Andrej Wladimirowitsch Jerofejew
Kunsthistoriker und Kurator
Geb. 25.06. 1956 in Paris/ Frankreich
Der Diplomatensohn schliesst 1978 sein Studium der Kunstgeschichte an der Historischen Fakultät der Staatlichen Lomonossow-Universität in Moskau ab und promoviert 1984 mit einer Abhandlung über „Die Welt der Kunst und die russische Kultur zu Anfang des 20. Jahrhunderts.“ Von 1982 bis 1989 arbeitet Jerofejew als Architekt, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Oberassistent am Zentralen Forschungsinstitut für Architekturtheorie und -geschichte (‚All-Union Forschungsinstitut für Theorie und Geschichte der Architektur und Stadtplanung’/ VNIITAG) in den Abteilungen für russische und sowjetische Architekturgeschichte. In den Jahren 1989 bis 2002 leitet er das Ressort für neueste Entwicklungen am Staatlichen Museum für Architekturgeschichte, Kunst und Landschaftsarchitektur ‚Zarizyno‘.
Ende 2002 ernennt der russische Kulturminister Michail Schwydkoi Jerofejew zum Kustos für “Neue Strömungen“ an der Staatlichen Tretjakow-Galerie. “Keine leichte Aufgabe“, so Stephanie Prochnow 2003 in der Zeitschrift ‚art‘, denn: “Das Museum war nicht imstande, die neuen Räume im Gebäude für Kunst des 20. Jahrhunderts zu renovieren – das besorgte die deutsche “Kunststiftung NRW“, die dort eine Ausstellung bestritt. Die Säle verfügten auch nicht über eine Alarmanlage. Jerofejew war daher gezwungen, nur absolut diebstahlsichere Kunst auszustellen: Er beauftragte die Künstler Georgi Ostrizow und Georgi Litischewski, einen Raum mit Grafitti auszumalen. Doch nicht nur die finanziellen Möglichkeiten erschwerten Jerofejews ehrgeizige Pläne. Unter seinen Kollegen ist mancher Erzfeind aus Sowjetzeiten. Der jetzige Leiter der Abteilung für Kunst des 20. Jahrhunderts an der Tretjakow-Galerie, Alexander Morosow, hatte in den siebziger Jahren Ausstellungen Jerofejews schließen lassen“ (Quelle: art 11/ 03, S. 124)
Bereits frühzeitig hat sich Andrej Jerofejew für offiziell nicht anerkannte Künstler wie die im Ausland lebenden Konzeptualisten Erik Bulatow und Ilya Kabakov eingesetzt und mehrere Tausend non-konformistische Kunstwerke gesammelt, die er seit 1989 in den Räumen eines Bunkers unter dem Zarenschloß ‚Zarizyno‘ aufbewahrt und als Grundstock der modernen Abteilung in die Tretjakow-Galerie einbringt. Die ständige Sammlung des Hauses wird von Jerofejew um technisch-kinetische Werke der 60er Jahre, Installationen und Grafittis erweitert, und die Ausstellung russischer Pop-Art 2005 beschert dem Museum zahllose junge Besucher. Andrej Jerofejew bügelt die hergebrachte Kulturszene heftig gegen den Strich, wird damit zum “Kapitän der zeitgenössischen Kunst an Bord der konservativen Tretjakow-Galerie“ (FAZ.NET), gleichzeitig aber immer mehr auch zum Dorn im Auge nationalistisch-ultrarechter Kräfte und russisch-orthodoxer Kirchenkreise.
Mit der Ausstellung „Verbotene Kunst“ bringt der Kunstprovokateur das Faß endgültig zum Überlaufen: Im Moskauer Sacharow -Zentrum kuratiert er 2007 eine Ausstellung mit 24 aus Museen entfernten Kunstwerken, darunter eine Ikone aus Kaviar von Alexander Kosolapow oder eine „Tschetschenische Marilyn“ mit Sprengstoffgürtel um den Bauch – in Anspielung auf jene gefürchteten „Schwarzen Witwen“, die nach dem russischen Einmarsch in die Kaukasus-Republik seit 1999 mehrere schwere Anschläge in Russland verübt haben.
In weiser Voraussicht hat Jerofejew seine Exponate hinter Stellwänden verborgen, so dass die Besucher auf Leitern stehend nur durch Gucklöcher Soldaten in Sexpose erkennen können, eine Micky-Maus-Figur auf Heiligenbildern, Jesus, der für eine Fast-Food-Kette wirbt oder den Lenin-Orden am Kreuz. Die offizielle Reaktion folgt umgehend: Der Kurator der Tretjakow-Galerie verliert seinen Job und gegen ihn und Juri Samodurow, den Leiter des Sacharow-Zentrums, wird Anklage erhoben: Drei Jahre Arbeitslager wegen ‚antireligiöser Hetze‘ fordert die Staatsanwaltschaft. Das Moskauer Gericht bleibt zwar mit seinem Urteil unter dem Antrag der Anklagevertretung, verurteilt die beiden Kunst-Dissidenten aber nach rund 50 Verhandlungstagen in zweiter Instanz 2010 zu empfindlichen Geldstrafen.
Mit staatlichen Restriktionen kennt man sich übrigens aus in der Familie Jerofejew: Auch Andrejs Bruder, der Schriftsteller Viktor Jerofejew , bekommt die Härten des Systems zu spüren: 1979 veröffentlicht er, gemeinsam mit 20 Schriftstellerkollegen, den Almanach „Metropol“ – unzensierte Literatur. Das kostet den Vater die diplomatische Karriere, er selber wird mit Publikations- und Reiseverbot belegt.
Quellen:
http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/122425/index.html
http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/149315/index.html
http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/122425/index.html
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-71558829.html
Links (deutsch):
http://www.welt.de/politik/ausland/article8432846/Schuldig-denn-Kunst-foerdert-religioesen-Hass.html
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/996339/
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-71558829.html
http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/149315/index.html
http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/124150/index.html
http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=21530
http://www.art-magazin.de/szene/8162/andrej_jerofejew_tretjakow_galerie
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,555481,00.html
International:
http://www.aerofeev.ru/content/view/84/60/
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http://exil-archiv.de/ru/Russe/www.aerofeev.ru/index.html
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