Kurt Pahlen
Dirigent, Komponist und Musikwissenschafter
Geb. 26.05.1907 in Wien/ Österreich-Ungarn
Gest. 24.07.2003 in Lenk/ Schweiz
„Ja, die Zeit ändert viel!“
(Kurt Pahlen)
Im Salon der elterlichen Wohnung in der Wiener Bartensteingasse hat er schon als Kind berühmte Sänger bei Proben mit dem Vater, einem bedeutenden Liedbegleiter, gehört. Richard Pahlen stirbt bereits 1914, die Mutter heiratet ein zweites Mal: den jüdischen Bankier Dr. Paul Raumann. Die Familie zieht nach Berlin-Schmargendorf, in die Nähe des Grunewaldes, und der zunächst sehr verzärtelte und etwas kränkliche Knabe Kurt, den seine Berliner Freunde das Wiener Würstel nennen, erzieht sich mit großer Willenskraft zum Sportler. Im Wien der zwanziger Jahre studiert Kurt Pahlen Musikwissenschaft und Germansitik, promoviert zum Dr. phil und absolviert daneben eine praktische Kapellmeisterausbildung an der Musikakademie.
Seine ersten Erfolge feiert der junge Musiker in den 30er Jahren als Kapellmeister an der Wiener Volksoper.
Auf Bitten eines Kommilitonen erklärt er sich bereit, bei einer Chorprobe des Chors der sozialistischen Arbeiterjugend in Ottakring einzuspringen und wird sehr bald zu einem der gefragtesten Chormeister der sozialistischen Bewegung, der sich auch der Zwölfton-Musiker Anton von Webern verbunden fühlt. Für den jungen Musiker Pahlen, der selber zu diesem Zeitpunkt u.a. Lieder im spätromantischen Geist komponiert, stößt die intellektuell faszinierende Avantgarde der Schönberg’schen Zwölftonmusik in Arbeiterkreisen allerdings auf große Widerstände (Zitat: „Anton von Webern, der Leiter des Chors der Typographia, konnte mit seinem Gewerkschaftschor nie ein eigenes Werk einstudieren – die Arbeiter haben das abgelehnt“):
„Rückblickend hält Pahlen deshalb den Weg der Schönberg-Gruppe und der darauf fußenden Musik letztlich für einen „Irrweg des 20. Jahrhunderts“. Man könne nicht „Musik allein aus dem Kopf machen“. Auf diesem Irrweg aber beruhe die anhaltende Publikumsfremdheit von sehr viel ambitionierter moderner Musik. Das heute auch kommerziell höchst erfolgreiche Musical dagegen sei im Vergleich „durchaus konservative Musik, mit Melodien und Rhythmen, die das Publikum ansprechen“. Man könne eben nicht 80 Jahre gegen das Publikum komponieren – heute sei sehr deutlich eine „Rückkehr zur Melodie und zum Wohlklang“ zu verzeichnen.“
aus: Ein Glückskind des Lebens . . Der Dirigent und Musikschriftsteller Kurt Pahlen/ Von Robert Schediwy
http://www.wienerzeitung.at/frameless/lexikon.htm?ID=11368
1938 kehrt Kurt Pahlen – Leiter der musikalischen Veranstaltungen an der Volkshochschule Ottakring, Dirigent am Wiener Radio und bei den Wiener Symphonikern sowie verantwortlich für ein Opernstudio am Ludo Hartmann-Platz, das zu den bedeutendsten Volksbildungseinrichtungen auf musikalischem Gebiet gehört – von einem Auslandsaufenthalt im schweizerischen Zürich nicht mehr nach Wien zurück.
Obgleich persönlich nicht gefährdet, entschliesst sich der Nazigegner Pahlen, ins Exil zu gehen und folgt einem Angebot nach Südamerika. Über einen argentinischen Diplomaten kann Pahlen Kontakte zum Teatro Colón in Buenos Aires knüpfen, macht sehr bald schon in Lateinamerika als Musiker Karriere und kann erste Bücher publizieren. Weniger akademischen Disziplinen verschrieben, als vielmehr vermittelnd, lebendig und begeisternd, wird Kurt Pahlen mehr als dreissig Jahre das Musikleben Südamerikas mitprägen.
1939 übernimmt der gebürtige Wiener die Leitung der Filarmónica Metropolitana in Buenos Aires und wird nach Ende des Krieges, 1957, Direktor des Teatro Colón, einem der bedeutendsten Opernhäuser der Welt. Außerdem ist er Gründer und Inhaber des Lehrstuhls für Musikgeschichte an der Universität Montevideo/ Uruguay. Freundschaften verbinden ihn in den Jahren seines reichhaltigen musikalischen Schaffens u.a. mit Manuel de Falla, Paul Hindemith und dem ebenfalls aus Wien stammenden Komponisten, Dirigenten und Pianisten Erich Wolfgang Korngold. Als Gastdirigent bedeutender Konzert- und Opernorchester, Gastprofessor vor allem lateinamerikanischer Universitäten und Verfasser von in zahlreiche Sprachen übersetzten Büchern mit breit gefächerter Thematik, erwirbt sich Kurt Pahlen seinen internationalen Ruf als Pionier des Musiklebens, dessen besonderes Engagement mit jährlich mehr als 200 Vorträgen der einführenden Vermittlung des Opernrepertoires an ein breites Publikum gilt. 1994 wird er von der Universität Buenos Aires zum Ehrendoktor ernannt.
Anfang der 70er Jahre kehrt Kurt Pahlen wieder in die Schweiz zurück, wo er sich auf Einführungen zu wichtigen Opernpremieren, u.a. bei den Salzburger Festspielen oder der Arena von Verona, konzentriert. Einen besonderen Platz im Leben und Schaffen Kurt Pahlens nimmt seit jeher die Musikerziehung in Anspruch. Den Kindern und ihrem frühzeitigen und freudigen Eintritt in die Welt der Musik gehört dabei seine ganze Liebe, und entsprechend seinem Motto, daß es keine unmusikalischen Kinder gibt und jede Stimme auch über ein bestimmtes Register verfügt, innerhalb dessen richtiges Singen möglich ist, gründet Kurt Pahlen einen Chor für Unmusikalische.
Im Alter von 96 Jahren stirbt der Dirigent, Komponist, Musikwissenschaftler und -pädagoge in seinem Schweizer Wohnort Lenk an den Folgen eines Unfalls – während der von ihm veranstalteten Musiktage für Kinder.
Zum publizistischen Schaffen Kurt Pahlens – von vielen als Pionier des Musiklebens gerühmt -, gehören seit 1944 mehr als 100 Musikbücher, die in 16 Sprachen übersetzt und vielfach zu Standardwerken geworden sind.
„Es fällt nicht schwer, in Pahlens sehr umfangreichem Werk Fehler, falsche Interpretationen und Plattheiten zu finden und anzuprangern. Man muss aber sehen, dass Pahlen eine Marktlücke zu füllen wusste, die gerade der akademische Betrieb offen gelassen hatte. Gerade in Deutschland ist das Problem der Vermittlung, des Populärwissenschaftlichen, des Buchs oder Vortrags mit Anspruch auf Breitenwirksamkeit im akademischen Bereich verpönt. Kurt Pahlens Publikationen wurden dort wirksam, wo die Musikkultur ihr soziales Fundament hat. Darin liegt kein geringes Verdienst.“
Quelle: AP/MARTIN RUETSCHI Kurt Pahlen
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2003/0730/feuilleton/0033
Literatur:
Kurt Pahlen: Ja, die Zeit ändert viel. Mein Jahrhundert mit der Musik, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2001, ISBN 3421054622,
Links (deutsch):
http://www.schott-musik.de/artist/show,14437.html
http://www.perlentaucher.de/autoren/7108.html
http://www.wien.gv.at/ma07/vorlesungen/pahlen.htm
http://www.bsz-bw.de/depot/media/3400000/3421000/3421308/01_0096.html
http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.p/p027607.htm
International:
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