Edward Teller
Physiker (Ungarn)
Geboren am 15. Januar 1908 in Budapest
Gestorben am 9. September 2003 in Stanford, USA
Der „Vater der amerikanischen Wasserstoffbombe“ war ein begnadeter Physiker, zugleich ein politischer Hardliner und bekennender Antikommunist – eine schillernde Persönlichkeit, zerstrittenen mit Freunden und Kollegen, mit denen er am „Manhattan-Project“ gearbeitet hatte. Geflohen vor den Nazis, wollte er die Welt vor ihnen schützen durch die Nuklearwaffen. Die Toten von Hiroshima und Nagasaki nahm er – weil Präsident Truman so entschied – dabei billigend in Kauf.
Seine erste Emigration hatte Edward Teller 1923 aus Ungarn nach Deutschland geführt. Er war fasziniert von Chemie und Physik. Die besten Köpfe auf diesen Gebieten gab es zu dieser Zeit noch im Land der Dichter und Denker, das eben auch ein Land der Wissenschaft war. So studierte der Ungar (er) in Karlsruhe Chemieingenieurwissenschaften, bevor er an die Unis von München und Leipzig wechselte. In Leipzig, der Stadt des Thomaskantors Johann Sebastian Bach, promovierte er bei Werner Heisenberg (1901-1976), einem der ganz Großen seiner Zunft, Pionier der Quantenmechanik (technik) Der Doktorvater von Teller war – sein Leben lang – auf der Suche nach der Natur der Elementarteilchen und der „Weltformel“ (der Naturgesetze).
Der Journalist Konrad Lindner porträtierte Edward Teller für eine „Zeitzeichensendung“ auf WDR 5 aus Anlass von dessen 100. Geburtstag am 15. Januar 2008 so: „Wer im ‚Goldenen Zeitalter‘ der Atomphysik etwas werden wollte, ging zu Werner Heisenberg nach Leipzig. Das jugendliche Genie hatte in den Jahren der Weimarer Republik die gültige Formulierung der sagenhaften Quantenmechanik gefunden und die so genannte >Unschärferelation< entdeckt, über die Edward Teller oft und gern schwärmte. ‚Die Klarheit, die möglich wurde und die sogar heute noch viele Leute noch nicht verstehen, die kam von Heisenberg.‘
Die Erkenntnis, dass sich der Ort und der Impuls eines Elektrons nicht gleichzeitig genau messen lassen, hatte ein neues physikalisches Weltbild zur Folge. Auch Nobelpreisträger Heisenberg erinnerte sich in seinen späten Jahren gern an die Revolution in der Physik: ‚Ich hab‘ mich so etwas als Apostel einer neuen Lehre gefühlt, eben der neuen Atomtheorie, die von Bohr und den Kopenhagenern gemacht worden war. Es hat mir Freude gemacht, eben diese Lehre nun unter der studentischen Jugend, unter den Physikern zu verbreiten. Aber ich hab‘ immerhin in dem ersten Semester – so weiß ich – habe ich in meinem Seminar nur einen Hörer gehabt.‘
Als Teller in die Leipziger Runde kam, war er 20, und das Seminar war gut besucht. Mit Heisenberg stritt er nicht nur über die Atomhülle. Der musisch begabte Professor führte ihn auch in Johann Sebastian Bachs >Kunst der Fuge< ein. In seiner Doktorarbeit berechnete Teller, wie die Elektronen im Wasserstoffmolekül umherschwirren. 1930 verteidigte er seine Arbeit. Mit Auszeichnung und viel früher als erwartet:
‚Damals waren die Rechenmaschinen noch nicht so weit. Also rechnete ich zum Wasserstoffmolekülion jede Nacht mit ziemlichen Gepolter. Heisenberg aber – damals war er nicht verheiratet – schlief eben im Zimmer darüber. Ich habe immer den Verdacht gehabt, daß der Lärm, den ich gemacht habe, hat Heisenberg nicht schlafen lassen, und deshalb hat er mir den Doktortitel frühzeitig verliehen‘.“
Zeitzeichen-Autor Lindner hat noch mehr solcher raren „O-Töne“ ausgegraben, weil er Edward Teller 1996 zu Hause in Palo Alto für ein „Tischgespräch“ des Westdeutschen Rundfunks (Redaktion Curt Hondrich) interviewte. (- Journalisten, wenn sie ihr Handwerk beherrschen, wissen, wo sie fündig werden.) Edward Teller wusste gewiss, dass seine Familie jüdisch war. Ihn selbst ineressierte das wenig. Bis 1933 die Nazis in die Macht kamen und er flüchten musste. Sein zweites Exil wurde Großbritannien, sein drittes die Vereinigten Staaten von Amerika, wo er einen Lehrauftrag an der George Washington-University erhielt. Bis er wieder in Kontakt mit einem herausragenden Wissenschaftler kam. Der scharte die fähigsten Physiker und Techniker, darunter zahlreiche Exilanten, um sich: J. Robert Oppenheimer, Sohn eines deutsch-jüdischen Einwanderers.
Dieses Team arbeitete fieberhaft an der Bombe, die auch Deutschland haben wollte, propagiert als „Wunderwaffe“. Es war ein Wettlauf. Teller beteiligte sich am „Manhattan Engineering District-Project“, das später offiziell „Project Y“ hiess, initiiert von US-Präsident Roosevelt. Zeitweise arbeiteten Tausende von Zivilisten und Militärs mit. Aber nur etwa eine Handvoll Wissenschaftler um Oppenheimer wußten, worum es wirklich ging. Er hatte hatte die Leute ausgewählt, Los Alamos als Standort der Laboratorien und das Testgebiet. Mit Teller teilte er die Befürchtung, Hitlers Wissenschaftler, wie Carl Friedrich von Weizsäcker, mit denen der ehemalige Ungar einst studiert und gearbeitet hatte und befreundet war, könnten als erste Atomwaffen bauen. Aber die Europäer in Amerika waren schneller. Der „Trinity“-Test erfolgte am 16. Juli 1945 um 5.30 Uhr Ortszeit. Die erste Atombombe wurde auf einem Versuchsgelände der Luftwaffe in der Nähe von Alamogordo Santa Fe im Bundesstaat New Mexico gezündet. Die Sprengwirkung entsprach 20.000 Tonnen TNT. Als ihr „Vater“ ging J. Robert Oppenheimer in die Geschichte ein – eine tragische, eine moralische Persönlichkeit.
Wenige Wochen nach dem Atompilz über der Wüste von New Mexiko gab es die grauenhafte Praxisanwendung, zuerst über Hiroshima und dann über Nagasaki.
„Gleich während der ersten Planungen wollte sich Teller nicht mit einer ‚simplen‘ Atombombe begnügen“, meint Zeitzeichen-Autor Konrad Lindner: „ Er redete permanent von der ‚Super‘, die auf Kernfusion beruht. Wie die Sonne. Mit dem Beginn des Kalten Krieges kam der Tag, an dem Teller den Auftrag zur Entwicklung der Superbombe erhielt. Jetzt drängte er seinen Kontrahenten Robert Oppenheimer ins Abseits.“
Oppenheimer war vom Saulus zum Paulus geworden. Das Grauen der Atomwüste über den japanischen Städten, die vielen verbrannten Toten, von denen oft nur ein eingebrannter Schatten übrig geblieben war, brachten eine radikale Umkehr seiner Einstellung. Und das in den hysterischen Zeiten des Kalten Krieges. Er wurde „unamerikanischer Umtriebe“ und als Kommunist verdächtigt. Das Theaterstück „In der Sache J. R. Oppenheimer“ setzte diesem kompromisslosen Antifaschisten ein würdiges Denkmal.
Radikal wie Oppenheimer inzwischen gegen Atom- und Wasserstoffbomben war auch Edward Teller – radikal nämlich nicht nur gegen Hitlers Nazis, sondern auch gegen Stalins Kommunisten. Und radikal in der Wahl der einzusetzenden Mittel. In dem Radiobeitrag von Lindner kommt (wird) Teller wie folgt (eingespielt)
zu Wort: „Es war ein Standpunkt, der nicht leicht für mich selber war. Mir wäre es viel angenehmer gewesen, mit meinen Kollegen übereinzustimmen. Aber ohne meine positiven Aussagen, wäre die Wasserstoffbombe einfach in Amerika nicht zustande gekommen. Und ohne die Wasserstoffbombe, hätte die Sowjetunion eben die Übermacht an sich gerissen, die vielleicht die Geschichte völlig geändert hätte.“
Am 1. November 1952 zerstörte die von den Amerikanern „Ivy Mike“ genannte erste Wasserstoffbombe der Welt das Eniwetok-Atoll. Tellers Freund Carl Friedrich von Weizsäcker über das Motiv: „Teller fand, man muss die Wasserstoffbombe machen. Das ist notwendig, um den Frieden zu bewahren. Und ich wiederhole: Den Frieden! Denn er war überzeugt, das war seine Sicht der Dinge, dass das sowjetische System die Tendenz hat, sich die ganze Welt zu unterwerfen, dass dieses aber nicht geduldet werden darf und kann, dass die Verteidigung dagegen nur dann wirklich möglich ist, wenn der Westen, und das heißt in diesem Fall Amerika, der Sowjetunion immer militärisch weit überlegen ist, so dass keinerlei Versuchung besteht, einen Krieg anzufangen. Denn Amerika würde ihn nicht anfangen und die Russen würden ihn nicht anfangen, weil sie ihn verlieren würden.“ (/4/, S. 127.)
Noch einmal Konrad Lindner: „Bis zum Ende des Kalten Krieges trat Teller – zuletzt durch SDI und Starwars – als Prophet der Rüstung hervor. Unbeirrt verfolgte er die Maxime: Frieden durch Hochrüstung! Im Kollegen- und Schülerkreis stieß der Rüstungsbesessene auf heftige Kritik. Der deutsche Physiker Hans-Peter Dürr machte in Berkeley bei Teller seinen Doktor. Er folgte auch dem Rat seines Lehrers, gemeinsam mit Heisenberg zur Theorie der Elementarteilchen zu arbeiten. Aber in Fragen der Verteidigungs- und Ernergiepolitik widersprach er dem amerikanischen Kollegen. Als Edward Teller auch nach dem Ende des Kalten Krieges Atomreaktoren als eine Zukunftstechnologie des 21. Jahrhunderts weiter anpries, bezog Hans-Peter Dürr klar Stellung:
‚Mit Edward Teller stimme ich überhaupt nicht überein. Dieser Mann hat nichts verstanden. Absolut nichts. Er ist für mich altmodisch, überholt, und so fort. Er ist ein reiner Technokrat. Er hat nicht verstanden, wie der Mensch ein Teil der Natur ist. Er ist ein urban denkender Mensch, der glaubt, er sei der kleine liebe Gott und er könnte die Natur zu seinen Zwecken gebrauchen. Es ist absoluter Unsinn, was er hier erzählt.‘
Kaum ein Physiker hat die Öffentlichkeit im 20. Jahrhundert derart polarisiert wie Edward Teller. Aber daran, dass er ein brillianter Physiker war, besteht ebenso wenig ein Zweifel, wie daran, dass seine Biografie auf abgründige Weise die Logik des Schreckens spiegelt.“
Autor(en):
Hajo Jahn (und Konrad Lindner)
Weitere Literatur:
1. Edward Teller mit Judith Shoolery: Memoirs. A Twentieth-Century Journey in Science and Politics. Cambridge, Massachusetts, 2001.
2. Hans Peter Dürr: Verantwortung für die Natur. Hrsg. von Michael Haller. Zürich 1992.
3. Interview von Konrad Lindner: Ein Atomphysiker erzählt. Edward Teller zwischen Leipzig und Livermore. Universität Leipzig 1998.
4. Konrad Lindner: Carl Friedrich von Weizsäckers Wanderung ins Atomzeitalter. Ein dialogisches Selbstporträt. Paderborn 2002.
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