Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Grzesinski, Albert

H.A.M. 0

Albert Grzesinski
Politiker (D)

Geb. 28.07.1879 in Treptow
Gest. 31.12.1947 in New York/USA


Unehelich geboren zu sein, dieses Schicksal teilt Albert Grzesinski mit einem anderen großen Sozialdemokraten und Exilanten, nämlich mit Willy Brandt – ein „Makel“, mit dem gegen Brandt sogar noch in Wahlkämpfen des demokratischen (West-)Deutschland gehetzt wurde. Und wie Brandt wuchs der uneheliche Sohn eines Berliner Dienstmädchens namens Lehmann bei den Großeltern auf. Als Fünfjähriger kam er nach Berlin, wo er von 1885 bis 1893 eine Volksschule in Spandau besuchte. Eine Chance, das Abitur zu machen wie der spätere Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger Brandt hatte Albert Lehmann allerdings nicht. Dass er einmal Polizeipräsident und gar Minister werden würde, hat man ihm nicht an der Wiege gesungen. Mit 14 musste er eine Art Lehre als  „Metalldrücker“ antreten. Da hieß er bereits kurze Zeit Albert Grzesinski – den Namen seines Stiefvaters hatte er 1892 angenommen.


Klassenbewusste Arbeiter wussten, wo sie hingehörten: In eine Gewerkschaft.  1897 wurde der 18jährige Mitglied des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes. Ein Jahr später trat er folgerichtig in die Sozialdemokratische Partei ein. Anfang 1900 kam der rednerisch begabte junge Mann als Gewerkschaftsfunktionär nach Offenbach am Main, wo er 1903 bis 1907 der örtlichen SPD vorstand.


Es folgte die übliche Funktionärskarriere in Offenbach, später in Kassel. Aber schon hier zeigte sich sein Ausnahmetalent und die Fähigkeit, über den parteipolitischen Telllerrand zu schauen, als er den Zusammenschluss verschiedener Verbraucherverbände organisierte.  Nach Beendigung des Ersten Weltkrieges wurde der Sozialpolitiker Vorsitzender des Kasseler Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrats. In dieser Funktion unterstützte er vorhaltlos den Rat der Volksbeauftragten, wurde er in dessen Zentralrat gewählt, Stadtverordneter in Kassel und dort Ratsvorsitzender. Ab 1919 bis 1921 gehörte er der preußischen Landesversammlung an, danach bis 1933 dem preußischen Landtag.


Am 16. Juni 1919 war Albert Grzesinski zum Unterstaatssekretär im preußischen Kriegsministerium ernannt worden – das gab es trotz der Friedenszeiten nämlich nominell noch immer. Es war der Sozialdemokrat Grzesinski, der in seiner neuen Funktion den Vorschlag einer schnellen Demobilisierung der Militärs gemacht hatte. Damit wurde er zum Vollender seiner eigenen Idee: Reichskommissar des Reichsabwicklungsamtes. Doch den Posten des Reichswehrministerlehnte er ab, denn er kannte die „Kommissköppe“ der Reichswehr und fürchtete deren reaktionäre Einstellung.


Weitere Stationen dieses Mannes waren das Reichsarbeitsministerium, der Posten eines Präsidenten des preußischen Landespolizeiamtes und ab Mai 1925 bis Oktober 1926 das Amt des Polizeipräsidenten von Berlin. Als im Frühjahr 1926 ein Rechtsputsch in der Republik drohte, zeigte er diese Gefahr öffentlich an. Als Vorgesetzter von Kripochef Bernhard Weiß, der 1933 ins Exil flüchten musste wie Hunderte anderer intellektueller Regimegegner, unterstützte er dessen Kampf gegen Republikfeinde von der äußersten Rechten und extremistischen Linken, den Todfeinden der ersten deutschen Republik.


Höhepunkt seiner Karriere war  die Ernennung zum Innenminister Preußens, des größten deutschen Landes. Seine offizielle Amtszeit begann am 7. Januar 1926 und endete am 28. Februar 1930. Als Innenminister versuchter er, die Demokratiesierung der Verwaltung, des Polizeiapparats und zugleich die Macht der Gutsbesitzer durch Verwaltungs- und Wahlkreisreformen einzuschränken. Im Katalog einer Polizeiausstellung in Berlin 1926 sprach er höchst modern von einer Polizei, die Freund, Helfer und Kamerad der Bevölkerung zu sein habe. Grzesinski gilt als einer der Urheber des Mottos Die Polizei – Dein Freund und Helfer.


Sein größter Irrtum war im März 1927 die Aufhebung des Redeverbots für Adolf Hitler. Grzesinksi war eben durch und durch Demokrat.  Er glaubte wie so viele andere deutsche republikanisch gesinnte Politiker, dass der spätere Diktator ungefährlich sei und nur vorübergehend im Amt. Als Innenminister wurde Albert Grzesinki  zunehmend in die Auseinandersetzungen zwischen der KPD, NSDAP und dem Stahlhelmbund verwickelt. Bei brutalen Straßenkämpfen am 1. Mai 1929, dem „Berliner Blutmahl“, stützte er mit dem Reichsinnenminister Severing den Polizeipräsidenten Zörgiebel. Andererseits verbot er im Mai 1929 den Roten Frontkämpferbund (RFB).


Am 28. Februar 1930 musste er wegen einer persönlichen Affäre vom Amt des Innenministers zurücktreten. Die Ironie jener wirren Tage wollte es, daß Grzesinski noch einmal Polizeipräsident von Berlin wurde: Vom 6. November 1930 bis zum 20. Juli 1932 hatte er dieses Amt zum zweiten Mal inne. Beim „Preußenschlag“ nach dem 20. Juli 1932 – die preußische Regierung war abgesetzt worden –  wurde er in Schutzhaft genommen. Nachdem er sich per Unterschrift verpflichtet hatte, keinerlei Amtshandlungen mehr vorzunehmen, kam er auf freien Fuß. Weil er jedoch fürchten mußte, für immer weggesperrt zu werden, emigrierte Albert Grzesinski 1933 über die Schweiz nach Frankreich. Unter dem Eindruck der Folgen der NS-Diktatur begann er, seine politische Haltung zu ändern. In London stellte er sich einem internationalen Untersuchungsausschuss zur Verfügung, um die Hintergründe des Reichstagsbrandes vom 27. Februar 1933 aufzuklären, den die Nazis zur Verhaftung zahlreicher unbequemer Gegner genutzt hatten. 1934 veröffentlichte der einstige Arbeiter seine Memoiren unter dem Titel La Tragi-Comédie de la République Allemangne. Mit seinem Buch Inside Germany bedauerte er 1939, dass er nicht entschieden genug die Feinde der Weimarer Republik bekämpft habe.


Deshalb engagiert sich der Exilant bei Versuchen einer „Volksfront“ aller demokratischen Exilanten im Ausland, arbeitet im französischen Innenministerium von August 1936 bis Juli 1937 als Präsident des Konsultativkomitees für die deutschen politischen Flüchtlinge. Als er das Ergebnislose seiner Bemühungen einsieht, reist er resignierend im Sommer 1937 in die USA. Hier schließt sich zunächst der Kreislauf: Der einst so erfolgreiche Aufsteiger arbeitet in New York wieder als Metalldrücker. Doch er kann sich nicht verleugnen, wird  1938 Präsident der Emigrantenvereinigung German Labour Delegation und am 2. Mai 1944 Gründungsmitglied des Council for a Democratic Germany. Dafür wird er von rechten Mitgliedern der German Labour Delegation heftig befehdet. Alles wie gehabt?


Autor:

Hajo Jahn


Literatur:

Albert Grzesinski: Im Kampf um die deutsche Republik. Erinnerungen eines Sozialdemokraten. Herausgegeben von Eberhard Kolb. München 2001 (Schriftenreihe der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte 9).

Die Kommentare sind deaktiviert.