Friedrich Wilhelm Wagner
Politiker, Rechtsanwalt
Geb. 28.2.1894 in Ludwigshafen am Rhein
Gest. 17.3.1971 in Ludwigshafen am Rhein
Friedrich Wilhelm Wagner wurde am 28. Februar 1894 in Ludwigshafen in eine sozialdemokratisch sozialisierte Familie geboren. Josef Huber, der Bruder seiner Mutter Elisabeth, war als zeitweiliger Reichstagsabgeordneter einer der frühen pfälzischen Vertreter seiner Partei im höchsten deutschen Parlament. Auch Vater Friedrich gehörte zu jenen Sozialdemokraten, denen die Verbotszeit des Sozialistengesetzes aus eigenem Erfahren bekannt war. Sein politisches Engagement kostete das spätere Mitglied des Ludwigshafener Stadtrates schließlich seine Anstellung bei dem Ludwigshafen als Arbeiterstadt so prägenden Chemieriesen BASF. Das Auskommen der Familie Wagner litt darunter wenn überhaupt nur kurzzeitig, da die erzwungene Selbständigkeit die finanzielle Basis für den beruflichen – und sozialen – Aufstieg des Sohnes Friedrich Wilhelm legte. Im Vorjahr des Kriegsausbruchs legte er 1913 sein Abitur ab, um sich anschließend dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Heidelberg, München, Tübingen und Berlin zu widmen. Den Ersten Weltkrieg überstand er, nachdem er seinen einjährigen Freiwilligendienst abgeleistet hatte, als Kommunalangestellter in Ludwigshafen. Hier avancierte er zum Leiter des Brennstoffamtes mit zwischenzeitlich gut 100 Mitarbeitern.
Dem jungen Wagner war früh eine besondere Redegabe bescheinigt worden. Nach Kriegsende übernahm er 1920 den Vorsitz der Ludwigshafener SPD, den er jedoch bereits zwei Jahre später niederlegte. Wagner hatte sich 1922 als Anwalt mit eigener Praxis in Ludwigshafen niedergelassen. Somit sicherte er sich eine von der SPD und ihren Umfeldorganisationen unabhängige Existenzgrundlage. Zugleich war die Juristerei ihm immer mehr als nur ein Brotberuf. Rechtsstaatlichkeit war Wagners Lebensthema – als Anwalt wie als Politiker. Als die Weimarer Republik ihren Existenzkampf focht, vertrat er 1932 den SPD-Vorsitzenden Otto Wels in einem spektakulären Prozess gegen den Nazi-Führer und späteren Reichsleiter des Gewerkschaftssubstituts Deutsche Arbeitsfront, Robert Ley.
Politisch begann Wagner trotz seines Rückzuges vom Ludwigshafener Parteivorsitz seine Karriere nach Berlin auszurichten. Der Reichstag war sein Ziel, das er Ende 1930 schließlich erreichte, als er für den verstorbenen pfälzischen Sozialdemokraten Johannes Hoffmann nachrückte. In der Pfalz hatte Wagner dabei seine Position bereits gefestigt und war nunmehr unbestritten der erste Mann seines Parteibezirks; zumal er seit 1927 Gauführer des überparteilichen Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold war.
Den 10. März 1933 verbrachte Wagner als Anwalt am Frankenthaler Amtsgericht, wo er vom Fleck weg verhaftet wurde. Noch in der selben Nacht gelang ihm die Flucht aus der Nazi-Haft, die zugleich den Auftakt eines 14 Jahre währenden Exils bedeutete. Über Mannheim, Neustadt im Schwarzwald und Zürich floh er nach Frankreich, wo er sich schließlich in Straßburg mit seiner Familie niederließ. Wie so viele politische Emigranten lebte auch Wagner „mit dem Gesicht nach Deutschland” und trat in den Dienst des dort ansässigen sozialdemokratischen Grenzsekretariats. Zudem eröffnete er ein internationales Anwaltsbüro, das sich mit Rechtsfragen der Emigranten befasste. Die Lage der Hitler-Flüchtlinge war rechtlich durch einen oftmals kaum zu durchbrechenden Teufelskreis gekennzeichnet, der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis aneinander koppelte. Die Rechte der Verfolgten und ihre materielle Not – beides auch seine eigenen Sorgen – sollten fortan seine politisch-rechtliche Arbeit bestimmen.
Sie SPD war im Exil erheblichen Fliehkräften ausgesetzt, die das Verhältnis zu anderen Parteien, insbesondere zur KPD, aber auch zu sozialistischen Splittergruppierungen wie der SAP oder Neu Beginnen, betrafen. Während der zunächst in Prag ansässige Exil-Parteivorstand, SOPADE, strikt an der treuhänderischen Mandatstheorie festhielt und jedwedes Zusammengehen mit anderen Partein ablehnte, schien es, als würden in Frankreich die alten Gräben zugeschüttet werden können. Für eine überparteiliche Volksfront der Hitlergegner hatte sich Ende 1935 unter dem prominenten Namen Heinrich Manns und dem organisatorischen Geschick Willi Münzenbergs ein nach dem Pariser Tagungsort Hotel Lutetia benannter Kreis zusammengefunden, zu dem im Februar 1936 auch Wagner stieß. Entgegen der Haltung der SOPADE – und auch nicht weniger Sozialdemokraten in Frankreich – hatte er sich damit dem Unterfangen verschrieben, im Angesicht der Bedrohung durch den NS-Staat dem Gemeinsamem den Vorzug gegenüber dem Trennenden zu geben. In den Jahren von 1936 bis 1939 beteiligte sich Wagner schließlich an zahlreichen Komitees, die aus diesem überparteilichen Selbstverständnis heraus die Anliegen der Hitler-Flüchtlinge formulierten. So mitbegründete er unter dem unmittelbaren Pariser Eindruck eine Hilfsorganisation zur Unterstützung der von den Nazis eingekerkerten politischen Gefangenen und war ein Jahr später an der Bildung der „Saarvolksfront” beteiligt. Im November 1936 hatte er sich durch die Bildung einer regionalen SPD-Gruppe für den französischen Südwesten, deren Vorsitz er übernahm, auch eine parteipolitische Legitimation verschafft.
Das Experiment Volksfront scheiterte schließlich im Frühjahr 1937 endgültig und konnte auch durch den ähnlich gelagerten Versuch einer Konzentration aller sozialistischen Kräfte mit Ausnahme der Kommunisten nicht mehr gerettet werden. Die Friktionen mit kommunistischen Emissären veranlassten Wagner im Mai 1938 zum Ausscheiden aus dem Sekretariat des „Centre International pour le droit et la liberté en Allemagne”. Zeitgleich betrieb er den Aufbau der „Deutschen Opferhilfe”, die als sozialdemokratische Hilfsorganisation die bedürftigen Genossen mit dem Nötigsten versorgen sollte. In Verhandlungen mit der SOPADE erhielt er schließlich ein Mandat für den Aufbau der Opferhilfe, die zur zentralen sozialdemokratischen Fürsorgeeinrichtung ausgebaut werden sollte.
In Verhandlungen mit der SOPADE konnte Wagner mit einer gewissen Hausmacht eintreten, gehörte er doch seit Anfang 1938 dem Vorstand der französischen Landesgruppe der Sozialdemokraten an. Gemeinsam mit deren Vorsitzendem, Max Braun, begehrte er im Zuge der Konzentrationsverhandlungen sogar eine Kooptation in den Parteivorstand. Außerdem hatte er auch auf dem Gebiet der Flüchtlingsarbeit mittlerweile eine Reihe wichtiger Funktionen übernommen. So gehörte er etwa dem beim französischen Innenministerium angesiedelten „comité consultatif” an, das die Anträge deutscher Emigranten auf Anerkennung des besonderen Flüchtlingsstatus’ „réfugiés provenant d’Allemagne” begutachtete. Der Strategie, die Bedürfnisse der Flüchtlinge an die Regierungen heranzutragen, entsprach die Gründung der „Zentralvereinigung der deutschen Emigration”, die als Dachverband und gleichsam als Sprachrohr fungieren sollte. Im August 1937 trat Wagner hier den Posten des geschäftsführenden Vorsitzenden an und nahm im folgenden Jahr an der großen Flüchtlingskonferenz von Evian teil. Zudem wurde er Mitglied des beim Hohen Kommissar für Flüchtlinge des Völkerbundes angesiedelten „Comité de liaison”.
Der deutsche Einmarsch in Frankreich 1940 überraschte Wagner, der mit seiner Frau Katharina überstürzt in den Süden Frankreichs floh. Hier hatte sich Marseille zum Nadelöhr entpuppt, das letzte Rettung versprach. Seit 1937 ausgebürgert, fand sich Wagners Name auf den Fahndungslisten der Gestapo. Mit einem Emergency-Visum der amerikanischen Regierung ausgestattet, gelang ihnen die Flucht über die Pyrenäen nach Lissabon, wo sie schließlich zur Atlantik-Passage ansetzten.
New York bedeutete einerseits Sicherheit, den Schutz von Leib und Leben. Die Metropole war jedoch zugleich mit dem Straßburger und Pariser Exil Wagners schwerlich vergleichbar. Als Wagner die politische Emigrantenszene im Frühjahr 1941 betrat, hatten sich Fronten gebildet und verhärtet, waren Führungszirkel entstanden und abgeschottete Kreise hatten sich etabliert. Von den in Paris selbstsicher artikulierten Ansprüchen war er nunmehr so weit entfernt wie nie. Noch 1941 wurde er Mitglied des „German-American Council for the liberation of Germany from Nazism” – ab dem 29. November 1941 unter dem Namen „Association of Free Germans” firmierend -, und im November 1942 trat er der relativ bedeutungslosen deutschen Sprachgruppe der „Social Democratic Federation” bei. Den Anspruch, als Filiale der nach London emigrierten SOPADE zu sprechen, erhob die „German Labor Delegation” (GLD), die sich ihrem elitären Selbstverständnis gemäß weiteren Beitritten verwehrte. Erst als die GLD 1943 in eine ernste Krise geriet, füllte sie die gelichteten Reihen auf. Zu diesen Nachrückern zählte auch Wagner, dem aus GLD-Reihen außerdem eine Anstellung als Bibliothekar an einer Arbeiter-Bildungseinrichtung verschafft wurde. Ohne hierüber Zeugnis zu hinterlassen, betrieb er politische Studien und schaltete sich publizistisch gelegentlich in die Kriegsschulddebatte ein, in der er freilich eine deutsche Kollektivschuld zurückwies.
Wagner hatte seine Fixierung auf Deutschland während der gesamten NS-Herrschaft nicht aufgegeben und ergriff die erste Gelegenheit zur Remigration. Als er im Februar 1947 in die Pfalz zurückkehrte, begann er aus dem Stand mit dem Wahlkampf um ein Mandat für den rheinland-pfälzischen Landtag. Der Landtag war ihm Sprungbrett in den Parlamentarischen Rat, wo er u. a. den Kompetenzausschuss zur Abgrenzung von Bundes- und Landesangelegenheiten leitete. Entscheidenden Anteil hatte er am Zustandekommen des heutigen Artikels 102 GG, der die Todesstrafe abschaffte. Mit Blick auf die nationalsozialistischen Verbrechen führte er vor dem Plenum des Rates aus:
„Und inzwischen sollte man doch zu der Erkenntnis gekommen sein, dass das Leben etwas Heiliges ist, so heilig, dass die zum Staat organisierte Gruppe von Menschen sich nicht das Recht zuschreiben kann, anderen Menschen das Leben abzusprechen. Ich wiederhole den Satz, den ich im Hauptausschuss ausgesprochen habe: dass der Staat, der das Leben nicht gegeben hat, auch nicht das Recht hat, das Leben zu nehmen.”
Die Rechtspolitik wurde, wie schon in den kurzen tatsächlichen Arbeitsphasen des Reichstags, Wagners parlamentarisches Arbeitsgebiet. In den ersten beiden Bundestagen leitete er den Unterausschuss des Rechtsausschusses zur gesetzlichen Regelung des gewerblichen Rechtsschutzes, des Patent- und Urheberrechts. Im Gegensatz zu vielen politischen Grundsatzfragen war die Rechtspolitik von einem verhältnismäßig großen überparteilichen Konsens getragen, der seinen Fixpunkt in der Beugung des Rechtsstaats durch die Nationalsozialisten hatte.
Demgegenüber hob sich der Beginn seiner anwaltschaftlichen Nachkriegskarriere von der vergleichsweise ruhigen und konsensualen Rechtspolitik ab. Wagner hatte 1947 das Mandat übernommen, den Leiter des Ludwigshafener I.G.-Farbenwerks – also der BASF -, Carl Wurster, im Nürnberger I.G.-Farbenprozess zu verteidigen. Im New Yorker Exil hatte Wagner gefordert, die Nazi-Verbrechen müssten von Deutschen auch juristisch aufgearbeitet werden. Dabei hatte er jedoch nicht nur Mitwirkung an solchen Prozessen gemeint, sondern auch, dass der Vorsitz, dass das gesamte Verfahren von Deutschen wahrgenommen und geleitet wurde. Insofern entsprach seine Rolle als Anwalt in diesem Verfahren sicher nicht vollends seinen Vorstellungen. Die Anklage gegen Wurster war in jedem Fall von erheblicher Tragweite, war doch zu klären, inwiefern der Ludwigshafener Werkschef persönlich in den Holocaust verwickelt war. Zyklon B und Auschwitz mögen als Chiffren genügen.
Auch in späteren Jahren bewies Wagner, dass er keine politischen Grenzen kannte, wenn er von einem Mandat überzeugt war. Für Lina Herbst, die Witwe des Ludwigshafener Kommunisten und Reichstagsabgeordneten Eugen Herbst, der wohl in Dachau von den Nazis erschlagen wurde, erstritt er eine Witwenrente. Für den eigenen Stand wandte er überhaupt einige Energie auf. Die 1959 vom Bundestag verabschiedete Bundesrechtsanwaltsordnung formulierte er mit, der pfälzischen Anwaltskammer stand er sechs Jahre lang vor. Als 1961 sein Freund Rudolf Katz, den er aus gemeinsamen New Yorker Tagen kannte, starb, übernahm er dessen Position und fungierte fortan für die nächsten knapp sechs Jahre als Präsident des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts. Hier hatte er Anteil an der Formulierung des Urteils zur Parteienfinanzierung von 1966, das in einer Reihe von Karlsruher Entscheidungen erheblich zum Zuschnitt des Parteienwettbewerbs in Deutschland beitrug.
Als Verfassungsrichter über das eigene Werk zu wachen, diejenigen zu ahnden, die sich daran versündigten und dem Rechtsstaat als selbstbewusste konstitutive Säule ein Gepräge zu verleihen, empfand Wagner als Krönung seiner politischen wie juristischen Laufbahn. Auch diese „Karlsruher Jahre” verbrachte er außerhalb seiner Dienstzeiten in der Pfalz, der er sich zeitlebens verbunden fühlte. Nur 1933 verließ er sie – um 14 Jahre später heim zu kommen. Im Ludwigshafener Friedrich-Ebert-Park erlitt Friedrich Wilhelm Wagner einen Schlaganfall, dem er am 17. März 1971 erlag.
Literatur:
Andreas Marquet: Friedrich Wilhelm Wagner (1894-1971). Eine politische Biographie. (erscheint 2014)
Autor:
Andreas Marquet
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