Sarajevo
Im April 1992 begann die Beschießung der bosnischen Hauptstadt Sarajevo durch serbische Truppen. Als eines der ersten Gebäude wurde die bosnische Nationalbibliothek am 25./26. August 1992 Opfer der Bombardierung. Eineinhalb bis zwei Millionen Bücher wurden Opfer der Flammen. Die Belagerer vernichteten damit auch einen Teil ihres eigenen kulturellen Erbes.
Die zerstörte Nationalbibliothek in Saravejo: ein Monument nationalistischer Arroganz und Symbol der gewaltsamen Zerstörung der bosnischen Kultur.
Die folgende Fotoserie wurde 1996, wenige Monate nach dem Abkommen von Dayton, aufgenommen. Die Bildserie ergänzt ein Auszug aus Ingrid Bachérs Erzählung „Sarajevo 96“.
„Am Nachmittag zuvor, gleich nach der Ankunft im Hotel war er zu der Nationalbibliothek Sarajewos gegangen, begierig nach der Anwesenheit von Büchern, der erregenden Ruhe, die von ihnen ausging.
Er beeilte sich, dorthin zu kommen, lief fast die letzten Schritte, um dann aufatmend vor dem Gebäude zu stehen und zu sehen, dass es nur noch eine gewaltige Ruine war. Dabei konnte er nicht überrascht sein, hatte er doch gehört, dass die Bibliothek bombardiert worden war. Sie war ein Symbol gewesen, darum traf man sie als erstes, in der vielleicht irrigen Meinung, dass man, indem man dies Symbol vernichtete, auch das vernichtete, wofür es stand.“
Der Mann ging über die Schwelle des zerstörten Einganges in die leere Hülle der Bibliothek. Nichts war sie ohne ihren Inhalt, wenn auch mächtig wie eine zerstörte Bahnhofshalle gigantischen Ausmaßes, wo man von keiner Ankunft und keiner Abfahrt mehr etwas wusste. Die Steine der Kuppel, die jetzt hätten über ihm sein müssen, waren auf die Erde gestürzt. Der entfernte Himmel war sichtbar. Noch standen die Mauern und einige der gemauerten Bögen, auch der oberen Galerie. Alles sonst war zerschlagen, unheilbar aufgelöst, verbrannt, in die Luft gejagt und zu Schutt und Staub geworden. Kleine Steinbrocken fielen herunter. Als er hinauf sah, entdeckte er Kinder oben auf dem schmalem First des Umganges.
Unbegreiflich war ihm, wie sie dort hingekommen waren. Er winkte ihnen zu und rief: Hallo! Aber sie antworteten nicht, nur kamen die Steinwürfe jetzt in schnellerer Folge und immer näher an ihn heran. Bevor er getroffen wurde, ging er fort, verärgert und deprimiert. Doch gab er den Kindern recht. Es war ihr Gebäude, ihre Geschichte…
Er dachte, dass er die verbra
nnte Bibliothek in seiner Rede erwähnen müsste, sagen müsste, dass er nicht ausschließen könne, dass diese Zerstörung auch im Namen seines Landes vollbracht wurde. War verweigerte Hilfe nicht gleich einer Tat, und wer die Täter begünstigte, machte er nicht gemeinsame Sache mit ihnen?
Ein bekannter bosnischer Schriftsteller, sehr alt schon und überaus sorgfältig gekleidet, kam auf ihn zu und sprach von der Sprache, die zuvor in ihrem Land eine einzige gewesen sei und nun – feindlich getrennt – nicht mehr den Reichtum der Möglichkeiten der verschiedenen Formen ausschöpfen durfte, sondern verarmte, weil es nicht gewünschte, nicht zugelassene Wörter gab.
Dabei erlösen uns doch nur die Worte…‘ sagte er.“
Text mit freundlicher Genehmigung der Autorin entnommen aus:
Ingrid Bachér: SAR
AJEWO ’96 Erzählung, mit Bildzeichen von Günther Uecker, MMI Verlag Eremiten-Presse Düsseldorf
Ingrid Bachér, geboren 1930 in Rostock, aufgewachsen in Berlin, lebt in Düsseldorf und Berlin. Seit 1949 journalisti-sche Tätigkeit,
1958 erste Buchveröffentlichung, gehörte zur Gruppe 47 und war von 1995 bis 1996 Präsidentin des westdeutschen PEN. Veröffentlichte Erzählungen, Roma-ne, Reiseberichte, Jugendbücher, schrieb Hörspiele und Fernsehfilme. Bei der Eremiten-Presse erschienen: Assisi verlassen, eine Erzählung mit Bildern von Ulrich Erben (1993); Schliemanns Zuhörer, Erzählung (1995). Sieh da, das Alter (Tagebuch einer Annäherung) Dittrich-Verlag (2003).
Die Kommentare sind deaktiviert.