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Hirsch, Julius

H.A.M. 0
Julius ‚Juller‘ Hirsch
Fußball-Nationalspieler
Geb. 7.04.1892 in Achern (Baden-Württemberg)
Gest. wahrscheinlich 1943

Alljährlich verleiht der Deutsche Fußballbund den ‚Julius Hirsch-Preis‘. Die Auszeichnung ehrt besonderen Einsatz für Toleranz und Menschenwürde, gegen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Doch gibt es diesen Preis erst seit 2005, sechs Jahrzehnte nach dem offiziellen Tod des Sportlers, der 1943 als Jude ins
Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert und 1950 am symbolträchtigen 8. Mai (Tag der Befreiung) 1945 für tot erklärt wurde.

Aber wer war dieser Julius Hirsch, dem der Journalist Werner Skrentny mit dem Buch ‚Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet.‘ ein literarisches Denkmal gesetzt hat? Dass der DFB erst im 21. Jahrhundert die Ehrung geschaffen hat, dürfte auch dem Umstand geschuldet sein, dass der größte Fußballverband der Welt bis in die 1970er Jahre ehemalige Nazis im Vorstand hatte und sich erst sehr, sehr spät seiner Vergangenheit während der Hitler-Diktatur gestellt hat.

Julius Hirsch hat zweimal den Deutschen Meistertitel mit erkämpft: 1910 mit seinem Heimatverein Karlsruher FV sowie 1914 mit der SpVgg Fürth.  Zwischen 1911 und

1913 war er siebenmal für die deutsche Nationalmannschaft berufen worden, auch bei Olympischen Spielen.
Er entstammte einer alten jüdischen Familie. Sein Vater  Berthold Hirsch war das zweite Kind von Bauern, gelernter Kaufmann und 1870/71 als Soldat im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, also deutsch-national eingestellt. In diesem Sinne hatte er auch seine sieben Kinder erzogen, vor allem die vier Söhne. Wohl auch deshalb nahm Julius Hirsch wie viele anderen jungen Männer voller Enthusiasmus am  Ersten Weltkrieg teil. Dabei wurde er mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet und dürfte damit bis heute einer der höchstdekorierten deutschen Nationalspieler sein.

Wie der Vater erlernte Julius zunächst den Kaufmannsberuf nach der Handelsschule. Doch bereits 1902 war ‚Juller‘, wie er von sseinen Freunden genannt wurde,  als 10 Jahre alter Schüler aktives Mitglied des Karlsruher FV geworden.  Der KFV gehörte von 1901 bis 1905 zu den stärksten Fußballclubs in Deutschland; seine 1. Mannschaft gewann viermal in Folge die süddeutsche Meisterschaft und 1905 die deutsche Vizemeistermannschaft.

Hirsch
Meistermannschaft des KFV 1910 mit Julius Hirsch (untere Reihe, zweiter von rechts; Seite 54 in Werner Skrentnys Hirsch-Biographie).

Buchcover

Bereits mit 17 Jahren, noch als ‚Jugendspieler‘, gehörte Julius Hirsch erstmals der Stammformation des KFV an. Er schoss ein Tor und war so gut, dass er fortan in der ersten Mannschaft einen Stammplatz hatte. Zunächst als Linksaußen, später auf halblinks. Hirsch war schn ell und bekannt für seinen starken Schuss und seinen charakteristischen gebückten Laufstil. Zusammen mit Gottfried Fuchs (siehe dessen Biographie im Exil-Archiv) und Fritz Förderer bildete er das Innensturmtrio des Karlsruher FV, das – wie später etwa Formationen von Bayern München – gemeinsam in der Nationalmannschaft eingesetzt wurde.

In der  Deutschen Nationalmannschaft debütierte Julius Hirsch am 17. Dezember 1911 in München beim 1:4 gegen Ungarn. Als erster deutscher Nationalspieler schoss er bei seinem zweitem Einsatz am 24. März 1912 gegen Holland sagenhafte vier Tore; das Spiel endete untentschieden 5:5. Es folgen noch weitere Einsätze für Deutschland – auf dem Spielfeld und dem ‚Feld der Ehre‘ als Soldat. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete er u.a. in der Deutschen Signalflaggenfabrik seines Vaters, die Fahnen, Uniformen und Lederausrüstungen für Militär, Post und Polizei produzierte. Ironie der Geschichte: Das Unternehmen stellte nach 1918 Sportartikel und Lederwaren her, darunter auch Fußbälle der bald weltbekannten Marke ‚Hirsch‘.

Ab 1919 wurde Julius Hirsch noch einmal für den Karlsruher FV aktiv, der jedoch nicht mehr an seine Erfolge von einst anknüpfen konnte. 1925 hängte ‚Juller‘ die Fußballschuhe an den Nagel. Er war seit 1920 mit der Protestantin Ella Karolina Hauser verheiratet, die gemeinsamen Kinder wurden jüdisch erzogen. Nach einem Konkursverfahren verlor Julius Hirsch seinen Arbeitsplatz als Geschäftsführer der Deutschen Signalflaggenfabrik. Die Arbeitssuche in der Schweiz und Frankreich war schwierig; eine Anstellung als Trainer scheiterte trotz seines guten Leumunds und ebensolcher Zeugnisse. Ein ehemaliger Mitspieler im KFV, Ivo Schricker , war zwar inzwischen FIFA-Generalsekretär geworden, war aber kein Helfer in der Not. Schließlich arbeitete Hirsch als Handelsvertreter, Hilfsbuchhalter diverser noch bestehender jüdischer Unternehmen. Aber auch als Trainer im jüdischen Verein Turnclub 03 Karlsruhe an, der im Sportbund ‚Schild‘ des Reichsbunds Jüdischer Frontsoldaten (RJF) organisiert war.

1938 endete eine kurze Beschäftigung als Holzschäler bei einer jüdischen Papierfabrik. Der anschließende Versuch, Trainer in der Nationalliga der Schweiz zu werden, war für den Juden Hirsch zum Scheitern verurteilt, denn der Arm der Nationalsozialisten reichte bis ins angeblich neutrale Land der Eidgenossen. Bereits 1933 – die jüdischen Mitglieder waren aus den Sportvereinen des deutschen Reichs ausgeschlossen worden – schrieb ‚Juller‘ Fuchs  seinem Karlsruher FV: ‚Ich lese heute im Sportbericht Stuttgart, dass die großen Vereine, darunter auch der KFV, einen Entschluss gefasst haben, dass die Juden aus den Sportvereinen zu entfernen seien. Leider muss ich nun bewegten Herzens meinem lieben KFV, dem ich seit 1902 angehöre, meinen Austritt anzeigen. Nicht unerwähnt möchte ich aber lassen, dass es in dem heute so gehassten Prügelkinde der deutschen Nation auch anständige Menschen und vielleicht noch viel mehr national denkende und auch durch die Tat bewiesene und durch das Herzblut vergossene deutsche Juden gibt.‘

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Der Journalist Werner Skrentny hat in seinem Buch über Julius Hirsch auch die Geschichte des jüdischen Nationalspielers Gottfried Fuchs für die Nachwelt festgehalten.

Welchen psychologischen Belastungen jüdische Menschen in dieser Zeit ausgesetzt waren, erhellt auch die Tatsache, dass Julius Hirsch auf der Rückreise von einem Besuch in Frankreich im November 1938 aus dem fahrenden Zug sprang. Möglicherweise war es ein Selbstmordversuch. Als ‚depressiv‘ wurde er in die psychiatrische Klinik in Bar-le-Duc eingeliefert. Um seine ‚arische‘ Ehefrau und die Kinder Heinold und Esther vor Verfolgung zu schützen, ließ sich Hirsch nach seiner Rückkehr aus der Klinik 1939 scheiden. Damit verlor er als Jude aber zugleich den Schutz einer ‚privilegierten Mischehe‘. Fortan musste er als Zwangsarbeiter auf einem städtischen Schuttplatz harte körperliche Arbeit verrichten. Was dann folgte, war noch einmal eine Steigerung des Entsetzlichen: Im Februar 1943 befahl ihn die Gestapo zum Transport in den ‚Arbeitseinsetz‘. Gemeinsam mit elf weiteren badischen Juden wurde der inzwischen 50 Jahre alte Julius Hirsch am 1. März 1943 über Stuttgart, Trier, Düsseldorf und Dortmund nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo er am 2. März gemeinsam mit 1.500 Personen ankam. Hier verliert sich seine Spur. Letztes Lebenszeichen ist eine Postkarte, die am 3. März in Dortmund abgestempelt wurde (vermutlich hat er sie dort aus dem Zug geworfen): ‚Meine Lieben. Bin gut gelandet, es geht gut. Komme nach Oberschlesien, noch in Deutschland. Herzliche Grüße und Küsse euer Juller‘.

Das Amtsgericht Karlsruhe erklärte Julkus Hirsch am 8. Mai 1945 für tot. Per Verfügung wurde eine ‚Entschädigung‘ in Höhe von 3.450 DM gewährt. Seine beiden Kinder, die bereits 1938 als ‚Mischlinge ersten Grades‘ die Schule verlassen und ab 1941 einen Judenstern tragen mussten, wurden am 14. Februar 1945 vom Hauptbahnhof Karlsruhe zum ‚Arbeitseinsatz‘ in das KZ Theresienstadt deportiert. Beide wurden durch die Befreiung des Konzentrationslagers durch die Rote Armee am 7. Mai 1945 befreit. Sie kehrten am 16. Juni nach Karlsruhe zurück. Seit 2006 gibt es vor dem Haus Murgstraße 7 in Karlsruhe einen ‚Stolperstein‘ für Julius Hirsch. Im selben Jahr wurden ihm zu Ehren die ‚Sportplätze am Eichkamp‘ in Berlin den Namen ‚Julius-Hirsch-Sportplätze in Eichkamp‘ umbenannt. Dort hatte der jüdische Fußballklub TuS Makkabi Berlin seine Heimspiele ausgetragen. Die Schulsporthalle des Ludwig-Marum-Gymnasiums und der Geschwister-Scholl-Realschule in Pfinztal-Berghausen ist nach Julius Hirsch benannt.

Bearbeitung:

Hajo Jahn

Quelle:
Werner Skrentny: ‚Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet. Biografie eines jüdischen Fußballers. Verlag Die Werkstatt. Und Wikipedia.

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