Fritz Schwarz-Waldegg, eigentlich Friedrich Schwarz
Künstler
Geb. 1. März 1889 in Wien
Gest 4. September 1942 im Vernichtungslager Maly Trostinez bei Minsk
Fritz Schwarz-Waldegg (Foto: Jüdisches Museum Wien)
Der österreichische Künstler Schwarz-Waldegg gehört zu den Vertretern der expressionistischen Malerei Österreichs nach 1918. Er zählt zu den zentralen Persönlichkeiten des „Hagenbundes“, der fortschrittlichsten Künstlervereinigung Wiens zwischen den beiden Weltkriegen, und war dessen Präsident ab 1926. 1938 wurde die Vereinigung von den Nazis aufgelöst. Viele Mitglieder, von denen die meisten Juden waren, mussten Österreich verlassen oder wurden ermordet.
In der Sendung „Kirche in WDR 5 – Das Geistliche Wort“ porträtierte der Bonner Pfarrer Joachim Gerhardt am 12. Juni 2011 auf sehr persönliche Art den Künstler unter dem Titel „ Auf den Spuren von Fritz Schwarz-Waldegg“. Mit freundlicher Genehmigung von Autor, WDR und dem Büro des evangelischen Rundfunkbeauftragten veröffentlichen wir hier in unserem Virtuellen Zentrum für verfolgte Künste dieses Porträt – leider ohne die wunderbaren Musikeinspielungen von Giora Feidman und Wiener Melodien:
„Pfingsten 1941. Das Bild ist fertig. Der Maler Fritz Schwarz-Waldegg legt zufrieden den Pinsel auf den Boden. Vor ihm sitzt eine junge Frau und schaut erwartungsfroh. Es ist ihr Portrait. Über Monate ist es in vielen Sitzungen entstanden. Bis jetzt hat sie es nicht sehen können. Nun ist es endlich soweit. Beide sind zufrieden.
Das Gemälde von Fritz Schwarz-Waldegg zeigt die junge Sibylle Blank, die er 1928 malte. (Foto: Privatbesitz)
Das Ölgemälde ist das letzte Werk des großen Wiener Malers und Expressionisten Fritz Schwarz-Waldegg. Im Herbst 1942 wird der Künstler von den Nazis in einem Vernichtungslager bei Minsk umgebracht. Seine Geschichte war fast vergessen, wie so viele andere auch. Fast vergessen. Doch da war dieses Bild.
Guten Morgen, liebe Hörerin und lieber Hörer, mein Name ist Joachim Gerhardt, ich bin Pfarrer in Bonn. Pfingsten, 70 Jahre später, ist für mich ein guter Zeitpunkt, die Geschichte zu erzählen. Denn Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes. Und der ist auch ein Geist gegen das Vergessen.
Musik: „Wie, du Stadt meiner Träume (Wien, Wien nur du allein)“ von Rudolf Sieczynski
2006 – es ist ein sommerlicher Tag in Stieldorf bei Bonn. Bei Pfarrer Max Koranyi klingelt das Telefon. An sich nichts Besonderes …
Max Koranyi: Am anderen Ende der Leitung war eine Stimme mit Wiener Schmäh. Ich habe das sofort erkannt, die Familie meiner Mutter stammt ja von dort. Was ich dann hörte, war für mich unglaublich. Ein Ausstellungskurator suchte nach dem Bild meiner Mutter.
Vor Jahren hatte Max Koranyi in einem Artikel für die Kirchenzeitung ganz beiläufig von der Existenz eines Portraits seiner Mutter erzählt. Gemalt von einen ihm eher unbekannten jüdischen Maler: Fritz Schwarz-Waldegg:
Max Koranyi: Das Bild hing bei meinen Eltern in Bonn in der Wohnung. Für mich war das immer ein schweigsames Bild. Die Eltern haben nie etwas zu ihm erzählt – und wir Kinder auch nicht gefragt.
Das große Ölgemälde zeigt Gertrude Koranyi im Alter von 18 Jahren, anmutig in einem roten Kleid. Den Artikel in der kleinen Bonner Kirchenzeitung hatte der Kurator Erich Raithel auf seiner weltweiten Spurensuche im Internet aufgestöbert. Die Recherche der Adresse von Pfarrer Koranyi war dann kein Problem mehr.
Max Koranyi: Ich habe in dem Augenblick, als er nach dem Bild gefragt hat, sofort geahnt: Hier öffnet sich eine wichtige Tür zu meiner Familiengeschichte.
Es öffnete sich auch eine wichtige Tür zur Kunstgeschichte. Denn der Kurator konzipierte rund um dieses Bild die erste umfassende Werkschau zu Fritz Schwarz-Waldegg. Tausende Menschen haben sie 2009 und 2010 im Jüdischen Museum Wien gesehen. „Malerreisen durch ich und die Welt“ lautet der Titel. Kunstkenner feiern sie als Wiederentdeckung eines großen österreichischen Expressionisten. Im letzten Raum der Ausstellung hängt nur ein einziges Bild, das von Max Koranyis Mutter.
Musik: „Im Prater blühn wieder der Bäume“ von Robert Stolz
Familie Koranyi ist zur Ausstellung angereist. Gertrude Koranyi ist nicht dabei. Sie starb wenige Jahre zuvor. Aber sie hat höchst Bedeutsames hinterlassen. Als der Sohn ihr von dem Anruf aus Wien erzählte, da setzte sich die Dame mit 82 Jahren unverzüglich an ihre alte Schreibmaschine und brachte ihre Erinnerungen zu Papier: die Begegnung mit dem Maler Fritz Schwarz-Waldegg. Eine sehr persönliche Geschichte:
Sprecherin: „Winter 1940: Ich fuhr zum ersten Mal in das Haus der Schwester von Schwarz-Waldegg. Der Künstler hatte in der Nähe der Volksoper Unterschlupf vor der auch in Wien immer heftigeren Judenhetze gefunden. Ich sollte mich portraitieren lassen. Meine Eltern wollten so einem im Freundeskreis bekannten und durch Malverbot belegten Künstler ein wenig Geld zukommen lassen.
Eine bemerkenswerte Aktion. Denn nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich wütete gegen die über Jahrhunderte gewachsene große jüdische Gemeinde Wiens der gnadenlose Antisemitismus, wie oft in dieser Zeit von den meisten Menschen unterstützt, zumindest geduldet.
Über Wochen verbrachten der Künstler und die junge Frau im Verborgenen viele Nachmittagsstunden gemeinsam.
Sprecherin: Außer ihm selber habe ich in der Wohnung nie jemand anderes gesehen. Zwischen dem Malen haben wir uns immer wieder unterhalten. Und ich stelle mir vor, dass dieser Kontakt für ihn eine Art Zerstreuung in schwieriger Zeit war. Ich hatte den Eindruck, dass der Künstler die Fertigstellung hinauszögerte, um überhaupt eine Beschäftigung zu haben. Als ein besonderes Charakteristikum malte er mir als Anhänger ein Herz, das mich besonders charakterisieren sollte.
Das Herz wie das rote Kleid, das sie auf dem Gemälde trug, hat es in Wirklichkeit nie gegeben. Zwischen Künstler und Model war mit der Zeit eine besondere Nähe gewachsen. Sie trafen sich auch im Anschluss an den Malauftrag, immer in der Gefahr von der Gestapo aufgegriffen zu werden, und gingen im Wienerwald spazieren. Eine zarte Geschichte in einer immer düsterer werdenden Zeit.
Sprecherin: Ich nannte ihn scherzhaft einen „Chinesen“, weil mich seine Augen an einen Asiaten erinnert haben. Er verewigt sich in meinem Poesiealbum mit dem Bild eines Chinesen und den Zeilen: „Ich bin ein dummes Malerdepperl / Ach, wäre ich ein Chinesensepperl / dann hätte ich ein langes Zepperl / und könnt mich – wie´s Münchhausen schien / aus diesen Wirren außa ziehn / aber so …?“ Unterschrieben mit „Zur Erinnerung an das Chinesensepperl Schwarz-Waldegg“.
Die letzten Spuren und persönlichen Lebenszeichen von Fritz Schwarz-Waldegg finden sich allein in der Erinnerung von Gertrude Koranyi. Und sie sind das Zeugnis einer außergewöhnlichen Beziehung des 34 Jahre älteren Mannes zu der jungen Frau.
Musik: „Gehen wir ins Chambre séparé“ von Richard Heuberger
Im Sommer 1941 stirbt Gertrudes Vater, der das Portrait seiner Tochter in Auftrag gegeben hatte.
Sprecherin: Schwarz-Waldegg erschien bei dem Begräbnis auf dem Baumgartner Friedhof. Dabei hatte er den gelben Stern, der auch in Wien zur Brandmarkung aller Juden längst Zwang war, mit einem über den Arm gehängten Mantel verdeckt.
Warum ist Schwarz-Waldegg dem nationalsozialistischen Morden nicht entflohen, frage ich mich heute. Möglichkeiten hat es wohl gegeben. Lange Zeit hatte der Künstler gedacht, das braune Treiben würde ihn nicht treffen. Er war Leutnant im 1. Weltkrieg. Mit dem Judentum der Synagoge verband ihn schon lange nichts mehr. 1916 hatte er sich katholisch taufen lassen und den Beinamen „Maria“ angenommen.
Der Kriegseintritt Amerikas im Dezember 1941 stimmte Schwarz-Waldegg noch einmal hoffnungsvoll. Gertrude Koranyi erinnert sich:
Sprecherin: „Wir trafen uns diskret am Denkmal der Maria Theresia unweit des Burggartens im Zentrum der Stadt. Es kam immer wieder zu Gesprächen über die düstere Zukunft. Schwarz-Waldegg hatte gehört, dass Juden verschleppt, in Züge gesetzt würden, durch einen Tunnel gefahren würden, der vergiftet sei, um dann am Ende tot herausgefahren zu werden. Ein befreundeter Herr hatte ihm angeboten, sich in der Gartenlaube – wenn es hart auf hart kommen sollte – verstecken zu können.
Es kam hart auf hart. Es gab keinen Rettungsweg. In einer Sommernacht 1942 erschien das so genannte „Abholkommando“ in der Hans-Wilhelm-Exner-Straße und befahl die „Evakuierung in den Osten“, wie das im zynischen Nazi-Amtsdeutsch hieß. Fritz Schwarz-Waldegg packte sein Handgepäck, mehr war nicht erlaubt, und wurde deportiert. Für Gertrude Koranyi endet hier ihre Geschichte mit Fritz Schwarz-Waldegg:
Sprecherin: „Eines Tages kam er nicht mehr zu unseren Treffen und ich konnte nicht erfahren, wo er geblieben war.“
Die alte Dame erinnert sich noch an eine Ausstellung unter anderem mit einigen Bildern von Schwarz-Waldegg in Wien in den 60er-Jahren. Ihre Schwiegermutter schickte ihr damals den Katalog. Zu Schwarz-Waldegg hieß es dort nur lapidar, dessen Leben habe sich im Dunkeln verloren.
Sprecherin: „Ich war tief betroffen von dieser Unehrlichkeit, dass nicht erwähnt wurde, dass er ermordet worden ist“.
Mit diesem Satz schließen die schriftlichen Erinnerungen von Gertrude Koranyi im August 2006. Aus Akten wissen wir heute: Fritz Schwarz-Waldegg wurde Anfang September 1942 gleich nach der Ankunft in Maly Trostinec umgebracht, einem Vernichtungslager der SS im heutigen Weißrussland. Er wurde 53 Jahre.
Musik: Giora Feidman: / The happy Nigun
SS-Reichsführer Heinrich Himmler hatte im Juni 1942 angeordnet, alle Spuren der Massenmorde im Osten zu beseitigen. Dieser Befehl wurde auch im KZ Maly Trostinec gehorsam umgesetzt. Unzählig viele Gefangene wurden von sogenannten „Sonderkommandos“ erschossen oder in Güterwagen im Wald rund um das Lager vergast. Insoweit war die Ahnung Schwarz-Waldeggs, von er damals der jungen Getrude Koranyi erzählt hatte, auf beklemmende Weise zutreffend. – Das „Auslöschen“ einer ganzen Volksgruppe, und mit den Menschen auch das „Auslöschen“ der Erinnerung, das war der Ziel der „Endlösung“. Im Fall von Friedrich Schwarz-Waldegg ist dies nicht gelungen.
Musik: Giora Feidman: / Melody from the film „The Dibbuk”
Maly Trostinec liegt 12 Kilometer südöstlich der weißrussischen Hauptstadt Minsk. Das Lager fehlt heute auf vielen Landkarten der NS-Zeit, obwohl es eines der großen Vernichtungslager der Nazis in Osteuropa war. Der Ort ist bis heute nicht erschlossen. Teile werden als Müllkippe genutzt. Viele zehntausend Menschen, überwiegend Juden, sind hier zu Tode gekommen. Genaue Zahlen gibt es nicht. Allein aus der Region Köln-Bonn sollen es fast 1.200 Menschen gewesen sein.
Maly Trostinec und der Birken- und Kiefernwald um das Lager herum ist der wohl größte Friedhof von Bürgern meiner Heimatstadt Bonn außerhalb unserer Stadtmauern. Sie liegen dort verscharrt gemeinsam mit Fritz Schwarz-Waldegg. Auch das hat mir die Geschichte von dem Bild mit Gertrude Koranyi erzählt. Ich habe es nicht gewusst. Und hätte der emsige Kurator Raithel vor fünf Jahren nicht dieses Bild aufgestöbert, wäre das alles wohl in den Archiven der Historiker geblieben. Nun ist in meiner Stadt, ausgelöst durch dieses Bild von Mutter Koranyi, das Bewusstsein erwacht für dieses vergessene Lager. Und es gibt den Anstoß, neu nachzudenken, in Maly Trostinec eine Gedenkstätte zu errichten.
Max Koranyi hat die Geschichte um das Bild persönlich tief bewegt:
Max Koranyi: Ich habe mit meinen Söhnen und meiner Frau die Ausstellung in Wien besucht. Und ich bin unendlich dankbar, das kann ich sagen, mir und meiner Familie unsere Lebensgeschichte an einem wichtigen Punkt ein Stück genauer erzählen zu können.
Das Bild seiner Mutter ist inzwischen aus Wien an den Rhein zurückgekehrt. Jetzt hängt es wieder an der Wand im Hause Koranyi. Doch es ist nicht mehr stumm:
Musik: „Im Prater blühn wieder der Bäume“ von Robert Stolz
In diesen Jahren verstummen viele der letzten Zeitzeugen. Es ist unsere Aufgabe, die Erinnerung wach zu halten und die Geschichte, die unsere deutsche, auch unsere christliche Geschichte ist, zu erzählen. Fritz Schwarz-Waldegg ist einer von sechs Millionen Juden, die der nationalsozialistischen Hölle zum Opfer gefallen sind. Es gibt auch heute viele Ungeister in unserer Gesellschaft, die das nicht wissen wollen.
Der Heilige Geist, der uns Kraft und Trost gibt, ist ein Geist gegen das Vergessen. Er ist ein Geist gegen jede Form von Antisemitismus und Menschenverachtung, gegen Hass und Gewalt, wie er heute in Europa an vielen Stellen wieder wächst. Der Heilige Geist ist ein Geist des Lebens für alle Menschen. Ich möchte nicht Pfingsten 2011 feiern, ohne mir das in Erinnerung zu rufen.
Ein frohes Pfingstfest wünscht Ihnen Ihr Joachim Gerhardt von der Evangelischen Kirche in Bonn.
Musik: Giora Feidman: If I were a rich man
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