Naum Slutzky
Designpionier (war ein ukrainischer Goldschmied, Lehrer für Industriedesign und Meister am Weimarer Bauhaus.)
Geboren am 28. Februar 1894 in Kiew, Russland
Gestorben am 4. November 1965 in Stevenage/Hertfordshire)
Am 27. Dezember 2008 strahlte der Bayrische Rundfunk in seinem 3. Fernsehprogramm seine samstägliche Sendung „Kunst und Krempel“ aus. Dabei präsentierte ein älterer Herr ein kleines, wqunderschön gearbeitetes Holzkästchen mit einem Davidstern – möglicherweise für Visitenkarten gedacht – und eine gehämmerte Schale. Diese Gegenstände habe seine aus Ungarn stammende Mutter von dem Bauhaus-Designer Naum Slutzky geschenkt bekommen, mit dem sie befreundet war, lautete die Erklärung. Der Besitzer der Exponate staunte ebenso wie die Experten – er über den hohen finanziellen Wert der Pretiosen, die Fachleuten über beide Arbeiten, die bislang unbekannt waren. Selbst in den einschlägigen Museumssammlungen seien keine vergleichbaren Stücke vorhanden. Mit dieser Sendung wurde ein nur wenigen Fachleuten und Sammlern bekannter Exilant wieder einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt.
Geboren wurde Naum Slutzky in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine, als Sohn einer alten Goldschmiedfamilie. Vater Nachman war als Handwerker bei der dortigen Filiale des berühmten, aus Frankreich stammenden Moskauer Hofjuweliers Carl Peter Fabergé beschäftigt – dem Schöpfer der „Fabergé-Eier, die spätestens seit einem James Bond-Film weltweit bekannt sind, versteigert für horrene Preise in den großen Kunsthäusern der Welt. Während jedoch die Zaren und Adligen in Luxus lebten, gab es noch lange in Russland Leibeigenschaft, Armut und Not – also ein Klima des Neids, in dem Antisemitismus und Pogrome weit verbreitet waren. Kein Wunder, dass die jüdische Familie Slutzky um1905 nach Wien auswanderte.
Dort absolvierte der junge Naum eine Lehre als Goldschmied und als solcher 1912 in der „Wiener Werkstätte“ angestellt. Zwei Jahre später begann er ein Studium an der Technischen Hochschule der österreichischen Hauptstadt, gefolgt von Kunstunterricht an der privaten Kunstschule von Johannes Itten. Walter Gropius, einer der Gründer des „Bauhaus“ in Wien berief den talentierten jungen Mann als „Hilfsmeister“ nach Weimar. Wenig später, 1921, erhielt Naum Slutzky als „Jungmeister“ eine eigene Werkstatt und ein Jahr später den Titel eines „Meisters des Goldschmiedehandwerks“.
1924 verließ er das Bauhaus, um zunächst in Berlin und Wien als Innenarchitekt und Beleuchtungsdesigner zu arbeiten. Diese fruchtbare Schaffensperiode setzte er 1927 in Hamburg fort, wo Naum Slutzky auch durch Beleuchtungsarchitektur in Kinos, Kirchen, Museen und Synagogen Furore machte. Im Rahmen der „Hamburger Sezession“ stellte er seine kunstgewerblichen Arbeiten aus, unterstützt von dem mit ihm befreundeten Max Sauerlandt, dem Direktor des Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Sauerlandt war es auch, der dem jüdischen Freund 1933 zur Flucht aus Nazi-Deutschland riet und ihm bei der Emigration nach Großbritannien half. Viele Slutzky-Arbeiten – Schmuck, Möbel, Lampen und andere Gebrauchsgegenstände, aber auch figurative Arbeiten und Tierskulpturen – fielen 1937 der nationalsozialistischen Aktion „Entartete Kunst“ zum Opfer. In seine große Schaffensperiode fiel der Beginn des Industriedesigns, maßgeblich von Bauhaus-Künstlern wie Slutzky geprägt. Seine Werke zeichneten sich durch Zweckmäßigkeit, Einfachheit und Materialgerechtigkeit von hoher Qualität und Preiswürdigkeit aus. Doch nicht die Formensprache war den Nazis ein Dorn im Auge, sondern die Tatsache, dass dieser „Designer“ ein Jude war.
In England hat sich der Immigrant Slutzky vor allem als Lehrer verdient gemacht, so von 1935 bis 1940 an der Dartinton Hall School in Tones (Devon) und von 1946 bis 1950 an der Londoner Central School of Arts and Crafts. Der Exilant aus Kiew, Österreich und Deutschland bildete in 30-jähriger Lehrtätigkeit zahlreiche britische Industriedesigner aus. Damit prägte er nicht nur deren Geschmack, sondern indirekt auch den der britischen Gesellschaft.
Autor:
Hajo Jahn
Ausstellungen
1928 Hamburger Sezession, 8. Sezessionsausstellung
1930 Hamburger Neue Sezession, Kunsthalle Hamburg
1930 Deutscher Werkbund im Grand Palais, Paris (Frankreich)
1931 Hamburger Sezession, 10. Sezessionsausstellung
1961 Goldsmith’s Hall, London (Großbritannien)
1961 Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg: Schmuck aus Hamburger Zeit
1966 Musée des Artes Décoratives, Paris (Frankreich)
1968 Württembergischer Kunstverein, Stuttgart: 50 Jahre Bauhaus
1983 Hamburger Kunsthalle: Schmuck von Naum Slutzky
1986 Neue Gesellschaft für bildende Kunst, Berlin: Kunst im Exil
1995 Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg: Naum Slutzky – Ein Bauhauskünstler in Hamburg
Slutzky-Arbeit in Archiven und Museen:
Bauhaus-Archiv, Berlin
Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg
Schmuckmuseum Pforzheim
British Museum, Victoria and Albert Museum sowie Goldsmith’s Hall, alle London
Schwedisches Nationalmuseum, Stockholm
Literatur über den Bauhauskünstler Monika Rudolph:
Naum Slutzky – Meister am Bauhaus, Goldschmied und Designer,
Arnold’sche, Tübingen, 1990 ISBN 3-925369-06-6
Rüdiger Joppien (Hrsg.) Naum Slutzky – Ein Bauhauskünstler in Hamburg. Katalog zur Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 1995
Klaus Weber (Hrsg.), Die Metallwerkstatt am Bauhaus, Bauhaus-Archiv Museum für Gestaltung Berlin, 1992 ISBN 978-3-89181-405-5
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