Hilde Marchwitza (Ps. Hilde Scott)
Widerstandskämpferin, Journalistin, Übersetzerin
Geb. 7.4. 1900 Breslau
Gest. 8.9.1961 Berlin
Der Hamburger Fotograf Max Hirsch nahm die Familie Stern bei einem Künstlerfest 1924 im Curiohaus auf. William Stern war als Seemann verkleidet, auf seinem Hut thronte ein mächtiger Südwester. An seiner Seite saß mit dem typischen Kurzhaarschnitt der zwanziger Jahre seine Tochter Hilde.
Hilde Stern wurde als ältestes Kind des Philosophie- und Psychologieprofessors William Stern (1871-1938) und seiner Frau Clara, geb. Joseephy (1877-1948) in Breslau geboren. Seit 1916 lebte die Familie in Hamburg, da ihr Vater Ordinarius am Psychologischen Laboratorium des Kolonialinstituts wurde. Nach dem Abitur besuchte Hilde Stern die von Gertrud Bäumer geleitete Soziale Frauenschule. 1921 arbeitete sie zuerst als Praktikantin, später als Angestellte im Arbeitsamt Hamburg.
Im September 1922 heiratete sie Rudolf Schottländer, einen Freund ihres Bruders Günther, des später unter seinem Pseudonym bekannten Schriftstellers und Sozialpsychologen Günther Anders (1902-1992). Hilde und Rudolf Schottländer zogen nach Berlin, wo sie zeitweilig als Sekretärin von Gertrud Bäumer arbeitete. Aus der Ehe mit Rudolf Schottländer gingen zwei Kinder hervor, 1924 wurde der Sohn Michael, 1925 die Tochter Hanna geboren. Im Dezember 1926 verließ Hilde Schottländer ihren Mann und lebte mit ihren Kindern bei ihren Eltern in Hamburg.
Seit 1929 arbeitete sie wieder im Hamburger Arbeitsamt und versuchte vor allem arbeitslose Mädchen eine Anstellung zu vermitteln. Auf Grundlage des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wurde Hilde Schottländer wegen ihrer jüdischen Herkunft im Juli 1933 entlassen. Fortan arbeitete sie innerhalb der Jüdischen Gemeinde Hamburgs vor allem in der Berufsberatung.
Als sozial wie politisch interessierte Frau engagierte sie sich nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten im antifaschistischen Widerstand. Sie wurde Mitglied in der von dem aus der KPD ausgeschlossenen, ehemaligen Bürgerschaftsabgeordneten Hans Westermann (1890-1935) geleiteten Widerstandsgruppe, nahm an deren Treffen und Diskussionen teil. Im März 1935 verhaftet, wurde sie im Oktober 1935 vom Hanseatischen Oberlandesgericht wegen Beihilfe zum Hochverrat zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Nach ihrer Haft im Frauengefängnis Lübeck-Lauerhof emigrierte sie über Holland gemeinsam mit ihren beiden Kindern in die USA.
Sie ließ sich in New York nieder, arbeitete zeitweilig unter dem Namen Hilde Scott als Journalistin für die deutschsprachige Emigrantenzeitung „Aufbau“. Dort betreute sie die Rubrik „Probleme des Alltags“. In der amerikanischen Metropole lernte sie den Schriftsteller Hans Marchwitza (1890-1965) kennen. Der ehemalige Spanienkämpfer war nach seiner Internierung in Frankreich ebenfalls in die USA emigriert. 1945 heirateten sie und kehrten im folgenden Jahr nach Deutschland zurück, zuerst nach Stuttgart, 1947 nach Potsdam. Hilde Marchwitza begleitete ihren Mann, als dieser 1950 Kulturattaché der DDR in der Tschechoslowakei wurde. In der DDR arbeitete sie lange Zeit als Übersetzerin und engagierte sich im „Demokratischen Frauenbund Deutschland“ der DDR. Kurz vor ihrem Tod schloß sie ein Studium der politischen Wissenschaften ab.
In ihrem Todesjahr erschien Hans Marchwitzas Erfahrungsbericht „In Amerika“. Er trägt die gedruckte Dedikation „Meiner Hilde gewidmet“.
Werke:
- Hilde Scott, Schicksal des Refugee-Kindes. In: Aufbau, New York, 24.5.1940;
- V. J. Jerome, Kultur in einer sich verändernden Welt. Eine marxistische Studie. Aus dem Engl. von Hilde Marchwitza. Berlin 1949;
- Rajani Palme Dutt. Indien heute. Aus dem Engl. von Hilde Marchwitza. Berlin 1951.
Literatur:
- Hans Marchwitza. In Amerika. Berlin 1961;
- Werner Ilberg, Hans Marchwitza. Leipzig 1971;
- Rudolf Schottländer, Trotz allem ein Deutscher. Mein Lebensweg: Mein Lebensweg seit Jahrhundertbeginn. Freiburg 1986; S. 29ff.;
- Sibylle Quack, Zuflucht Amerika. Zur Sozialgeschichte der Emigration deutsch-jüdischer Frauen in die USA 1933-1945. Bonn 1995, S. 158, 168; Ursula Wamser, Wilfried Weinke, Eine vergessene Widerstandskämpferin: Hilde Schottländer, geb. Stern. In: dies. (Hg.), Eine verschwundene Welt. Jüdisches Leben am Grindel. Springe 2006, S. 279-283;
- Martin Tschechne, William Stern. Hamburg 2010.
Autor:
Wilfried Weinke
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