(Weitere Pseudonyme: Chaarms, Tscharms, Schardam, Daniil Dandan, Harmonius)
Geb. 17.12.1905 (nach heutigem Kalender: 30.12.) in St. Petersburg/ Rußland
Gest. 2.2.1942 in Leningrad/ UdSSR
So beginnt der Hunger
„Morgens erwachst du frisch und munter,
dann beginnt die Schwäche,
dann beginnt die Langeweile,
dann kommt der Verlust
der raschen Verstandes Kraft, –
dann kommt die Ruhe.
Und dann beginnt das Entsetzen.“
Daniil Charms, September 1937
“Gedichte muss man so schreiben,
dass, wenn man sie gegen das Fenster wirft,
die Scheibe zerbricht.“
Daniil Charms
„Man kann in Daniil Charms einen russischen Schriftsteller in der Tradition von Gogol, Dostojevski, oder auch Cechov sehen. Aber genau so gut kann man Charms einen Meister des Absurden nennen, der neben Ionescu und Beckett Bestand hat, oder man entdeckt bei ihm die Qualitäten eines Dadaisten…Charms als Repräsentant einer avantgardistischen russischen Künstlergeneration, die vom stalinistischen Terror systematisch ausgerottet wurde, geniesst seit den achziger Jahren in Russland und weit über dessen Grenzen hinaus, Kultstatus.
Seine grosse Kraft als Prosaiker, liegt in seiner enthüllenden Einsicht in die Ungereimtheiten des täglichen Lebens und der Spielarten des Schicksals.
In seiner Prosa beschreibt er eine leere Welt, die durch scheinbar grundlose Gewalt und Depersonalisation seiner (Anti-)Helden gekennzeichnet ist. Er ist ein Meister des schwarzen, oft ins perverse neigenden Humors. In seinen Tagebuchnotizen und Briefen kann man erahnen, was sich hinter Charms‘ täglicher Auseinandersetzung mit der beängstigenden, alltäglichen Wirklichkeit versteckte: Das Suchen einer eigenen Ordnung, die Sucht nach Reinheit und dem Essentiellen der Dinge, das Interesse an der Zahl und die Verneigung vor dem Wunder.“
Quelle: http://www.galerie-der-toene.de/projekte/charms/inhalt.html
Der Vater ist Hofrat, Lehrer, Schriftsteller, Sozialrevolutionär und Tolstojaner und verbringt als Mitglied der anarchistischen Terrorgruppe Narodnaja volja bis 1903 zwölf Jahre in russischen Gefängnissen und Straflagern. Charms Mutter, eine Adlige aus Saratov, arbeitet bis zu ihrem Tod 1928 in einem Obdachlosenheim für haftentlassene Frauen.
Ab 1915 besucht Daniil die deutsche Peterschule in seiner Geburtsstadt – die mittlerweile in Petrograd umbenannt worden ist – und wechselt 1922 ans ehemalige Mariengymnasium in Detskoe Selo. Hier beginnt er mit dem Schreiben erster Gedichte, die er zum erstenmal mit dem Pseudonym „Daniil Charms“ (angelehnt an das englische „charm“ für Zauber oder „harm“ für Unrecht bzw. Schaden) unterzeichnet.
Nach dem Abitur 1924 beginnt Charms in Petrograd mit dem Studium der Elektrotechnik und Kunstgeschichte, beschäftigt sich in dieser Zeit intensiv mit den Gedichten und Ideen der 1912 von Velimir Chlebnikow, Majakovskij u.a. begründeten Avantgarde-Literatur des Futurismus und verfasst selber mehrere Gedichte in der futuristisch-translogischen Sprache.
Bereits ein Jahr später, Anfang 1925, tritt er als Rezitator eigener und fremder Lyrik auf und lernt Aleksandr Vvedenskij kennen, der ihm nicht nur Lehrer sondern auch und vor allem Freund werden wird und über den Charms dann auch später die Bekanntschaft der Philosophen Leonid Lipavskij und Jakov Druskin macht.
1926 wird Daniil Charms in den Allrussischen Dichterverband aufgenommen, und in einem von diesem herausgegebenen Lyrikalmanach erscheint erstmals eines seiner Gedichte. Zusammen mit Vvedenskij begründet er im Haus der Presse eine eigene Gruppe: die Schule der Tschinar. Im darauffolgenden Winter formieren sie sich zusammen mit Igor Bachterev zur sogenannten Linken Flanke und treten u.a. am Institut für Kunstgeschichte auf, wo Charms auch als Student eingeschrieben ist.
Ende 1927 nimmt die Gruppe das Angebot des auf sie aufmerksam gewordenen Hauses der Presse an, dort eine eigene Sektion zu bilden, allerdings unter der Auflage, das „links“ streichen. Der neue Name lautet Oberiu (Vereinigung einer realen Kunst), zu der neben Daniil Charms auch Vvedenskij, Bachterev und Boris Levin, Nikolaj Zabolockij, Konstantin Vaginow und später auch noch Jurij Vladimirov gehören.
Intention des Oberiu ist es, die traditionellen Gattungsgrenzen der Literatur aufzulösen. Dabei werden u.a. neuartige Kunstprojekte geplant, in denen auch Theater, Film und Malerei einen Platz finden sollen. Die meisten dieser Pläne werden allerdings unter dem zunehmenden Druck der sowjetischen Kulturpolitik gegen unabhängige, experimentelle Gruppen nie realisiert. In einem Sammelband des Dichterverbandes erscheint die zweite und letzte Publikation zu Lebzeiten von Charms und Vvedenskij.
Am 24. Januar 1928 findet im Haus der Presse die Abendverantstaltung „Drei linke Stunden“ statt, u.a. mit der Aufführung von Daniil Charms‘ kafkaesk-absurdem Drama Elizaveta Bam. Die Kritik in der Presse ist vernichtend und in den folgenden Jahren ein öffentliches Auftreten der Oberiu praktisch unmöglich.
Aus existentiellen Nöten beginnen Charms und Vvedenskij mit dem Schreiben von Kindergeschichten und –gedichten und veröffentlichen noch 1928 erste Texte in der Zeitschrift Ez (Igel), ab 1930 auch im Tschiz (Zeisig). Einige ihrer Erzählungen erscheinen auch als Kinderbücher. Für lange Zeit ist dies die einzige Einkommensquelle der beiden Literaten. Da er seine Mitgliedsbeiträge nicht mehr bezahlen kann, wird Charms 1929 aus dem Dichterverband ausgeschlossen.
Ein 1930 in der Zeitung Smena erscheinender Artikel bezeichnet die Mitglieder der Gruppe Oberiu als „literarische Rowdies“, deren „sinnlose Jongleurskunst“ einen „Protest gegen die Diktatur des Proletariats“ darstelle. Das ist das Ende der oberiutischen Bewegung.
Am 10. Dezember 1931 werden Daniil Charms und Aleksandr Vvedenskij sowie weitere Intellektuelle unter dem Verdacht „der Organisation und Beteiligung an einer antisowjetischen illegalen Vereinigung von Literaten“ verhaftet. Nach einem langem Verfahren folgt für die meisten Angeklagten die Verbannung ins Starflager. Charms erhält drei Jahre, kommt zwar bereits im Juni vorzeitig frei, wird dann aber, zusammen mit seinem Freund und Dichterkollegen Vvedenskji, bis November in die Provinzstadt Kursk verbannt. Charms‘ ungebrochen literarische Arbeit wendet sich unterdessen immer deutlicher der Prosa zu. 1934 wird er in den Sowjetischen Schriftstellerverband aufgenommen.
Nach der Ermordung des Parteiführers Kirow kommt es in Leningrad zu Massenverhaftungen mit 117 Erschiessungen und Deportationen. In Moskau beginnen Mitte der dreissiger Jahre die berüchtigten Schauprozesse. Daniil Charms’ persönliche Situation wird immer bedrohlicher, da er von den kargen Einkünften aus dem Verkauf seiner Kinderbücher kaum noch leben kann. 1935 verlässt Vvedenskij Leningrad, und zieht zu seiner Frau nach Charkow. Im Tschiz erscheint Charms‘ Übersetzung von Wilhelm Buschs Plisch und Plum.
1937 wird auch die Kinderliteratur von der stalinistischen Hetzjagd eingeholt. Über Charms‘ Humor heisst es in der Zeitschrift Detskaja literatura u.a.: „Unsere Kinder wollen wissen, wer Freund ist und wer Feind!“ 1940 erscheint das letzte Kinderbuch von Daniil Charms. Die Lyriker Isaak Babel und Vsevolod Mejerchold werden erschossen. Am 23.08. 1940 wird Charms zum zweiten Mal verhaftet. Die Anklage gegen ihn lautet auf „Verbreitung defaitistischer Propaganda“, wird aber im Dezember fallen gelassen, der Dichter für unzurechnungsfähig erklärt und in die Gefängnispsychiatrie eingewiesen. Unterdessen beginnt die Blockade Leningrads durch die deutsche Wehrmacht. Mitte Dezember kommt Charms Freund Vvedenskij unter ungeklärten Umständen in der Haft ums Leben.
Am 2. Februar 1942 stirbt Daniil Charms, der russische Dichter des Absurden, unter bis heute ungeklärten Umständen im Kresty-Gefängnis. Vermutlich ist er verhungert.
Im Zuge der Entstalinisierung erfolgt – 14 Jahre nach seinem Tod – in der damaligen Sowjetunion Charms‘ offizielle Rehabilitierung – allerdings nur für seine Kinderbücher.
Links (deutsch):
http://www.obst-music.com/composers/charms.htm
http://www.staatstheater-hannover.de/ensschausp04/charms.shtml
http://www.perlentaucher.de/autoren/11407.html
http://home.arcor.de/berick/illeguan/charms1.htm
http://de.wikipedia.org/wiki/Daniil_Charms
http://www.wh1.tu-dresden.de/~andy/deutsch/literat/charms/about/charms.html
http://www.wh1.tu-dresden.de/~andy/deutsch/literat/index.html
http://www.uni-erfurt.de/slawistische_literaturwissenschaft/puschkin_anekdoten.html
http://www.zvab.com/angebote/daniil-charms.html
http://www.line.at/artikel.php?id=384&kat=&ss=
International:
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