Salman Schocken
Verleger und Kaufmann
Geboren am 30. Oktober 1877 in Margonin bei Posen (Polen)
Gestorben am 21. September 1959 in Pontresina, Schweiz
Salman Schocken, der einstige „Kaufhauskönig“ und erfolgreiche Verleger, ist in Deutschland nahezu vergessen. Sehr zu Unrecht. In der Weimarer Zeit war er eine allseits bekannte Größe. Hannah Arendt bezeichnete ihn als „jüdischen Bismarck“ – er selbst sah sich eher als Kulturpapst. Das Geld, das er mit den Schocken-Kaufhäusern verdiente, investierte er in Kultur: Er sammelte jüdische Texte, betätigte sich als Forschungsmäzen und Verleger. 1938 wurde der Berliner Schocken-Verlag geschlossen. Schocken emigrierte nach Israel. In den USA, nicht in Deutschland, ist die interessanteste Biografie dieser schillernden Persönlichkeit erschienen. Nach dem Krieg hatte er einige seiner Warenhäuser zurück erwerben können, die er später an den Kaufhausunternehmer Helmut Horten verkaufte.
Die Balfour Street in Jerusalem ist eine ruhige Straße mit viel Grün; sie verläuft mitten durch eines der gehobenen Wohnviertel der Stadt. Zur Linken erhebt sich der Amtssitz des israelischen Ministerpräsidenten, ein kalter, abweisender Klotz aus Stein und Eisenbeton, mit Wachtürmen, Fahnen, Scheinwerfern und schwer bewaffneten, grimmig aussehenden Wachen, die ständig etwas in ihre Walkie-Talkies flüstern. Unmittelbar gegenüber und in scharfem Kontrast zu diesem düsteren Anblick, strahlt ein wahres Juwel der Bauhaus-Architektur: die überaus elegante, wohlproportionierte Fassade der Schocken-Bibliothek. Entworfen wurde dieses Gebäude 1934 von Erich Mendelsohn, einem Flüchtling aus Nazi-Deutschland, der in den 20er-Jahren durch den Potsdamer „Einsteinturm“ international berühmt wurde (und dessen Biografie hier im Exil-Archiv ebenfalls zu finden ist). Bei seinem Entwurf der Außenfront der Schocken-Bibliothek (Foto unten; entnommen dem Buch “Momente in Jerusalem“) ließ sich Mendelsohn von der offenen Landschaft inspirieren, die 1935 die Stadt noch umgab – von den endlos in die Tiefe gestaffelten kahlen Bergkuppen und den sanften Konturen der arabischen Dörfer, die damals noch auf den Hügeln saßen und dem Auge zumindest aus der Ferne einen überaus harmonischen Anblick boten.
Von Mendelsohn stammen auch die Details im Innern der Bibliothek: elegante Treppengeländer und Türklinken aus Stahl, Bücherregale aus hellem Zitrusholz, Tische, Stühle und Schirmständer, aber auch vom Bauhausstil inspirierte Wasch- und Toilettenräume. Der gesamte Bibliotheksbau mit seinen klaren Linien, seinen aus rosafarbenen Jerusalemer Sandsteinquadern gefügten Mauern und den elliptisch nach außen gewölbten Fensterfronten und verglasten Treppenhäusern dürfte zu den bemerkenswertesten Gebäuden der Stadt zählen.
Der Auftrag für den Bibliotheksbau stammte von einem anderen deutschen Flüchtling. Der (damals) 58-jährige Salman Schocken war ein echter Selfmademan. Nach einer kaufmännischen Lehre im Zwickauer Warenhaus seines Bruders Simon gründete er zusammen mit diesem eine Warenhauskette. Das war der Grundstein einer Karriere zum „Kaufhauskönig“. Doch trotz seiner weitgehend autodidaktischen Bildung brachte er es auch zum Büchersammler, Verleger und Philanthropen.
Der Autor Amon Elon beschreibt Salman Schocken in „Le Monde diplomatique“ im Januar 2005 „als Genie des Handels mit Massenware. (So) hatte Schocken ein immenses Vermögen gemacht, das er in seine säkulare Vision investierte: dass Juden in ihrer eigenen nationalen Heimat leben sollen. Zur gleichen Zeit, 1935, kaufte er die bankrotte Tageszeitung Haaretz als Hochzeitsgeschenk für seinen ältesten Sohn Gustav. Das Blatt ist noch immer im Besitz der Familie, heute wird es von seinem Enkel, Amos Schocken, geleitet und ist eine – häufig einsame – Stimme der Vernunft in einem schwer traumatisierten Land.
Salman Schocken war ein rundlicher Mann von kleiner Statur, mit einem massigen Nacken und einem auffallend mächtigen Kahlkopf. Sein 1931 gegründetes dreisprachiges Verlagshaus – anfangs mit Sitz in Berlin, Jerusalem und Tel Aviv, bald auch mit Sitz in New York – war auf moderne hebräische Literatur und Judaika spezialisiert, aber sein kostbarstes Gut waren die Rechte am Gesamtwerk von Franz Kafka. Der Beitrag, den Schocken zum säkularen jüdischen Nationalismus und zur kulturellen Identität Israels geleistet hat, lässt sich kaum ermessen. Ohne seine mäzenatischen Aktivitäten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die heute erreichte Blüte der modernen hebräischen Literatur kaum vorstellbar. Salman Schocken verkörperte, so berichtet sein Sohn Gustav, eine seltsame Mischung aus strengem Haustyrannen und fürsorglichem Vater, aus hartem Geschäftsmann und verträumtem Romantiker, aus preußischer Disziplin und hingebungsvoller Liebe zur Poesie. Er war assimiliert und in mancher Hinsicht „deutscher“ als viele Deutsche. Aber er war zugleich ein stolzer säkularer Jude. Politisch bekannte er sich zum liberalen Lager und zuweilen sogar fast zu einem strengen Pazifismus. ‚Jahrtausende von Tinte, nicht Blut und Boden, hatten die Juden zu einer Nation geschmiedet‘, meinte er einmal.“
Der Kosmopolit Salman Schocken, 1934 vor den Nazis nach Palästina geflohen, hat maßgeblich an der Erfindung des säkularen jüdischen Nationalismus mitgewirkt. Er gründete die Haaretz-Verlagsgruppe und die „Schocken Publishing House Ltd. (mit Niederlassung auch in New York).
Schocken war der Inbegriff des deutsch-jüdischen Liberalismus, „ein Symbol der deutschen Juden (und) ihrer erstaunlichen Vitalität“. So sein amerikanischer Biograf Anthony David. Die eigentliche Religion deutscher Juden wie Schocken sei das bürgerliche Bildungsideal gewesen. Sie richteten all ihr intellektuelles und politisches Bemühen in Deutschland – später auch in Israel – darauf, den Patriotismus zu zivilisieren, in einem auf Gesetzen, nicht auf Blut gründenden Staat.
Salman Schocken hatte den Ehrgeiz, Wissenschaftler zu finden, die aus diesen noch kaum erforschten Schätzen einen nationalen Mythos ans Licht heben würden. Berühmte jüdische Gelehrte und hebräische Schriftsteller, unter ihnen der spätere Nobelpreisträger (1966) Samuel Josef Agnon, der Kabbalaforscher Gerschom Scholem, der die Kabbala für den Westen wiederentdeckt hat, Else Lasker-Schüler („Was soll ich hier“ ist der Titel ihrer in Buchform erschienen „Exilbriefe an Salman Schocken“) oder Martin Buber, der den osteuropäischen Chassidismus in Deutschland popularisierte – und zeitweise noch viele andere -, bezogen von Schocken jahrelang finanzielle Zuwendungen. Ein Mäzen im besten Sinne des Wortes und eine von jenen vielen Persönlichkeiten, um die sich Deutschland ärmer gemacht hat.
Bearbeitung:
Hajo Jahn
Literatur
- Volker Dahm: Das jüdische Buch im Dritten Reich. 2., überarb. Auflage, München, C. H. Beck 1993, 573 S., ISBN 3-406-37641-X
- Hans-Eberhard Happel u. a.: Schocken – eine deutsche Geschichte. Bremerhaven, Nordwestdeutsche Verlagsgesellschaft 1994, ISBN 3-927857-53-X
- Anthony David: The Patron: A Life of S. Schocken 1877-1959. New York, Metropolitan Books, 2003, ISBN 0-8050-6630-6; Kritische Besprechung (deutsch), in : Kalonymos: Beiträge zur deutsch-jüdischen Geschichte aus dem Salomon Ludwig Steinheim-Institut, Duisburg, Heft 1/2006, S. 6f., ISSN 1436-1213. Weitere Rezensionen (englisch). Das Buch ist auch in Hebräisch erschienen (Tel Aviv: Schocken, 2006). Die deutsche Fassung wird 2007 erwartet.
- Tilo Richter: Erich Mendelsohns Kaufhaus Schocken: jüdische Kulturgeschichte in Chemnitz. Leipzig, Passage-Verlag 1998, ISBN 3-9805299-5-9
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