Ernst Kaiser
Literaturwissenschaftler und Schriftsteller (Österreich)
Geboren am 3. Oktober 1911 in Wien/Österreich-Ungarn
Gestorben am 1. Januar 1972 in Reading, Großbritannien
Gestorben am 1. Januar 1972 in Reading, Großbritannien
Ernst David Kaiser besuchte in seiner Geburtsstadt Wien ein Gymnasium, legte die Matura ab, leistete seinen Wehrdienst und studierte Germanistik. Nachdem Österreich Teil des „Dritten Reichs“ geworden war, floh Kaiser 1938 nach London, wo er Eithne Wilkins heiratete, eine neuseeländische Germanistin, Übersetzerin und Poetin, die als Dozentin an der Universität in London lehrte. erhielt die englische Staatsbürgerschaft und meldete sich freiwillig zum Dienst in der englischen Armee. Später notierte er, er »habe gegen Deutschland für Deutschland gekämpft« Kaiser
1945/46 war er als Dolmetscher in Hamburg stationiert. Dort erschien 1946 sein erstes Buch, die Novelle »Schattenmann«, im Verlag Hans Duve. Ernst Kaiser profilierte sich als Literaturwissenschaftler mit Forschungsarbeiten zum Nachlass von Robert Musil und als Übersetzer. Seine Versuche, den Roman »Die Geschichte eines Mordes« zu veröffentlichen, scheiterten.Seine Manuskripte gingen nach seinem Tode verloren. Erst 2004 fand sich in einem Nachlass eine Kopie des Romans, der 2009 in einer überarbeiteten Fassung erschienen ist. Die Geschichte dieser Veröffentlichung ist ein Krimi um einen literarisch hochklassigen Krimi:
„Noch niemals ist ein Irrsinnsfall so präzis und tief geschildert worden. Man darf wohl von einem Kunstwerk sprechen“. Kein Geringerer als der österreichische Schriftsteller Hermann Broch („Der Tod des Vergil“, „Die Schlafwandler“) zollte in einem Gutachten für die New Yorker Bollingen Foundation dem als Romancier unbekannten Kollegen Ernst Kaiser höchste Anerkennung. Trotz dieses Lobes erhielt Autor Kaiser für seinen Roman „Die Geschichte eines Mordes“ keine Förderung.
Die bekam er stattdessen für eine ganz andere Tätigkeit, mit der er in die Literaturgeschichte eingegangen ist: Der jüdische Exilant aus Wien, der sich bis dato als Hilfsarbeiter in einem Londoner Schlachthof mit Schweine- und Rinderhälften abplacken musste, wurde mit seiner Ehefrau Eithne Wilkins, der wichtigste Musil-Forscher. Von 1954 bis 1966 konnten sie als Stipendiaten neun Jahre lang in Rom leben, den Nachlass des Robert Musil sichten und auswerten.
Ihr großer Artikel in der Londoner Times hob den ebenfalls aus Österreich stammenden Autor des Romans „Der Mann ohne Eigenschaften“ drei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg spektakulär ins Bewusstsein einer internationalen Öffentlichkeit. Ihre in der korrekten Form in den USA und Großbritannien veröffentlichte Übersetzung verursachte einen jahrelangen Dissens mit dem Rowohlt-Verlag. Der endete erst 1968 mit einer Neuausgabe auf der Basis der Kaiser-Erkenntnisse.
Folgt man einem Novalis-Wort, dann ist der Zufall nicht unergründlich, sondern hat vielmehr seine Regelmäßigkeit. Regelmäßige Zufälle führten jetzt zum Druck des Romans von Ernst Kaiser, der von Siegfried Unseld und Harry Maria Ledwig-Rowohlt noch zu Lebzeiten des Autors für interessant gehalten, aber nicht verlegt worden war. 1000 etwas verwirrende Manuskriptseiten hätten gekürzt und lektoriert werden müssen. Ein Wagnis auch, einen als Schriftsteller unbekannten Exilanten aus Wien zu veröffentlichen.
Nach dem Tode Ernst Kaisers (1972) und seiner Frau Eithne (1974) „verschwanden alle Schriften von Ernst Kaiser auf noch immer ungeklärte Weise“, schreibt Ingrid Bachér in ihrem Vorwort des im Ralf Liebe Verlag erschienen Romans „Die Geschichte eines Mordes“.
Die ehemalige PEN-Präsidentin hatte als junge Villa Massimo-Stipendiatin das kinderlose Ehepaar Kaiser in Rom kennengelernt. Es entstand eine Freundschaft.
Als Eithne starb, sollten alle Kaiser-Manuskripte an Ingrid Bachér geschickt werden. Doch sie kamen nie an. Der Assistent der Kaisers musste in eine geschlossene Psychiatrie eingeliefert werden, blieb fortan unerreichbar, und der Bruder von Eithne Wilkins, ein renommierter Wissenschaftler, „verweigerte jegliche Auskunft“, so Helmut Braun, Herausgeber des Kaiser-Krimis.
In ihrem Roman „Die Tarotspieler“ beschreibt Ingrid Bachér 1986 das Schicksal Kaisers und seiner Manuskripte. Damit wurde der unbekannte Autor zu einer Figur der Literatur. Auf zwei Foren der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft berichtete sie zudem über den Fall, veröffentlicht im Doppelband „Momente in Jerusalem“ (2002) als „Hörbarmachen einer nie gehörten Stimme“. Leser und Zuhörer bei Lesungen waren fasziniert. So auch der junge englische Germanist Mark Nixon. Er nahm die Recherche wieder auf und entdeckte ausgerechnet im Literaturarchiv Marbach einen mit Kohlepapier geschriebenen Durchschlag des Manuskripts.
„Dorthin“, so Frau Bachér, „war er kurz zuvor mit dem Vorlass eines Kunsthistorikers gekommen, zu dem auch der Nachlass seines früh verstorbenen Sohnes, Wilhelm Bausinger, gehörte. Auch er war ein Freund der Kaisers gewesen und Kenner Musilscher Werke.“
Ingrid Bachér erwies Ernst Kaiser einen letzten Freundschaftsdienst: Sie lektorierte das vom Autor noch nicht für eine Veröffentlichung vorgesehene Manuskript. Kaiser war für sie ein leidenschaftlicher Wortsammler. Er habe unter dem Eindruck des Holocaust – seine Angehörigen in Österreich wurden ermordet – durch seine Flucht nach England, die deutschen Luftangriffe und seine folgende Soldatenzeit mit dem „Herrn Kalm“ eine literarische Figur geschaffen, für die die Realität in ihrer monströsen Ungeheuerlichkeit nicht mehr fassbar sei. Ein Mensch, der seine Ängste und Phantasien vervielfältige und sich seiner selbst nicht sicher sein könne: „In seinem Reichtum erscheint er wie eine Kunstfigur, gefesselt von den Umständen, in denen er lebt, zeremoniell kalt gestellt. Träumend gewalttätig, versucht er, aus seiner Isolation auszubrechen und tritt so in die Geschichte von Tätern und Opfern ein. Dabei bleibt er Zuschauer und fühlt sich doch als Akteur, denn die Augen begleiten die Tat. Juristisch schuldlos, will er die Tat getan haben, um zur Realität durchzubrechen. Herr Kalm ist einer von uns. Er lebt in einem fiktiven Raum, in der Zeit realer Kriege.“
Der Sonderdruck der „Geschichte eines Mordes“ wurde von Ingrid Bachér und Helmut Braun in einer Lesung im Zentrum für verfolgte Künste in Solingen am 24. September 2009 vorgestellt. Die Zuhörer lauschten gebannt. Man kann diesem Roman, diesem „Kunstwerk“ nur ebenso faszinierte, vor allem viele Leser wünschen und damit dem mutigen Verleger Erfolg.
Ernst Kaiser: „Die Geschichte eines Mordes“, ISBN 978-3-941037-22-9.
Herausgeber Helmut Braun. Mit einem Vorwort von Ingrid Bachér.
Bis zur Ausgabe der leinengebundenen Exemplare am 15. November gibt es eine Subskription zum Preise von 15,- Euro. Danach kostet das Buch € 20,–. Der zur Zeit bereits für 20 Euro erwerbbare Sonderdruck hat 380 Seiten.
Verlag Ralf Liebe Kölner Straße 58 53919 Weilerswist. Tel. :+49 (0) 2254 3347. Fax :+49 (0) 2254 1602 Mail: info@verlag-ralf-liebe.de
Autor:
Hajo Jahn
Bild/Foto:
Ingrid Bachér, ehemalige PEN-Präsidentin.
Die Schrifstellerin hatte sich mit dem Ehepaar Kaiser in Rom angefreundet. Sie sollte sich um den Manuskript-Nachlass kümmern, der jedoch auf dem Postweg verlorenging. Doch sie liess nicht locker und recherchierte jahrelang wie eine Kriminalistin.
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