Lewis Alfred Coser (eigtl. Ludwig Alfred Cohen)
Soziologe
Geb. 27.11.1913 in Berlin
Gest. 8.7. 2003 in New York/ USA
„Mit Lewis Alfred Coser verstarb einer der einflussreichsten qualitativen Soziologen. Lewis Coser hat wichtige Beiträge zur Geschichte der amerikanischen Soziologie und zu Sachgebieten wie der Soziologie des Konflikts beigetragen. Fast vergessen ist sein interessanter Ansatz, Literatur und Soziologie miteinander zu kombinieren. „
(Nachruf von Prof. Dr. Erwin K. Scheuch, Köln
Angesichts des zunehmenden antisemitischen Klimas in der späten Weimarer Republik entschließt sich bereits sein Vater, ein Börsenmakler, für die Anglisierung des Namens. Der Sohn Lewis Coser, ein überzeugter Marxist, geht 1933 nach Frankreich und studiert an der Sorbonne. Allerdings schützt ihn auch sein Pariser Aufenthaltsort nicht vor einem deutschen Internierungslager. 1941 gelingt ihm die Flucht aus Frankreich über Portugal in die Vereinigten Staaten. In New York heiratet er ein Jahr später Rose Laub, jene Frau, die ihm seine Einreise in die USA ermöglicht hat.
Mit Tätigkeiten als Garderobier, Packer in einem Einzelhandelsgeschäft und Übersetzer für militärische Schriftstücke verdient Lewis Coser den Lebensunterhalt für sich und seine Frau. Ein Doktorat an der Columbia-University wird dann zur ersten Stufe einer akademischen Karriere in den Vereinigten Staaten. Coser veröffentlicht in den Folgejahren nahezu 20 Bücher und zahlreiche Artikel. Dabei beschränkt er sich keineswegs nur auf sozialwissenschaftliche Texte, sondern nimmt vielmehr engagiert an politisch-ideologischen Auseinandersetzungen teil. Gemeinsam mit Irving Howe gründet er ein marxistisch-links-radikales Magazin.
Der zeit seines Lebens politisch engagierte und von einem tiefen Gefühl für Gerechtigkeit geleitete Coser lehrt an der University of Chicago, University of California, begründet an der der Brandeis-University in Boston die soziologische Abteilung und gehört ebenfalls dem Lehrkörper der Staatsuniversität von New York an.
„Zwei Bücher begründen Cosers hohe Reputation als führender Ideengeschichtler: sein Buch 1965 „Men of Ideas – A Sociologist’s View“ und „Masters of Sociological Thought. Ideas in Historical and Social Context“. Coser wertet hier u.a. die Lebensläufe der „amerikanischen Klassiker“ vor dem Ersten Weltkrieg aus. In einer Untersuchung von 258 Soziologen, die Luther Bernhard 1927 befragte, wurde ermittelt, dass 61 dieser Soziologen evangelische Theologie studiert hatten und 18 weitere in evangelischen Akademien geschult worden waren. Vor dem Ersten Weltkrieg kann die Soziologie in den Vereinigten Staaten als eine säkularisierte Form engagierten Protestantentums verstanden werden, das nun innerweltlich gesellschaftliche Probleme durch Analysen bewältigen wollte. Diesen Akzent hat die amerikanische Soziologie – Coser zufolge – erst mit der massiven Einwanderung von aus Europa vertriebenen Intellektuellen ergänzt…Wenig bekannt wurde ein Buch von Coser, in dem er diese Verwandtschaft zwischen Soziologie im engeren Sinn und „Kultur“ thematisiert. 1963 veröffentlicht Coser den Sammelband „Sociology Through Literature“. Hier wendet er sein immenses Wissen über Literatur insbesondere des 19. und frühen 20. Jahrhunderts an mit der Zielsetzung, Soziologen mit literarisch anspruchsvollen Beschreibungen der Realität vertraut zu machen. Zu Recht weist Coser darauf hin, dass ein Großteil aller Beschreibungen durch Soziologen intellektuell weniger eindrucksvoll ist als literarische Quellen zum gleichen Gegenstand. Indem er besonders interessante Quellen vorstellt, will Coser erreichen, dass die Beziehungen zwischen Soziologie und den Kulturwissenschaften ernst genommen werden sollen. Dabei ist übrigens für den Rezensenten hier eine Auslassung sehr verwunderlich: die Einführung in „Le Rouge et Noir“ bei Stendhal mit einer meisterhaften Beschreibung des Dorfmilieus.
Selbstverständlich war Coser auch systematischer Soziologe. Das wird besonders deutlich in seiner Wiedergabe des Paradigmas für eine funktionale Analyse in der Soziologie auf der Grundlage der Schriften von Robert K. Merton. Dies ist in der zweiten Auflage des Readers „Sociological Theory“ 1964 wiedergegeben, in dem auch sehr zentrale Texte des Struktur-Funktionalismus von Alfred Radcliffe-Brown und Bronislaw Malinowski angeführt werden; denn theoretisch war der qualitativ arbeitende Coser ein strikter Struktur-Funktionalist.“
In seinem 1984 erschienenen Beitrag zur Wissenschaftssoziologie über Refugee Scholars in Amerika. Neben den Biografien von Sozialwissenschaftlern im us-amerikanischen Exil widmet er sich den Lebensverläufen von Intellektuellen wie Hannah Arendt, Erwin Panofsky, Leo Strauss oder Paul Tillich.
„Sozialwissenschaftler mit einer solchen Breite der Bildung sind heute kaum zu finden. Sie sind mit ihrer Breite und ihrem Ansatz Kinder einer Zeit gewesen, in der die Soziologie sich noch nicht verselbständigt hatte gegenüber den Sozialwissenschaften und generell einer kulturellen Reflexion.“
Sämtliche Zitate wurden entnommen aus:
Prof. Dr. Erwin K. Scheuch, Köln:
„In memoriam Lewis A. Coser“
[KZfSS, 55, 2003: 610-611]
Links (deutsch):
http://www.uni-koeln.de/kzfss/nekrologe/ks03coser.htm
International:
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