Lotte (Charlotte) Reiniger
Scherenschneiderin, Silhouetten-Animationsfilmerin und Buchillustratorin
Geb. 02.06. 1899 in Charlottenburg/ b. Berlin
Gest. 19.06. 1981 in Dettenhausen
Wer an Animationsfilme denkt, denkt meist nur an Walt Disney. Die ersten Märchenwelten mit Papier und Schere schuf jedoch bereits zuvor eine deutsche Scherenschneiderin und Illustratorin: Charlotte Reiniger. Schon als Kind begeistert sie sich für die chinesische Kunst des Silhouetten-Puppenspiels und fertigt ihr erstes Puppentheater an, zu dessen Zuschauern die eigene Familie und Charlottes Freunde gehören. Den Teenager fasziniert dann auch das Medien Film, besonders Georges Méliès‘ Spezialeffekte. Der große deutsche Schauspieler und Regisseur Paul Wegener ermuntert sie schließlich, am Deutschen Theater in Berlin bei Max Reinhardt Schauspielunterricht zu nehmen und vermittelt sie zudem ans Institut für Kulturforschung, wo Reiniger dann auch ihren späteren Mann Carl Koch kennenlernen wird.
1919 entsteht ihr erstes (Stumm-)Filmwerk “Das Ornament des verliebten Herzens“, für das sie ihre Animation mit Silhouetten auf einem selbstgebauten Tisch ablichtet: Auf eine von unten beleuchteten Glasplatte werden die aus schwarzer Pappe geschnittenen und beweglichen Figuren gelegt und von einer oberhalb des Tisches angebrachten Kamera mit 16 Aufnahmen pro Sekunde Szene für Szene abfotografiert.
Die Verbindung zu Wegener trägt nun auch erste berufliche Früchte: 1921 baut er in seinen Streifen “Der verlorene Schatten“ (1921) Trickfilmteile von Lotte Reiniger ein. Es folgen Werbefilme für Julius Pinschewer und Märchenverfilmungen wie “Aschenputtel“ (1922) und “Der gestiefelte Kater“ (1934). 1923 beginnen Lotte Reiniger, Carl Koch, Walter Ruttmann und Berthold Bartosch mit ihrem Projekt des ersten abendfüllenden Silhouetten-Animationsfilms “Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ (finanziell großzügig unterstützt von dem jüdischen Bankier Louis Hagen), bis zu dessen Fertiggstellung es drei Jahre und 300 Tausend Einzelaufnahmen brauchen wird.
Dem nächsten gemeinsamen Streifen “Dr. Doolittle und seine Tiere“ (1928), unter Mitwirkung so namhafter Komponisten wie Paul Dessau, Kurt Weill und Paul Hindemith, folgen kurz darauf weitere musikalische Filme wie “Harlekin“ (1931), “Carmen“ (1933) und “Papageno“ (1935).
Zum Bekannten- und Freundeskreis der Scherenschneiderin gehören schon seit den 1920er-Jahren Künstler und Intellektuelle wie László Moholy-Nagy, Karl Schmidt-Rottluff, Carl Zuckmayer, Hans Sahl, Fritz Lang und Georg Wilhelm Pabst, für dessen Realfilm “Don Quichotte“ (1933) Lotte Reiniger Trickfilmsequenzen erstellt. Der Plan, eine Trickszene für Bertolt Brechts Stück “Der Kaffeesackschmeisser“ zu realisieren, scheitert schließlich an den sich verändernden Bedingungen in Deutschland, der Machtübergabe an die Nationalsozialisten.
Die mit zahlreichen jüdischen Künstlern befreundeten Eheleute Reiniger/ Koch verlassen 1935 Hitlerdeutschland, auch aufgrund zunehmender wirtschaftlicher Probleme. Da sie in ihrem ersten Zufluchtsort London jedoch keine Daueraufenthaltsgenehmigung erhalten, reisen sie 1943 weiter, mit Stationen in Paris und Rom. In diesen Jahren entstehen mehrere Kapitel von Hugh Loftings “Doktor Dolittle und seine Tiere“, auf der Grundlage von Loftings eigenen Zeichnungen. Lotte Reiniger, die mit dem Autor in persönlichem Kontakt steht, fertigt mit “Die Reise nach Afrika“, “Dr. Dolittle“ in Gefahr sowie “In der Höhle des Löwen“ drei Kurzfilme, kann aufgrund von Geldmangel diese Arbeit jedoch nicht fortsetzen.
Immer wieder aber sind es bedeutende Künstler, die auf Reinigers Fähigkeiten zurückgreifen oder mit ihr zusammenarbeiten. Igor Strawinski erlaubt Lotte Reiniger ein Stück aus seiner Pulcinella-Suite als musikalischen Hintergrund für einen Silhouettenfilm zu verwenden und Benjamin Britten schreibt sogar für “The Tocher“ (1936) die Filmmusik. Weitere Kontakte ermöglichen Lotte Reiniger und ihrem Mann die Zusammenarbeit mit bedeutenden Filmemachern wie Jean Renoir (der ihre “zaubernden Hände“ bewundert) an dem Film “La Marseillaise“ (1937) und Luchino Visconti.
Vorübergehend aus privaten Gründen von Italien zurückgekehrt nach Berlin, können die Eheleute 1944 die Stadt nicht mehr verlassen und erleben dort das Ende des Dritten Reiches. Von 1945 bis 1948 arbeitet Lotte Reiniger für die Berliner Schattenbühne, wo, in Zusammenarbeit mit ihrer Freundin Elsbeth Schulz die “Märchen Brüderchen und Schwesterchen“, “Gestiefelter Kater“ und “Dornröschen“ entstehen. 1949 übersiedelt Lotte Reiniger mit ihrem Mann wieder nach London, wo in den folgenden Jahren diverse Filme für die BBC entstehen, darunter die herausragenden Verfilmungen von Märchen der Brüder Grimm, Hans Christian Andersen und der “Geschichten aus Tausendundeine Nacht“ in Silhouetten-Technik. Für ihren Film “Das tapfere Schneiderlein“ gewinnt Reiniger auf der Biennale in Venedig 1954 (andere Quellen 1955) den ersten Preis in der Rubrik Kurzfilme. Des Weiteren prägt Lotte Reiniger mit ihren Illustrationen zu einer Neuausgabe der Artus-Saga das englische Lesepublikum. Für Theater in Glasgow und Coventry entstehen in dieser Zeit noch kurze Silhouetten-Filme, 1955 zum ersten Mal mit farbigem Hintergrund.
Das Jahr 1971 gehört gänzlich der Auseinandersetzung mit dem Werk von Wolfgang Amadeus Mozart. In einem Zyklus von 140 Scherenschnitten setzt Lotte Reiniger Motive und Szene aus Opern wie “Cosi fan tutte“, “Don Giovanni“, “Figaros Hochzeit“ und “Die Zauberflöte“ (1973) um. “Bis ins hohe Alter unternimmt sie, oft begleitet von Louis Hagen, Vortrags- und Workshop-Reisen, nach Italien und Frankreich, in die Türkei, durch die USA und Kanada, und begeistert Erwachsene wie Kinder, Lehrer und Filmstudenten – verkörpert sie ja auch mehr als ein halbes Jahrhundert lebendiger Filmgeschichte. In Kanada entstehen noch zwei Silhouettenfilme, für das National Film Board of Canada „Aucassin and Nicolette“ sowie 1979 als letzter großer Farbfilm „The Rose and the Ring.“ (Hier zitiert aus: http://www.lottereiniger.de/lotte_reiniger/portrait.php)
Die mit zahlreichen nationalen und internationalen Auszeichnungen Geehrte stirbt im Alter von 82 Jahren und findet an der Seite ihres Mannes auf dem Friedhof in Dettenhausen bei Tübingen ihre letzte Ruhe.
Der Nachlass der Trickfilmpionierin befindet sich im Tübinger Stadtmuseum, das Teile davon ständig im “Lotte-Reiniger-Museum“ ausstellt. Eine Dauerausstellung zu Lotte Reinigers Arbeiten befindet sich außerdem im Filmmuseum Düsseldorf.
Quellen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Lotte_Reiniger
http://www.lottereiniger.de/lotte_reiniger/portrait.php
http://kurier.at/kultur/medien/lotte-reiniger-pionierin-mit-spitzer-schere/14.974.276
Links (deutsch):
http://www.lottereiniger.de/lotte_reiniger/portrait.php
http://www.filmportal.de/film/die-abenteuer-des-prinzen-achmed_2d3e507b1f7c45c191afea55317fc76b
http://www.tuebingen.de/stadtmuseum/1366.html
http://www.atelier-brueckner.com/lehre/projekte/die-welt-in-licht-und-schatten-lotte-reiniger.html
http://www.lotte-reiniger-film.com/
http://www.filmportal.de/node/37873/video/1198071
http://www.dw.de/lotte-reiniger-pionierin-des-trickfilms/a-16142680
International:
http://www.imdb.com/name/nm0718201/
http://www.awn.com/mag/issue1.3/articles/moritz1.3.html
http://www.youtube.com/watch?v=KxkIGXVwZTM
http://www.screenonline.org.uk/people/id/528134/
http://mediatheque.ville-bagnolet.fr/Lotte-Reiniger.html
http://animationhistory.blogspot.fr/2006/07/lotte-reiniger.html
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