Emerich Klaus Francis (ursprünglich Emerich Franzis)
Soziologe
Geb. 27. Juni 1906 in Gablonz (damals: Böhmen, Österreich-Ungarn)
Gest.14. November 1994
Weil Francis in Innsbruck aufwächst kann er nach der Auflösung der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie (zu der sein böhmischer Geburtsort gehört hatte) österreichischer Staatsbürger bleiben. Nach der Matura studiert er zwei Semester Jura in Innsbruck und geht 1926 nach Prag. Dort studiert er Germanistik, Philosophie, Pädagogik, Psychologie, Volkskunde und Geschichte.
In Prag schließt er sich dem Hochschulbund des „Staffelstein“ an, einer katholisch-elitären, volksdeutsch ausgerichteten, antidemokratischen Vereinigung, die den tschechoslowakischen Nationalstaat ablehnt. Francis verleugnet in diesen Jahren seine jüdische Abstammung durch ein ausgeprägtes katholisches und deutschnationales Bekenntnis.
1930 promoviert er mit einer Arbeit über den pädagogischen Gehalt im Werk Bernard Bolzanos. Anschließend hat er bis 1933 eine Assistentenstelle am Deutschen Institut für Auslandkunde in Münster. Danach kehrt Francis nach Österreich zurück und arbeitete bis 1939 als Chefredakteur der katholischen Volkszeitung in Warnsdorf. Als er 1939 seine jüdische Abstammung nicht mehr kaschieren kann, flüchtet er über Südtirol nach Großbritannien.
Dort lebt er zurückgezogen in einem Benediktinerkloster, bis er 1940 (wie die meisten deutschstämmigen Zivilisten) als „Enemy Alien“ inhaftiert wird. Bald darauf schiebt man ihn in die kanadische Provinz Manitoba ab, wo er 1942 als landwirtschaftlicher Arbeiter frei gelassen wird. Francis zieht um und arbeitete in Winnipeg als Schriftsetzer und macht sich zudem in seiner Freizeit mit der englischen Sprache und später auch der angloamerikanischen Sozialwissenschaft vertraut.
Von 1945 bis 1947 erforscht er im Auftrag der „Manitoba Historical Society“ die Geschichte der Mennoniten in Manitoba. Über die Historische Gesellschaft bekommt er Kontakt zur University of Manitoba. Dort unterrichtet er von 1945 bis 1947 deutsche Sprache und Literatur und ist außerdem Hochschulassistent für Soziologie. Schon 1947 wird er Assistenzprofessor an der katholischen University of Notre Dame in Southbend (US-Bundesstaat Indiana). 1950 wird er dort außerordentlicher Professor und 1954 ordentlicher Professor für Soziologie.
1954 wird ihm die US-amerikanische Staatsbürgerschaft zuerkannt und er besucht erstmals nach Kriegsende Europa. In den beiden folgenden Jahren übernimmt er Gastprofessuren in München und Innsbruck. 1958 kehrt er dann endgültig nach Deutschland zurück und wird erster Soziologieprofessor an der Universität München. 1974 wird er emeritiert.
In seinem soziologischen Werk bleibt Francis seinen frühen Themen treu, die er aber nach der Emigration kritisch wendet: Volk, Nation, Minderheit. Außerdem befasst er sich mit Themen, die in Beziehung zu seiner Lebensgeschichte stehen: Migration, Flucht, Exil, Emigration. Sein bekanntestes Werk trägt den Titel „Ethnos und Demos. Soziologische Beiträge zur Volkstheorie“ (Berlin 1965).
Quellen:
Karin Pohl: Die Soziologen Eugen Lemberg und Emerich K. Francis. Wissenschaftsgeschichtliche Überlegungen zu den Biographien zweier „Staffelsteiner“ im „Volkstumskampf“ und im Nachkriegsdeutschland, in „Bohemia. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder“, Band 45, Heft 1, München 2004, S. 24-76.
H. P. Henecka: Francis, Emerich K., in: Wilhelm Bernsdorf/Horst Knospe (Hgg.): Internationales Soziologenlexikon, Bd. 2, Enke, Stuttgart ² 1984, S. 251-253.
Herbert Fischer: In memorian Emerich K. Francis (27.6.1906-14.11.1994), in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 46/1994, S. 184 f.
Autor:
Jürgen Oetting
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