Oskar Rohr,
Fußballprofi, Deutscher Meister, französischer Torschützenkönig
Geboren am 24. April 1912 in Mannheim
Gestorben am 8. November 1988
In Strasbourg ist der deutsche Spieler aus längst vergangenen Zeiten beim Fußballclub Racing noch heute eine Ikone. Gefeiert als erfolgreichster Torjäger des französischen Vereins. In Nazi-Deutschland aber hetzte die gleichgeschaltete Presse gegen den ehemaligen Nationalspieler, der einer der ersten Fußballprofis im Ausland wurde, aus allen Rohren. Dem „Stürmer“ – der Name hatte nichts mit Sport zu tun – galt Oskar Rohr als „Fahnenflüchtling“. Filmreif sein Schicksal, das ihn über die Schweiz und Frankreich auch in ein Konzentrationslager und schließlich an die Ostfront führte.
„Ossi“, wie ihn die Fans bald nennen, beginnt seine Karriere in seiner Heimatstadt als Innenstürmer bei den Mannheimer Lokalrivalen FC Phönix und VfR. Selbstbewusst sucht sich das junge Talent jedoch schnell eine größere Bühne. Die findet Oskar Rohr 1930 zunächst bei Bayern München. Er verhilft dem heutigen Traditionsklub auf Anhieb zum Vizemeistertitel und mit einem Endspieltor zum 2:0 gegen Eintracht Frankfurt in der folgenden Saison sogar zur ersten Deutschen Meisterschaft.
Da hatte Reichstrainer Otto Nerz den Ausnahmespieler bereits in die Nationalmannschaft berufen. Dort bestritt der gerade mal 19-jährige zusammen mit den damaligen Fußballheroen Ernst Kuzorra und Richard Hofmann bis März 1933 vier Länderspiele: Erstmals im März 1932 gegen die Schweiz (2:0). Beim 4:3-Sieg über Schweden erzielt „Ossi“ zwei Tore, einen Treffer 1933 gegen Italien (1:3) und noch einmal zwei beim 3:3 gegen Frankreich. Fünf Tore in vier Länderspielen gehören bis heute noch zu den Spitzenleistungen. Oskar Rohr war auf dem besten Wege, so etwas wie Jahrzehnte später sein Nachnachfolger Gerd Müller (bei Bayern München und in der Nationalmannschaft) zu werden: Der „Biomber der Nation“.
Seinerzeit – und noch lange danach – wurde am Märchen von den Amateuren und Vertragsfußballspielern festgehalten. „Ossi“ Rohr aber wollte mit seinem Können Geld verdienen. Deshalb wechselt er zunächst zu den „Grashoppers“ nach Zürich, denen er zum Schweizer Pokalgewinn verhilft. Aber richtig vergolden kann er Spielkunst und Torinstinkt erst ab 1934 bei „Racing Strasbourg“. Dieser Verein spielt in der höchsten französischen Liga. Und die bezahlt ihre Spieler.
Bei Vertragsunterzeichnung bekommt der Torjäger ein Cabrio. Natürlich ein französisches Auto. Die Zeitungen in Deutschland schäumen gegen den „Fahnenflüchtling“ und „Gladiator, der sich im Ausland verkauft“. Der Reichstrainer verbannt ihn aus der Nationalmannschaft, während die ihn Franzosen, zumal die Elsässer, bejubeln. Schon in der ersten Spielzeit (1934/35) schießt er sich in ihre Herzen: Mit 20 Toren in 22 Spielen „bombt“ er Racing zum Gewinn des Vizemeistertitels. Im Jahr darauf schafft er 28 Treffer und später sogar mit 30 Einschüssen die „Torjägerkanone“
Wer weiß, wie viele Tore „Ossi“ noch hätte schießen können, hätten seine Landsleute nicht 1939 den Zweiten Weltkrieg begonnen. Rohr, der in Deutschland offiziell als „Unperson“ gilt, flieht beim Einmarsch der Wehrmacht ins „freie“ Südfrankreich in die Gegend um Sète. Über sein Schicksal zwischen 1940 bis 1942 liegen widersprüchliche Informationen vor, auch unterschiedliche Aussagen von ihm selbst. Gerüchte sehen ihn noch als Spieler des FC Sète, andere als Fremdenlegionär.
Nach Aussagen seines Neffen Philipp Rohr wurde Oskar Rohr jedenfalls im November 1942 in Marseille von der französischen Polizei verhaftet. Ein Gericht verurteilt den Deutschen wegen „antifranzösischer“ (andere Quellen sprechen von „kommunistischer“) Propaganda“. Die dreimonatige Haft soll ihn sogar nach Straßburg zurückgeführt haben, und zwar in die dortige Zitadelle. Danach wird der verhasste „Fahnenflüchtling“ kurzzeitig im Konzentrationslager Karlsruhe-Kieslau interniert, bevor ihn die Nazis zwei Monate später an die Ostfront abkommandieren. Angeblich soll er dort sogar gelegentlich in einer Fußballmannschaft des Heeres gespielt haben, denn Ballartistenseines Formats dürfte es kaum im besetzten Russland gegeben haben. Der Gefangenschaft entging er nur deshalb, weil Rohr vor Kriegsende von einem fußballbegeisterten deutschen Piloten erkannt und ins Reich zurückgeflogen worden sein soll.
Nach dem Ende der Diktatur spielte er noch bis 1949 in der Oberliga Süd für den VfR Mannheim, TSV Schwaben Augsburg und die SV Waldhof sowie in der Oberliga Südwest für den FK Pirmasens. Obwohl er einer der ersten und besten Fußballprofis seiner Zeit gewesen war, hatte es auch für ihn nicht einmal ansatzweise die Bezahlung gegeben, die heutige Spieler in den Erstligen einstreichen. „Ossi“ Rohr war nicht reich geworden. Nach Beendigung seiner aktiven Sportlerkarriere musste als Angestellter bei der Stadtverwaltung Mannheim seine Brötchen verdienen.
Autor:
Hajo Jahn
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