Lisa Fittko (eigtl. Elizabeth Ekstein)
Schriftstellerin und Widerstandskämpferin
Geb. 1909 in Uzgohrod/ Österreich-Ungarn
Gest. 12. 3. 2005 in Chicago/ USA
„Wir müssen uns selber retten …. . wir müssen versuchen, uns gegenseitig zu retten. Damit wir dabei sein und helfen können. Europa und die Welt von der Barbarei zu befreien.
Und was dann? Was dann kommt, wird sicher nicht immer glatt gehen. Es wird in den Händen künftiger Generationen liegen.“
(Lisa Fittko)
1922 – sämtliche Familienersparnisse sind mittlerweile aufgebraucht und die Zeitschrift nicht mehr finanzierbar – zieht die Familie nach Berlin, wo Ignaz Ekstein sich von der direkten politischen Arbeit abwendet und ins Import-Export-Geschäft einsteigt. Das politisch-wache Umfeld dieser frühen Jahre aber wird die Tochter weiterhin stark beeinflussen: Ihr frühes Interesse an der Pfadfinderbewegung in Wien, insbesondere an den fortschrittlichen pädagogischen Bewegungen wie z.B. das der Italienerin Maria Montessori, wandelt sich in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren zu einem kämpferischen Engagement, mit dem die junge Elizabeth auch an den politischen Kämpfen in Berlin teilnimmt: bei Demonstrationen ebenso wie später auch bei Straßenkämpfen zwischen Linken und Rechten in den Jahren vor 1933.
Lisa Fittkos Eltern sind bereits unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme aus Deutschland geflohen: zuerst in die Tschechoslowakei, dann weiter nach Wien und schließlich nach Frankreich, wo sie die deutsche Besatzung überleben. Die Tochter Lisa allerdings ist fest entschlossen, zu bleiben und Widerstand zu leisten. Getragen wird sie in ihrem Entschluß dabei von dem Glauben, daß sich die Masse der Deutschen davon überzeugen ließe, der Machtübernahme der Nationalsozialisten Widerstand entgegenzusetzen. Erst als auch ihr unmittelbare Gefahr droht, flieht die damals 24Jährige über die tschechische Grenze nach Prag, wo sie ihrem zukünftigen Mann Hans begegnet.
Kurz darauf verlassen Lisa und Hans Fittko die Tschechoslowakei. Hans Fittko wird – auf Druck der deutschen Behören – von der tschechischen Regierung ausgewiesen. Lisa geht mit ihm in die Schweiz ins Exil. Das deutsch-schweizerisch-französische Dreiländereck in Basel erweist sich dabei als strategisch günstig gelegener Ort, um illegale Literatur ins Deutsche Reich zu senden. Hier sammeln sie auch Informationen aus Deutschland, die sie in ihren politischen Broschüren verwerten können. Bei ihren Aktivitäten werden die Fittkos von Einzelpersonen unterstützt.
Ehe die Schweizer Behörden sie – einem Auslieferungsbegehren der Gestapo folgend – an die Nazis ausliefern können, gelingt es Lisa und Hans Fittko, ihre Widerstandsarbeit in die Niederlande zu verlegen.
Von Holland aus werden Publikationen über die Grenze nach Deutschland geschmuggelt, das beide immer noch als ihr Heimat bezeichnen. Ziel der Fittkos ist es, Kontakte aufrechtzuerhalten, den Mut nicht sinken zu lassen und die Hitler-Diktatur zu bekämpfen. Als es jedoch zur Verhaftung von Kontaktpersonen jenseits der Grenze kommt, müssen Lisa und Hans Fittko weiterfliehen. In Paris, der Metropole der Emigration, trifft sie auch ihre ihre Familie wieder.
Finanzielle Sorgen und die mehr als beengte Wohnsituation gehören für die Fittkos von nun an zum Exil-Alltag. Mit Gelegenheitsjobs halten sie sich mehr schlecht als recht über Wasser. Hans Fittko schreibt schließlich für den staatlichen Radiosender, der Sendungen für die feindlichen Truppen ausstrahlt und nutzt diese Gelegenheit, deutsche Soldaten über die herannahenden Schrecken des Krieges und den nationalsozialistischen Terror aufzuklären.
Als mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Frankreich deutsche und österreichische Emigranten interniert und dabei Männer und Frauen auf getrennte Sammelplätze verteilt, werden auch Lisa und Hans Fittko und später in den unbesetzten südlichen Teil Frankreichs deportiert. Lisa in das Frauenlager am Fuß der Pyrenäen, nach Gurs, Hans Fittko nach Vernuche.
Lisa Fittko wagt mit einer Gruppe von anderen Häftlingen die Flucht aus dem Lager Gurs und schlägt sich bis zur französisch-spanischen Grenze durch. In Marseille nimmt sie – dort wieder zusammen mit ihrem Ehemann – Kontakt mit dem Emergency Rescue Committee, der Flüchtlingsorganisation des US-Amerikaners Varian Fry, auf.
Nach Artikel 19 des Waffenstillstandsabkommens, unterzeichnet von der neu eingesetzten französischen Regierung unter Marschall Pétain, können Ausländer auf französischem Boden auf Verlangen dem nationalsozialistischen Regime ausgeliefert werden. In ihrem Buch Mein Weg (1985, Neuausgabe 2004, siehe unten) beschreibt die überzeugte Kommunistin Lisa Fittko eindrücklich, wie sie in den Jahren 1940/41 Flüchtlinge – unter ihnen der deutsche Philosoph Walter Benjamin – auf schmalen Pfaden über die Pyrenäen geführt und vielen von ihnen damit das Leben gerettet hat.
„Mir fiel auf, dass Benjamin eine Aktentasche trug, die er sicher geholt hatte, als wir im Gasthof Halt gemacht
hatten. Sie schien schwer zu sein, und ich fragte, ob ich ihm helfen könne. „Darin ist mein neues Manuskript“, erklärte er mir. „Aber warum haben Sie es denn auf diesen Kundschaftsgang mitgenommen?“ „Wissen Sie, diese Aktentasche ist mir das Allerwichtigste“, sagte er. „Ich darf sie nicht verlieren. Das Manuskript muß gerettet werden. Es ist wichtiger als meine eigene Person.“ 1)
1) Lisa Fittko Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerungen 1940/ 41, Reihe Hanser, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004, ISBN 3-423-62189-3, S. 143
Der Weg auf der geheimen Route der Fittkos Richtung spanische Grenze ermöglicht es den gefährdeten Flüchtlingen, das neutrale Portugal und damit die Schiffe Richtung USA und Südamerika zu erreichen. Varian Fry bedankt sich bei den Fittkos für diese riskante, von Lisa Fittko so genannte „Grenzarbeit“, indem er einen der Fluchtwege als The F-Route bezeichnet.
Als im April 1941 sämtliche Rettungsaktionen an der französisch-spanischen Grenze dadurch vereitelt werden, daß die Franzosen auf Geheiß der Nazis allen Personen, die keine gebürtigen Franzosen sind, den Aufenthalt in der Grenzregion untersagen, nehmen Lisa und Hans Fittko Varian Frys Angebot zur Überfahrt nach Kuba an. Die beiden Fluchthelfer kommen auf dem Schiff SS Colonial, zehn Tage vor dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor, in Kuba an.
1948 übersiedelt Lisa Fittko in die Vereinigten Staaten, arbeitet dort als Fremdsprachenkorrespondentin, bis 1974 in der Verwaltung der University of Chicago und engagiert sich in der amerikanischen Friedensbewegung.
Am 13. Januar 2001 wird in dem französischen Fischerort Banyuls sur Mer, am Fuße der Pyrenäen, Lisa und Hans Fittko zu Ehren ein Denkmal enthüllt.
„Es war das Selbstverständliche‘. Dem Andenken von Lisa und Hans Fittko und den vielen anderen. Von September 1940 bis April 1941 führten sie – selbst bedroht – Verfolgte des Nazi-Regimes über die Pyrenäen. Ihre Tapferkeit rettete vielen Menschen das Leben.“
Literatur:
Lisa Fittko: Solidarität unerwünscht. Meine Flucht durch Europa. Erinnerungen 1933-1940, Carl Hanser Verlag, München 1992, ISBN 3-446-15188-5
dies.: Le chemin des Pyrénées. Souvenirs 1940-41, Paris, 1985 Maren Sell
Emilienne Eychenne: Les portes de la liberté. Le franchissement clandestin de la frontière espagnole dans les Pyrénées-Orientales de 1939 à 1945, éditions Privat, Toulouse 1985 (vergriffen)
dies.: Les pyrénées de la liberté. Les évasions par l’Espagne 1939-1945 (Ed.France-Empire Paris 1983)
dies.: Montagnes de la peur et de l’espérance.Le franchissement de la frontière espagnole pendant la second guerre mondiale dans le départment des Hautes-Pyrénées (Ed.Privat Toulouse 1980)
dies.: Meine Biografie liegt in der Weltgeschichte (Hörbuch/ 3 CDs), Abacusfilm
*) Catherine Stodolsky, geb. Ekstein, ist Historikerin und die Nichte von Lisa Fittko. Geboren in Paris und aufgewachsen in der Nähe von Chicago, lebt sie seit 1973 in Deutschland und lehrt Gender History, Oral History und zur Exilgeschichte Nazi-Deutschlands am Institut für Geschichte der Maximilians-Universität München. Catherine Stodolsky ist Mitglied der Familie Simon-Schalek-Ekstein und Verfasserin einer Biografie über ihre Tante Lisa Fittko. Ulrike Müller hat sich Ende Oktober 2005 in Berlin mit Catherine Stodolsky über Leben und Wirken von Lisa Fittko unterhalten.
Klicken Sie bitte hier, um diesen O-Ton (als MP3-Datei) in ganzer Länge anzuhören
© Ulrike Müller
Links (deutsch):
http://de.wikipedia.org/wiki/Lisa_Fittko
http://www.welt.de/data/2005/03/26/617608.html
http://de.indymedia.org/2005/03/109362.shtml
http://www.medienwerkstatt-wien.at/files/bandtexte-dt-eng/fittko_textliste-dt.htm
http://www.lrz-muenchen.de/~catherine.stodolsky/lisa/fittko.html
http://www.zvab.com/angebote/lisa-fittko.html
http://www.lrz-muenchen.de/~catherine.stodolsky/index.html
http://www.lrz-muenchen.de/~catherine.stodolsky/lisa/lisa.html
http://www.wanderweb.ch/pyrenaeen/flucht.html
http://www.gdw-berlin.de/tri/pdf/charie.pdf
http://www.studienkreis-widerstand-1933-45.de/archiv/xxinfo/he54wied.html
http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/germ2/verboten/aus/benjamin_flucht.html
International:
http://realcostofprisons.org/blog/archives/2005/03/lisa_fittko_who.html
http://www.db.avvenire.it/pls/avvenire/ne_cn_avvenire.c_leggi_articolo?id=526308&id_pubblicazione=2
Die Kommentare sind deaktiviert.