Dr. Kurt Singer
Neurologe und Musikwissenschaftler
Geb.11.10.1885 in Berent in Westpreußen
Gest. 07.02.1944 im KZ Theresienstadt
1933 ist unter den Erinnerungsjahren ein ganz besonderes: Da begann die Diktatur in Deutschland, brannte der Reichstag und bald brannten auch die Bücher als Vorfeuer der Gasöfenhölle. Aber welcher Normalbürger, welcher Jugendliche weiß heute noch, was der „Jüdische Kulturbund“ war, gegründet im Juni 1933? Er war eine kulturgeschichtlich singuläre Institution. Untrennbar verknüpft mit dem Namen von Kurt Singer.
Berliner Gedenktafel
Der Sohn eines Rabbiners verbrachte Schulzeit und Jugend in Koblenz. Nach dem Abitur studierte er Medizin und Musikwissenschaften. 1908 wurde er zum Dr. med. promoviert und arbeitete zunächst als Neurologe in der Berliner Charité. Seit 1910 schrieb er Musikkritiken. 1913 gründete er den Berliner Ärztechor, den er bis in die Zeit des Nationalsozialismus leitete. 1923 wurde er Professor an der Staatlichen Akademischen Hochschule für Musik, wo er sowohl lehren als auch forschen konnte. Drei Jahre später erschien sein bis heute bekanntestes Werk Die Berufskrankheiten der Musiker.
Dr. Singer leitete von 1923 bis 1932 die ärztliche Beratungsstelle an der Hochschule für Musik und hielt Vorlesungen über Berufskrankheiten von Musikern. Von 1927 bis 1931 war er vorübergehend zunächst Stellvertreter und dann Intendant der Städtischen Oper Berlin. An der Musikhochschule wurde er im Herbst 1932 wegen angeblicher finanzieller Schwierigkeiten entlassen. Als nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 zahlreiche Musiker jüdischer Herkunft nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums ihre Stellung verloren, gründete er den jüdischen Kulturbund, eine Institution des geistigen Widerstands; ein Bündnis von jüdischen Deutschen, die, ausgeschlossen aus dem deutschen Kultur- und Gesellschaftsleben, im Juni 1933 in Berlin und bald auch deutschlandweit ein eigenes vielfältiges Kulturleben entwickelten. Unter strengen Auflagen und kontrolliert von Goebbels’ Sonderbeauftragtem Hans Hinkel, beschäftigte der Kulturbund insgesamt mehr als 2.000 Menschen, unter ihnen bekannte Namen wie den Schauspieler und Intendanten Fritz Wisten, den Dirigenten Kurt Sanderling und den Schriftsteller Julius Bab. Der K-Bund gab unzähligen Zuschauern Halt und Unterhalt.
Die Juden selbst hatten die Gründung des Kulturbundes beantragt. Auf den ersten Blick, so schreibt Prof. Dr. Jakob Hessing in der aktuellen Biografie des Kulturbundes „Gegen alle Widerstände“ , „mag das merkwürdig erscheinen – wie in vorauseilendem Gehorsam nahmen sie gleich zu Anfang die Absonderung vor, die ihnen das Regime bald mit wachsender Brutalität auferlegen würde –, an dieser Merkwürdigkeit seines fürchterlichen Endes aber ist bereits zu erkennen, was es mit dem deutsch-jüdischen Verhältnis auf sich hatte: Als das europäische Judentum am Ende des 18. Jahrhunderts seine moderne Form anzunehmen begann, war ihm das ‚Deutsche’ zunächst als Kultur-Raum begegnet, in dem es seine Säkularisation vollziehen konnte. Diese Erfahrung teilten die Juden mit vielen Europäern, und der Kulturbegriff der deutschen Aufklärung kam den Bedürfnissen einer aus ihrem Religionsgesetz heraustretenden Menschen-gruppe deutlich entgegen.
Als die Juden die Gründung des Kulturbundes beantragten, klagten sie das Versprechen der Aufklärung ein, in deren Schutz sie einst den Raum der deutschen Kultur betreten hatten. Das erste Stück, das der Kulturbund zur Aufführung brachte, war Lessings Nathan der Weise, und es war auch das erste Stück, das nach dem Ende des Dritten Reiches wieder auf Deutschlands Bühnen zu sehen war (inszeniert von Fritz Wisten am Deutschen Theater Berlin). Die Hitlerjahre wurden eingerahmt vom Manifest des Geistes, in dem sich Deutschland lange als eine Kulturna-tion gesehen hatte und dessen Kronzeuge ein Jude gewesen war.
Im Tausendjährigen Reich aber herrschte der Ungeist, und im Meer der Barbarei war der Kulturbund eine einsame Insel. Keine Insel des Widerstands – der Kulturbund war weniger eine Erfindung der Juden als ein Instrument nationalsozialistischer Menschenverwaltung –, und dennoch eine Insel als Gegenwelt, die sich zu behaupten suchte, bis das Meer sie verschlang.“
Sein ghründer und Leiter Kurt Singer emigrierte 1938 nach Amsterdam. 1943 wurde er verhaftet, zunächst in das Durchgangslager Westerbork, anschließend in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort starb er am 7. Februar 1944 an den Folgen der Haftbedingungen. Nach Singer ist heute das Kurt-Singer-Institut für Musikergesundheit an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin benannt.
Bearbeitung:
Hajo Jahn
Quelle:
- Wikipedia
- Gabriele Fritsch-Vivié „Gegen alle Widerstände Der Jüdische Kulturbund 1933–1941“, ISBN 978-3-95565-005-6 Hentrich & Hentrich Verlag Berlin, April 2013.
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