Max Cassirer
Mediziner, Unternehmer und Politiker
Geb. 18.10 1857 in Schwientochlowitz
Gest. 15.01. 1943 in Talandar/ GB
Die Cassirers gehören zu jenen Familien aus dem deutsch-jüdischen Großbürgertum Berlins, die das geistige und kulturelle Leben im ausgehenden Kaiserreich und in der Weimarer Republik maßgeblich mitprägen, unter ihnen: der Musiker Fritz Cassirer, der Mediziner Richard Cassirer, der Philosoph Ernst Cassirer sowie Bruno und Paul Cassirer, die die künstlerische und literarische Moderne des anbrechenden 20. Jahrhunderts mitgestalten werden, sowie: der Mediziner, Fabrikant, Schulgründer und Politiker Max Cassirer.
Der Sohn eines jüdischen Holzkaufmanns studiert Medizin in Breslau und Berlin, tritt dann aber sehr bald schon in die beruflichen Fußstapfen seines Vaters und gründet mit knapp 25 Jahren eine eigene Holz-Exportfirma. 1887 zieht die Familie ins nahe bei Berlin gelegene Charlottenburg um, wo der junge Cassirer ein Bauholz-Handelsunternehmen eröffnet.
Aufgrund der sich anbahnenden Krise im Baugewerbe gründet er, gemeinsam mit drei Brüdern, die Zellstoff-Fabrik Cassirer & Co. 1905 zieht man in die 1894 erbaute und mit Skulpturen von August Gaul ausgestattete Villa, die den Familiennamen der Cassirers trägt.
Ab 1910 finanziert Max Cassirer den Aufbau der reformpädagogischen Odenwaldschule in Oberhambach, die von seiner Tochter Edith und ihrem Mann, dem Theologen und Reformpädagogen Paul Geheeb , geleitet wird. Im Jahr des Kriegsendes folgt die Gründung der Tillgner und Co. Zellstoffwerke KG in Berlin und Ziegenhals. Neben seiner unternehmerischen Tätigkeit widmet sich Cassirer aber auch seit den 90er Jahren bereits verstärkt der Kommunalpolitik: von 1893 bis 1913 ist er Berliner Stadtverordneter und seit 1866 unbesoldeter Stadtrat in Charlottenburg, von 1913 bis 1919 wiederum Stadtverordneter. Die damals noch nicht zu Berlin gehörende Gemeinde ernennt Max Cassirer 1920 zum Ehrenbürger ihrer Stadt – im Juni desselben Jahres wird er in die dann neue Bezirksversammlung gewählt.
Der spätere Ehrenbürger der Stadt Berlin und der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg (1928) verliert nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 sämtliche Ehrenämter sowie sein gesamtes Vermögen, das Aktienkapital der Dr. Cassirer & Co AG Kabelwerke geht über eine Holding-Gesellschaft in den Siemens-Konzern ein.
Max Cassirer selber zieht sich aus dem öffentlichen Leben zurück und lebt vorübergehend in der Odenwaldschule, bis Paul und Edith Geheeb mit 25 Schülern und Mitarbeitern die Emigration in die Schweiz gelingt. 1938 schließlich werden auch Cassirers vor zwanzig Jahren gegründete Zellstoffwerke von den nationalsozialistischen Machthabern „arisiert“ und der jüdische Unternehmer wird gezwungen, die Familien-Villa zu verkaufen, um die so genannte „Judenvermögensabgabe“ finanzieren zu können, die von dem damaligen NS-Innenminister Hermann Göring im Gefolge der Reichspogromnacht den deutschen Juden als „Sühneleistung für ihre feindliche Haltung“ abverlangt wird.
Noch im Dezember desselben Jahres gelingt Max Cassirer die Flucht zu seiner Tochter in die Schweiz und von dort 1939 weiter nach Großbritannien. Hitler-Deutschland bürgert den „marxistischen Stadtrat“ am 11. August 1941 aus. Sein auf mehrere Hundert Tausend Reichsmark geschätztes Vermögen wird eingezogen, die wertvolle Kunstsammlung versteigert oder von offiziellen Stellen übernommen.
Max Cassirer stirbt völlig verarmt im Alter von 85 Jahren im walisischen Exil. Der aus seinem Besitz stammende Schwanenkükenbrunnen von August Gaul wird fast zwei Jahrzehnte später, 1962, in Berlin an der Ecke Leibnitzstrasse/ Kurfürstendamm
aufgestellt. Eine Straßenbenennung ihm zu Ehren im Bezirk Spandau scheitert jedoch Mitte der 80er Jahre am Widerstand des Siemens-Konzerns, auf dessen Terrain die Straße liegt.
Quelle:
Vor die Tür gesetzt – Im Nationalsozialismus verfolgte Berliner Stadtverordnete und Magistratsmitglieder 1933-1945, Herausgeber: Verein Aktives Museum, Berlin 2006, ISBN 3-00-018931-9/ 978-3-00-018931-9, S. 162f.
Links (deutsch):
www.odenwaldschule.de/pdf/Archiv/Alphei-Hamburg.pdf
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