Arthur Kronfeld
Psychotherapeut und Schriftsteller
Geb. 9.1.1886 in Berlin
Gest. 16.10.1941 in Moskau/ UdSSR
Der Sohn eines erfolgreichen jüdischen Juristen besucht in Berlin bis 1904 das Sophiengymnasium und studiert anschließend Medizin an den Universitäten Jena, München, Berlin und Heidelberg. Hier promoviert er 1909 zum Dr. med. und beginnt an der Psychiatrischen Universitätsklinik, an der zu dieser Zeit auch Karl Jaspers tätig ist, eine ungewöhnliche wissenschaftliche Karriere, während der er 1912 mit einer experimentalpsychologischen Arbeit in Gießen auch den Dr. phil. erwirbt.
Kurz davor bringt Kronfeld es mit einer umfangreichen Darstellung und Kritik der Psychchoanalyse schon zu erster internationaler Bekanntheit. Daneben ist er schriftstellerisch tätig und schreibt für expressionistische Zeitschriften wie Der Sturm und Die Aktion Gedichte, die Kurt Hiller – zusammen mit Werken seines Freundes Ernst Blass sowie von Max Brod, Arthur Drey, Salomen Friedländer, Herbert Großberger, Ferdinand Hardekopf, Georg Heym, Else Lasker-Schüler, Ludwig Rubiner, René Schickele, Franz Werfel und Paul Zech -, in seine Anthologie Der Kondor aufnimmt.
Ab 1913 ist Kronfeld an der „Irrenklinik“ Dalldorf (heute Humboldt-Klinikum – ehem. Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik – in Berlin-Wittenau) tätig und wird mit Ausbruch des I. Weltkrieges zum Kriegsdienst eingezogen. Nach einer Granatsplitter-verletzung (1917) wird er zum Aufbau einer “Nervenstation“ in das Kriegslazarett in Freiburg/ Breisgau versetzt. Zurückgekehrt nach Berlin, ist der Jungverheiratete allerdings aus finanziellen Gründen gezwungen, eine bezahlte Anstellung anzunehmen. Er arbeitet mit dem (ihm seit seiner Studienzeit bekannten) Sexualforscher“ Magnus Hirschfeld, eng zusammen und tritt am 6. 7. 1919 mit einer Rede zur Eröffnung des von diesem gegründeten ‚Institut für Sexualwissenschaft‘ an die Öffentlichkeit.
Während der folgenden sieben Jahre arbeitet Arthur Kronfeld als „rechte Hand“ Hirschfelds und Leiter der „Abteilung für seelische Sexualleiden“ bis zur Eröffnung einer eigenen Nervenarzt-Praxis am Berliner Tiergarten im März 1926. Neben seiner wissenschaftlichen und schriftstellerischen Tätigkeit engagiert er sich in diesen Jahren immer wieder auch politisch: so etwa 1918 im Presseausschuß und als Delegierter des Soldatenrats in Freiburg/ Breisgau, später im ‚Verein Sozialistischer Ärzte‘ in Berlin, dem er 1926 als SPD-Mitglied beigetreten ist und für den er 1931 mit Alfred Döblin auf einer “freigewerkschaftlichen Liste“ zur Berliner Ärztekammerwahl kandidiert. 1932 unterstützt er mit Albert Einstein und anderen den „Dringenden Appell“ des „Internationalen Sozialistischen Kampf-bundes“ zur Bildung einer Koalition aller Linksparteien angesichts der nationalsozialistischen Wahlerfolge.
1927 habilitiert sich Arthur Kronfeld bei Karl Bonhoeffer (dem Vater des im KZ ermordeten Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer), lehrt damit als erster Privatdozent an der Charité , wo er 1931 zum außerordentlichen Professor ernannt wird, die moderne Psychotherapie. Kronfelds wichtigste Veröffentlichungen aus dieser Zeit gelten auch und vor allem grundlagen-theoretischen, psycho-logischen, psychopathologischen, forensisch-psychiatrischen und psychotherapeutischen Themen. Durch seine gründlichen, abgewogenen sowie entschiedenen Stellungnahmen für eine (wissenschafts-) theoretisch geklärte psychologische Begründung psychopathologischer Forschung und psychiatrischen Handelns profiliert er sich in der Weimarer Republik als ein prominenter Vertreter der „psychologischen Denkrichtung“ in der psychischen Heilkunde, die als “neue Richtung“ damals mehrfach Hauptthema psychiatrischer Kongresse ist.
Seine größte Anerkennung findet Arthur Kronfeld als schulenun-abhängiger Psychotherapeut, als der er sich insbesondere für jene breite Bewegung in der Medizin engagiert, die sich 1925 zu formen beginnt, in den ersten “Allgemeinen Ärztlichen Kongressen für Psychotherapie“ seit 1926 zusammenfindet und sich als “Allgemeine Ärztliche Gesellschaft für Psychotherapie“ etabliert.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten muß Arthur Kronfeld – wie alle anderen Juden im Dritten Reich – sofort jede öffentliche Tätigkeit einstellen. Das von den Nazis am 7. April
1933 erlassene „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeam- tentums“ bietet allerdings noch keine Handhabe, ihn auch formell aus dem Hochschuldienst zu entlassen, da es eine Ausnahme-regelung für ehemalige „Frontkämpfer“ enthält. Aufgrund der (infolge dieses Gesetzes alsbald erlassenen) Verordnungen über die Zulassung von Ärzten zur Tätigkeit bei den Krankenkassen wird Kronfeld am 1. April 1934 jedoch von der Rechnungserstattung durch die Kassen ausgeschlossen, und nach Erlaß der Reichshabilitationsordnung“ vom 13. Dezember 1934 wird ihm zum 1.2.1935 schließlich auch noch die Lehrbefugnis entzogen.
Kronfeld emigriert in die Schweiz und findet zunächst Anstellung in einem Privatsanatorium. Da ihm die Schweizer Behören jedoch kein Asyl gewähren, übersiedelt Arthur Kronfeld in die Sowjetunion und übernimmt eine Professur am Moskauer neuropsychiatrischen Gannuschkin-Institut. 1937 wird er sowjetischer Staatsbürger.
1941 nimmt sich Arthur Kronfeld, zusammen mit seiner Frau Lydia, in Moskau das Leben.
„Ein Nachruf erschien nirgends. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde seiner öffentlich nicht weiter gedacht, bis er in den sechziger Jahren bei der Aufarbeitung des literarischen Expressionismus in der Germanistik ‘wiederentdeckt‘ wurde. In der Psychiatrie, seinem eigenen Fachgebiet, verlor sich die Erinnerung an ihn im Dunkel einer verdrängten Geschichte – bis er nicht einmal mehr als früher Mitarbeiter der berühmt gewordenen “Heidelberger Schule“ bekannt war, deren von Jaspers inauguriertes Programm einer “phänomenologisch“ genannten Erforschung psycho-pathologischer Phänomene er als einer der wenigen Psychiater außerhalb Heidelbergs mitgetragen und sich überdies bemüht hatte, es unter Aufnahme anderer zeitgenössischer Bestrebungen weiterzubilden.
Auf diese Weise erlitt Arthur Kronfeld das gleiche Schicksal wie viele der aus Deutschland emigrierten jüdischen Wissenschaftler: nach Vertreibung und Tod auch noch der Vergessen-heit als “zweiter Verbannung“ anheimzufallen. Auch sein umfangreiches wissenschaftliches Werk von über zweihundert Publikationen, zu denen acht Bücher sowie fünfzehn kleinere Monographien und Handbuchbeiträge gehören, wurde vergessen.“
(Ingo-Wolf Kittel, Augsburg)
Literatur:
Akbar, H.: Arthur Kronfeld. In: Jacob Friedrich Fries und die anthropologische Begründung einer rationalen Psychiatrie. Med. Diss. FU Berlin 1984, S. 121 – 128
Andruleit, F.: Zum Werk von Arthur Kronfeld. Med. Dipl. Charité, Berlin 1989
Kittel, I.-W.: Arthur Kronfeld – Leitender Arzt am Institut für Sexualwissenschaft in den Jahren 1919-1926. Mitt. MHG 6 (August 1985) 25-41; ern. in: Dose, R. und H.-G. Klein (Hrsg.): Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Band I Heft 1(1983) – Heft 9(1986). von Bockel Verlag, Hamburg 1992. Zweite, durchgesehene und erweiterte Ausgabe (Schriftenreihe der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft: Band 7) S. 215-231
Kittel, I.-W.: Arthur Kronfeld zum einhundertsten Geburtstag am 9. Januar 1986. Archiv Bibliographia Judaica, Frankfurt 1986; übers.:
Kittel, I.-W.: Arthur Kronfeld on the occasion of his hundredth birthday on January 9th 1986. Indiv. Psychol. News Letter 34 (1986) 26-28
Kittel, I.-W.: Arthur Kronfeld (1886-1941). Ein früher Wissenschaftstheoretiker der Psychologie und Psychiatrie. Psychol. Rundschau 37 (1986) 41
Kittel, I.-W.: Arthur Kronfeld (1886-1941) zum Gedenken – Ein Kapitel vergessener Psychotherapiegeschichte. Prax Psychother Psychosom 31(1986) 1-3
Kittel, I.-W.: „Die Heidelberger Jahre waren von großer Bedeutung für Kronfeld…“ Interview in: Communale, Heidelberg, 4. Jg., Nr. 28 vom 10. Juli 1986, S. 8 (zum Artikel „Fast vergessen: Arthur Kronfeld“ ebd., S. 8 – 9)
Kittel, I.-W.: Arthur Kronfeld 1886-1941. Ein Pionier der Psychologie, Sexualwissenschaft und Psychotherapie. Als Ausstellungskatalog Nr. 17 herausgegeben von der Bibliothek der Universität Konstanz , Konstanz 1988
Kittel, I.-W.: Zum Exil von Arthur Kronfeld. extracta psychiatrica 2 (1988) 66
Kittel, I.-W.: Zur historischen Rolle des Psychiaters und Psychotherapeuten Arthur Kronfeld in der frühen Sexualwissenschaft. in: Gindorf, R. und E. J. Haeberle (Hrsg.): Sexualitäten in unserer Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte, Theorie und Empirie. Schriftenreihe Sozialwissenschaftliche Sexualforschung 2. Walter de Gruyter, Berlin 1989, S. 33 – 44
Kretschmer, W.: Zum 100. Geburtstag Arthur Kronfelds. Z.f. Individualpsychol. 11 (1986) 58 -60
Kretschmer, W.: Arthur Kronfeld – ein Vergessener. Zu seinem 100. Geburtstag. Nervenarzt 58 (1987) 737 – 742
Kornetov, N .A.: [Arthur Kronfeld]. Zh Nevropatol Psikhiatr Im S S Korsakova. 91 (1991) 80 – 87 (russisch)
Kreuter, A.: Deutschsprachige Neurologen und Psychiater. Saur, München etc. 1996, Kronfeld, Arthur in: Bd. 2 S. 795 – 797
Kulawik, H.: Arthur Kronfeld zum Gedenken. Z. ärztl. Fortbild. 85 (1991) 949 – 952
Seek, A.: Arthur Kronfeld (Psychiater, Psychologe, Wissenschaftstheoretiker) über Homosexualität. Mitt. MHG Nr. 20/21 (1994/95) 51 – 63
Seek, A.: “…seine eigenartige Stelle in unserer Wissenschaft…“ – Bibliographie der Rezensionen zu den Arbeiten von Arthur Kronfeld. Mitt. MHG Nr. 20/21 (1994/95) S. 64 – 95
Schröder, Chr.: Arthur Kronfeld (1886- 1941) – Ein Psychiater im Dienste der Psychotherapie. Psychiat. Neurol. med. Psychol. Leipzig 38 (1986) 411- 418
Storch I.: Arthur Kronfelds Beitrag zur Entwicklung einer wissenschaftlich fundierten psychotherapeutischen Fachausbildung der Mediziner aus den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts. Med. Dipl. Leipzig 1983
Wenninger, G. (Hrsg.): Lexikon der Psychologie. Band 2. Spektrum Verlag, Heidelberg 2001, Kronfeld, Arthur S. 401 – 402
Weitere Links zu:
zum sturm (bzw. zu h.walden…)
auf: http://www.perlentaucher.de/autoren/11175.html (s.a. http://mitglied.lycos.de/Jessica_Fischer/Lit2.html? und
http://www.bautz.de/monographie/rez_pirsich.html )
zur aktion auf:
http://cgi-host.uni-marburg.de/~omanz/forschung/modul_main.php?epoche=h&typ=M&nr=05&seite=0
zu hiller auf:
http://www.hiller-gesellschaft.de/biographie.htm#biographie
zu blass auf:
http://www.isenet.de/kunstkultur/literatu/gedichte/ebl`ss.htm
zu brod auf:
http://www.geo.uni-bonn.de/cgi-bin/kafka_main?Rubrik=biographie&Punkt=freunde&Unterpunkt=brod
(zu arthur drey gibt es einiges, was über google zu finden ist – bes. zu walt whitman -, aber bisher keine biographie)
zu friedlaender auf:
http://www.net-lexikon.de/Salomo-Friedlaender.html
zu hardekopf auf:
http://www.klaus-seehafer.de/html/hardekopf.htm
(und http://www.literaturatlas.de/~la20/index.htm
bzw. http://www.literaturatlas.de/~la20/leben.htm)
zu heym auf:
http://www.katz-heidelberg.de/Expressionismus/Georg_Heym/body_georg_heym.html
(auch http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Heym )
zu rubiner auf: http://www.barnini.de/Rubiner
und http://www.net-lexikon.de/Ludwig-Rubiner.html
zu werfel auf:
http://www.bautz.de/bbkl/w/werfel.shtml
[auch http://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Werfel)
zu zech auf:
http://members.aol.com/paulrobertzech/Page4.html
(http://members.aol.com/paulrobertzech)
(zu ELS s.a. http://www.katz-heidelberg.de/Expressionismus/Else_Lasker-Schuler/else_lasker-schuler.html
zu Alfred Döblin:
http://www.alfred-doeblin.de/werk/werk_chronik.htm
zum Kondor schließlich auf:
http://www.hiller-gesellschaft.de/werke.htm#werke
Links (deutsch):
http://www.sgipt.org/gesch/kronf.htm
http://www.m-ww.de/persoenlichkeiten/kronfeld.html?page=1
http://www.sgipt.org/berpol/gesptvg0.htm#1911 bis
http://www.sgipt.org/berpol/gesptvg0.htm#1934
http://www.med.uni-heidelberg.de/psychia/psych/allgemein/geschichte/geschichte.html
http://www.hirschfeld.in-berlin.de/institut/de/ifsframe.html?personen/pers_02.html
http://www2.rz.hu-berlin.de/sexology/GESUND/ARCHIV/HIST07.HTM
http://www.aaegp.de/history/history.html
http://www.sgipt.org/medppp/gesch/aaezp.htm
http://www.aaegp.de/75Jahre/75Jahre.html
http://www.mtu-net.ru/niip/history.htm
International:
http://www.aihp-iahp.com/Main/LivresRevues/Selections/36En.htm
http://www.aihp-iahp.com/Main/LivresRevues/Selections/36.htm
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