Geb. 24.12. 1907 in Hamburg
„Ich habe hier (in Deutschland) neben dem Tanzunterricht noch eine andere Mission zu erfüllen, eine, die etwas zu tun hat mit der Idee der Menschlichkeit. Ich glaube, das ist besser, als mein Leben lang zu hassen.“ (1)
(Erika Milee)
Hamburg ist Erika Milees Heimatstadt, aus der sie 1938 vor den Nazis flieht, in die sie 20 Jahre später aus dem Exil in Lateinamerika wieder zurückkehrt und in der sie bis zu ihrem Tode lebt. Alle ihre jüdischen Familienangehörigen waren in Theresienstadt und Auschwitz ermordet worden.
Erika Michelson entstammt einer kunstinteressierten und musikalischen Familie:
„Wie andere Kinder mit Milch, wurde ich mit Musik groß“ (2). Mit sieben Jahren bekommt sie ihren ersten tänzerischen Unterricht, u.a. bei Gertrud Zimmermann und Paul Etbauer. Schon in den letzten Monaten ihrer Schulzeit organisiert sie ihren eigenen Tanzunterricht und teilt ihren erstaunten Eltern mit, sie sei jetzt beruflich selbstständig und wolle sich ganz dem Tanz und der Choreographie widmen. Ihre weitere Tanzausbildung findet bei Rudolf von Laban in Berlin und dessen Assistent Albrecht Knust in Hamburg statt.
Ihr ganzes Leben lang bleibt sie eine Anhängerin ihres berühmten Lehrers Laban, „dessen choreographische Neuerungen, die richtungsweisend für die Tanzkunst wurden, sie zum Fundament ihrer eigenen pädagogischen Laufbahn machte und an die Jüngeren weiterreicht.“ (3)
1929 wird die Milee-Schule (die Eltern hatten gefordert, den ehrwürdigen Familiennamen Michelson nicht auf Werbung zu plakatieren und Erika setzte sich ihren Künstlernamen aus dem Geburtsnamen der Mutter und dem elterlichen zusammen) auf der Rothenbaumchausee in Hamburg gegründet. Erika Milee unterrichtet Laien- und Ausbildungsklassen in klassisch-modernem Tanz, Folklore-Jazz, Improvisation, und Gymnastik- Choreographie.
Ihr besonderes Engagement gehört den Kindern und Jugendlichen: sie veranstaltet neben Solo- Tanzabenden Aufführungen mit Kindertanzgruppen.
Auch wurde sie aufgrund der nationalsozialistischen Gesetze gezwungen, nur noch jüdische und „halbjüdische“ Kinder zu unterrichten: Unter der nationalsozialistischen Herrschaft blieben ihr nur noch Auftritte im Rahmen des Jüdischen Kulturbundes der Toleranz der Nazis vortäuschen sollte, aber in Wirklichkeit ein Mittel zur Kontrolle war. (4) Gleichzeitig vervollständigt sie ihre eigene Ausbildung durch Besuche der Folkwangschule Essen und künstlerische Praxis am Opernhaus Essen im Jahre 1930. 1933 tritt sie zum letzten Mal mit eigenem Programm in Hamburg auf.
„Niemand, der die Zeit nicht miterlebt hat, kann sich vorstellen, welche Angst ich hatte.“ (5)
Im Oktober 1939 flieht Erika Milee nach Italien und geht dort mit einer Ballettgruppe auf Tournee. Danach reist sie weiter nach Lissabon und bestreitet ihren Lebensunterhalt durch Kurse für Flüchtlingskinder. Die hier geknüpften Kontakte verhelfen ihr 1941 zu einer Berufung an die Tanzabteilung der Kunsthochschule in Asunción/ Paraguay.
Hier tanzt und unterrichtet sie im Sinne Rudolfs von Laban und macht seine Lehren des modernen Tanzes in ganz Lateinamerikamerika bekannt.
Sie verknüpft paraguayische Legenden mit europäischen Tänzen und Ausdruckstänzen und entwirft chorische Tanzwerke.
Mit Tanzgruppen und Schülerinnen reist sie durch Paraguay, Argentinien, Brasilien und Uruguay, ebenso mit Solo-Kammertanzprogrammen.
1952 wird sie als Professora de Ballet nach Brasilien berufen und wirkt dort in 12 Jahre lang in verschiedensten Städten.
„Mit ihrer pädagogischen und choreographischen Arbeit hat sie auch dazu beigetragen, dem modernen Tanz in Lateinamerika eine Basis zu schaffen.“ (6)
Noch in Paraguay hatte sich Erika Milee in den Kordilleren fünf Hektar Land gekauft: sie wollte ihren Lebenstraum von einem eigenen Amphitheater verwirklichen. Doch sie erkrankt schwer und kehrt 1960 nach Deutschland zurück.
In der Hamburger Eichenstraße eröffnet sie ihr eigenes Tanzstudio und arbeitet vorwiegend mit Kindern und Jugendlichen. Sie organisiert Tanzabende und erarbeitet Choreographien, in die Motive lateinamerikanischer Folklore hineinfließen, ebenso Motive aus dem europäischen Märchenkreis.
John Neumeier tritt als neues Idol neben Rudolf von Laban in ihr Leben:
„John Neumeier ist der Mensch, den ich mehr als andere auf dieser Welt bewundere und verehre.“ (E.M. in den 80er Jahren in einer Festschrift der Hamburger Ballettfreunde, die sie mitbegründet.)
In der Hamburger Heinrich-Hertz-Schule wirkt sie als Lehrbeauftragte für Tanz und vermittelt den Kindern Freude an Bewegung, Tanz und Natur. Bis ins hohe Alter nimmt sie aktiv am Hamburger Ballettgeschehen teil. Im Alter von 88 Jahren stirbt Erika Milee in ihrer Heimatstadt.
(1) Patricia Stöckemann: Zum Tod von Erika Milee, in: Tanzdrama 34
(2) Kurt Peters: Erika Milee wird 80, in: Erika Milee
zum 85. Geburtstag
(3) Die Welt in: Hamburger Ballettfreunde, Erika Milee wird 80
(4) Patricia Stöckemann: ZumTod von Erika Milee, in:
Tanzdrama 34
(5) Eriak Milee: „Ich lebe und sterbe für den Tanz“, in: Erika Milee zum 85. Geburtstag
Patricia Stöckemann: Zum Tod von Erika Milee, in:
Tanzdrama 34
Autorin:
Sabine Kasper
Die Redaktion des Exil-Archivs bedankt sich bei den Hamburger Ballettfreunden und beim Deutschen Tanzarchiv Köln für die Unterstützung bei der Recherche.
Quellen und Literatur:
Ballettfreunde Hamburg e.V.
[früher: Kreis Hamburger Ballettfreunde e.V.]
Geschäftsstelle: Gurlittstr. 16, 20 099 Hamburg
Festschriften für Erika Milee zum 80 und 85. Geburtstag
Tanzdrama
Vierteljährlich erscheinendes deutschsprachiges Magazin
c/o MaryWigmann Gesellschaft
Postfach 250209, 50 518 Köln www.theaterszene-koeln.de/branchen
International:
http://www.ickl.org/conf99_proceedings/ray.pdf#search=%22Erika%20MIlee%22
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