Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Granach, Gad

H.A.M. 0

Gad Granach
Lebenskünstler, „Sprechsteller“

Geboren am 29. März 1915 in Rheinsberg, Mark Brandenburg
Gestorben am 6. Januar 2011 in Jerusalem


„Heimat los“ heißt seine Autobiografie. Die Schreibweise lässt den charmanten Humor dieses ungewöhnlichen Mannes aufblitzen, der Jerusalem am liebsten überdacht hätte. Denn dann wäre es „eine geschlossene Anstalt“. Der Untertitel seiner Biografie ist nicht ohne Grund ein wenig bei Eichendorff entlehnt: „Aus dem Leben eines Jüdischen Emigranten“.


“Sprechsteller“ nannte er sich, weil er lieber erzählte als schrieb. Im Berlin der Weimarer Republik erlebte er zwei Welten: Das glamouröse Leben seines Vates, des berühmten Schauspielers Alexander Granach in den „Wilden Zwanziger Jahren, und bei seiner alleinerziehenden Mutter Martha Guttmann das „links-alternative Milieu“, wie man heute sagen würde. Die Eltern hatten sich 1921 getrennt.
Als der 21jährige Gerhard Granach 1936, drei Jahre später als sein Vater, aus Deutschland fliehen musste, ging er nach Palästina. Und wie einst sein Erzeuger seine Laufbahn als Bäcker begann, so arbeitete der Filius als Lokführer, im Kibbuz in der Landwirtschaft und in anderen Berufen. Seinem Charme sind eine Reihe von Frauen erlegen – nur geheiratet hat er keine, auch kein Kind gezeugt. Die Empfängnisverhütung hätte er sich sparen können, lästerte er. Denn eine Untersuchung hatte (sehr spät) ergeben, dass er zeugungsunfähig war.


In Jerusalem hielt er hof in seiner Wohnküche oder auf  der Terrasse in Wipfelhöhe der umgebenden Bäume. „Hoch und niedrich, Arsch und Friedrich“  (Zitat) waren seine Gäste. Mitgenommen hatte mich Henryk M. Broder, der Gad Granach in Deutschland bekannt gemacht hatte. Für die Begegnung mit diesem charmanten Zeitgenossen bin ich Broder dankbar und übernehme hier anstelle eines Nachrufs einen Artikel, den er Gad Granach zum 90. Geburtstag gewidmet hat.
Hajo Jahn
»Deutsche Juden im Ausland halten zusammen!«
Als ich Gad Granach kennen lernte, da war er etwas älter als ich heute bin, und ich war ein junger Mann. Heute bin ich gealtert, Gad aber ist einfach stehen geblieben, angeblich wird er am 29. März 9o Jahre.


Es gab eine große Party zu seinem 7o. Geburtstag, eine noch größere zu seinem 8o., da hatte er alle seine »Bräute« eingeladen, nun wird es ein Mega-Fest zu seinem 9o. geben. Für mich aber ist und bleibt er Granach der Jüngere, Sohn von Alexander Granach, der alle großen Gaben des Galizianers geerbt hat. Wie sein Vater ist auch Gad ein wunderbarer Schauspieler, nur dass er in seinem Wohnzimmer statt auf einer Bühne auftritt, er macht sich jeden Tag über das Leben lustig, das er zugleich mit beiden Händen festzuhalten versucht. Und er liebt Frauen mit einer Ausdauer und Gerechtigkeit, die vorbildlich sind. Das Alter ist ihm (fast) egal, das Äußere (ziemlich) unwichtig, das Temperament so gut wie wurscht. Hauptsache, sie sind jung, sehen gut aus und freuen sich, dass sie ihm gefallen.


Was ich am Gad am meisten schätze: er kann herrlich kochen. Seine Spezialität sind »Knafayim«, Hühnerflügel, und die »gedrängte Wochenübersicht«, die es bei ihm meistens Freitagabend gibt, eine Art Eintopf, in dem alles verkocht wird, was im Laufe der Woche übrig geblieben ist. Eine deftige Delikatesse, nur mit einer Paella oder einem Irish Stew zu vergleichen. Ich saß fast jeden Freitagabend bei ihm, Gad erzählte aus seinem Leben, ich kaute. Einmal hatten wir Besuch. Babsi und Dani. Nach dem Essen gingen die beiden zusammen weg, während Gad und ich den Tisch abräumten und das Geschirr spülten. »War es nicht wieder ein schöner Abend?« fragte ich. »Ja«, sagte Granach, »und jetzt turnt er auf meinen Hühnerflügeln.« Es war nicht einmal böse gemeint, nur ein Hinweis auf eine Art der Arbeitsteilung, die er schon öfter erlebt hatte.


Ich weiß nicht, was aus Granach geworden wäre, wäre er in Berlin geblieben, das er in den 3oer Jahren verlassen musste. Er ging ja nicht aus Überzeugung nach Palästina, sondern aus Deutschland. Und es war nicht die Liebe nach Zion, die ihn umtrieb, sondern der Hass der Nazis.


Schade, dass man die Uhr nicht zurück drehen und ein Leben noch einmal leben kann. Granach im Jahre 2oo5 in Berlin? Ein Playboy wie Rolf Eden? Ein Guru wie George Tabori? Ein Automat wie Johannes Heesters? Eine Tischkarte im Altenheim der Jüdischen Gemeinde? Ich mag mir das alles gar nicht vorstellen. Gad hat Glück gehabt, Jerusalem hat Glück gehabt, ich habe Glück gehabt, dass ich ihn rechtzeitig kennengelernt habe, im Supersol-Supermarkt in Rehavia beim mitternächtlichen Einkauf. Da flitzte er mit seinem Einkaufswagen durch die Gänge, und wann immer er einen »Jecke« sah, rief er quer durch das Geschäft: »Wir deutschen Juden im Ausland halten zusammen!«
So soll es sein. Bis 12o. Henryk M. Broder, TA, 29.3.2oo5


Veröffentlichungen :

  • Gad Granach: Heimat los! Aus dem Leben eines jüdischen Emigranten. Ölbaum-Verlag, Augsburg 1997, ISBN 392721731X; Taschenbuchausgabe: Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 2000, ISBN 3596146496; Random House/Bertelsmann, München 2008, ISBN 978-3-442-73630-0
  • Gad Granach: Where Is Home? Stories from the Life of a German-Jewish Émigré. Atara Press, Los Angeles 2009, ISBN 978-0-9822251-1-0
  • Film: Pourquoi Israel, Regie: Claude Lanzmann, Frankreich, 1973
  • Film: „Granach der Jüngere“, Regie: Anke Apelt, Deutschland, 1997, Länge 90 min.

Autor:

Hajo Jahn

Die Kommentare sind deaktiviert.