Boualem Sansal
Schriftsteller
Geb. 15.10. 1949 in Teniet el-Had/ Algerien (damals franz. Kolonie)
Wenige Monate nach seiner Geburt und dem plötzlichen Unfalltod des Vaters zieht die Familie aus dem kleinen Bergdorf südöstlich von Algier zu den Großeltern ins damalige Vialar (dem heutigen Tissemsilt) südlich des Atlasgebirges (das später zum Schauplatz von Sansals zweitem Roman “L’enfant fou de l’arbre creux“/dt.: “Das verrückte Kind aus dem hohlen Baum“ werden wird). In den Wirren des Bürgerkrieges flieht die Familie 1956 in die Hauptstadt, verlässt sie aber wieder im Zuge der eskalierenden Gewalt und kehrt erst nach der algerischen Unabhängigkeit im Juni 1962 nach Algier zurück.
Sansal wächst im Wohnviertel Belcourt auf (auch Albert Camus hat hier seine Kindheit verbracht), ihm wird eine klassische humanistische Schulbildung zuteil, gefolgt von einem Ingenieur- und Ökonomie-Studium mit anschließender Promotion. Ab 1992 arbeitet Sansal als hochrangiger Beamter im Industrie-Ministerium. Im Sommer desselben Jahres wird der algerische Präsident Muhammad Boudiaf ermordet und die Islamisierung der algerischen Gesellschaft nimmt immer deutlichere Züge an. Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse und angeregt durch seinen engen Freund aus Studienzeiten, den Schriftsteller Rachid Mimouni, beginnt Sansal 1996, ein Jahr nach dessen Tod im marokkanischen Exil, mit dem Schreiben und veröffentlicht 1999 im Pariser Gallimard-Verlag mit “Le serment des barbares“ (“Der Schwur der Barbaren“) seinen ersten (Kriminal-)Roman, für den er in Frankreich mit zwei Preisen ausgezeichnet wird und dem bald dann, nach einem Drehbuch von Jorge Semprún , auch die Verfilmung folgt. Bis 2006 erscheinen vier weitere Bücher und 2003 das “Journal intime et politique, Algérie 40 ans après“ (“Persönliches und Politisches Tagebuch, Algerien, 40 Jahre danach“), das aufgrund seiner Kritik an den obwaltenden Zuständen in Algerien schlussendlich dazu führt, dass Boualem Sansal – nachdem auch noch in diversen französischen Zeitungen seine kritischen Äußerungen über den algerischen Präsidenten Bouteflika veröffentlicht worden sind – seine Stelle im Ministerium verliert und seine Frau nicht mehr als Lehrerin arbeiten darf.
Der nun ausschließlich als Schriftsteller Tätige nimmt sich immer wieder historischer Stoffe an, so auch in seinem 2007 wiederum in Paris erscheinende “Petit éloge de la mémoire“, ein episches Erzählwerk über die Epoche der Berber-Herrschaft. Sein Roman “Le village de l’allemand ou Le journal des frères Schiller“ (“Das Dorf des Deutschen“) erzählt von der Beteiligung eines früheren deutschen Nazis an der Ausbildung der Befreiungsbewegung FLN im algerischen Unabhängigkeitskrieg und beschreibt die Auswirkungen des Bürgerkrieges der 1990er Jahre auf ein Dorf.
Am 16. Oktober 2011 wird Boualem Sansal, der die arabischen Reformbewegungen von Anfang an begleitet und unterstützt, allerdings auch gleichzeitig vor einem immer mehr an Einfluss gewinnenden fundamentalistischen Islamismus gewarnt hat, mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Der Börsenverein “ehrt damit den algerischen Schriftsteller, der als leidenschaftlicher Erzähler, geistreich und mitfühlend, die Begegnung der Kulturen in Respekt und wechselseitigem Verstehen befördert…Boualem Sansal gehört zu den wenigen in Algerien verbliebenen Intellektuellen, die offen Kritik an den politischen und sozialen Verhältnissen üben. Mit seinem hartnäckigen Plädoyer für das freie Wort und den öffentlichen Dialog in einer demokratischen Gesellschaft tritt er gegen jede Form von doktrinärer Verblendung, Terror und politischer Willkür auf. Dabei richtet sich sein Blick nicht nur auf die Heimat, sondern auf die ganze heutige Welt“ (Quelle: Börsenverein des deutschen Buchhandels/ http://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/sixcms/ detail.php/445992). Demonstrativ bleibt der algerische Botschafter dem Festakt in der Frankfurter Paulskirche fern. Denn der mit zahlreichen internationalen Preisen geehrte Schriftsteller ist in seiner Geburtsheimat eine persona non grata: Sansals Bücher stehen in Algerien auf dem Index, er selber ist immer noch mit Berufsverbot belegt. Trotz aller Repressalien will Boualem Sansal Algerien jedoch nicht verlassen und wohnt, als einer der letzten widerständigen Intellektuellen, weiterhin mit seiner Familie in der Küstenstadt Boumerdès unweit von Algier – in einem von Stacheldraht umzäunten Haus.
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