröffentlicht zunehmend in bundesdeutschen Verlagen. 1976 wird er nach Erscheinen seines Prosabandes „Die wunderbaren Jahre“ aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen. 1977 siedelt er in die Bundesrepublik über und lebt seitdem mit seiner Familie in Obernzell-Erlau bei Passau.
Quelle:
*) Reiner Kunze:“Die wunderbaren Jahre“ Prosa, Verlag S. Fischer, Frankfurt/ Main 1976, ISBN 3-10-042003-9, S. 45
Links (deutsch):
http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/KunzeReiner
http://www.schulserver.hessen.de/bruchkoebel/heinric h-boell/schuelerarbeiten/texte/kunze.htm
http://www.soederblom.de/archiv/proj/kunze/kunze.html
http://www.goethe.de/gr/lon/exhib/bleibt/de_nf/kunze.htm
http://www.new-teaching.de/Kunze_wunderbaren_Jahre.cfm
http://www.mdr.de/artour/archiv/870347.html
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