Rosa Schapire
Kunsthistorikerin und -sammlerin, Mäzenatin und Autorin
Geb. 09.09. 1874 in Brody (Ostgalizien)/ Österreich-Ungarn
Gest. 01.02. 1954 in London/ GB
“Die lebenslang unverheiratete Schapire, die nur den Sozialismus der Gleichberechtigung für fähig hielt, hatte es nicht leicht in der Hamburger Gesellschaft: Sie entsprach keinem der Klischees, die ihre Zeit für Frauen vorsah: weder dem Ideal bürgerlicher Damenhaftigkeit noch jenem der Muse, das viele Künstler favorisierten. Sie war vielmehr eine schnell denkende und scharf urteilende, energisch kämpfende Person, die ausschließlich auf Augenhöhe argumentierte.“ (Hier zitiert aus: {ln:nw:http://www.taz.de/!42235/})
Die Tochter begüterter jüdischer Eltern wächst im mehrheitlich von Juden bewohnten ost-galizischen Brody, das damals noch zur österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie gehört, auf und wird, ebenso wie ihre vier Schwestern, liberal und multilingual erzogen, lernt Polnisch ebenso wie Deutsch und Französisch. Die schon seit Jugendtagen an zeitgenössischer moderner Kunst interessierte Rosa studiert Kunstgeschichte in Zürich, Leipzig, Berlin und Heidelberg. Bereits 1897 publiziert die damals erste 23Jährige in den ‘Sozialistischen Monatsheften‘ zum Thema Frauenemanzipation und distanziert sich in ihrem Aufsatz sehr klar von der bürgerlichen Frauenbewegung, kritisiert die “Erschließung immer neuer Berufsarten für die Frau, Gütertrennung in der Ehe, Erweiterung der Rechte der Mutter“, konstatiert stattdessen: “Die Lösung der Frauenfrage ist erst in einer Gesellschaft möglich, in der der Mensch den Beruf und nicht der Beruf den Menschen hat“ und folgert daraus: “Erst im sozialistischen Staat, von keinen inneren und äusseren Vorurtheilen eingeengt, als Schranke nur den eigenen sittlichen Massstab, wird es der Frau möglich sein, ein freier Mensch zu werden, sich dem Manne ihrer Wahl in freier Liebe hinzugeben und den ‚Sprung aus dem Reich der Nothwendigkeit in das Reich der Freiheit’ zu machen.“
Im Jahr 1904 wird sie als eine der ersten Frauen in Deutschland an der Universität Heidelberg als Kunsthistorikerin promoviert, übersiedelt 1905 nach Hamburg, wo im selben Jahr noch ihre Übersetzung aus dem Französischen der Fragments “d’un journal intime“ (1882–1884), Tagebuchauszüge des Schweizer Schriftstellers und Philosophen Henri-Frédéric Amiel, im Piper Verlag veröffentlicht werden. Es folgen Romanübertragungen von Honoré de Balzac ins Deutsche, später “Doktor Pascal“ von Émile Zola, außerdem kunstwissenschaftliche Veröffentlichungen aus dem Polnischen, dazu diverse Buchbesprechungen in Kunst- und Fachzeitschriften.
Der Hamburger Landgerichtsdirektor und Kunstsammler Gustav Schiefler macht Rosa Schapire auf die Künstler der 1905 in Dresden gegründeten Vereinigung ‘Die Brücke‘ aufmerksam. Im Juni 1907 schließt sich Schapire als passives Mitglied der ‘Brücke‘ an. Einer ihrer Gründer, der Maler Karl Schmidt-Rottluff, schneidet ihren Namen “Rosa Schapire Frl Dr Hamburg“ als Nummer 30 von insgesamt 68 passiven Mitgliedern in das von ihm geführte Mitgliederverzeichnis ins Holz. 1908 lernen sich die Beiden persönlich kennen, werden enge Freunde, und Schapira zu Schmidt-Rottluffs Förderin, dessen Porträts von ihr in diversen europäischen Museum hängen. Sie kauft eine Vielzahl seiner Arbeiten, darunter Ölgemälde, Holzskulpturen, Aquarelle sowie Druckgrafiken. Umgekehrt fertigt Schmidt-Rottluff Möbel für Schapires Wohnung im dritten Stock in der Hamburger Osterbekstraße 43. “Mit grüner Leimfarbe hatte er die Wände angepinselt, die von ihm entworfenen Möbel vorwiegend gelb, braun und ultramarin-blau bemalt. Das Rundbogenfenster zur Straße funktionierte er zu einem Kakteenregal um, weil Rosa ganz vernarrt war in ihre kleine grüne Kaktus-Riege. Natürlich hatte Schmidt-Rottluff Farben gewählt, die zu seinen Bildern passten. Denn nur die hingen in diesem Raum, in dem sich bis 1939 Rosa Schapires Leben abspielte.“ (Hier zitiert aus: {ln:nw:http://www.welt.de/print-welt/article444023/Die-Frau-die-ihrer-Zeit-weit-voraus-war.html }). 1936 wird der Schriftsteller Samuel Beckett, anlässlich seines Besuchs in Hamburg, Rosa Schapires Wohnungs-Einrichtung als Gesamtkunstwerk Schmidt-Rottluffs bestaunen.
1916 gründet Schapire mit Ida Dehmel den „Frauenbund zur Förderung deutscher bildender Kunst“: Mit Hilfe privater Sponsoren sollen Gemälde und Plastiken für deutsche Museen zu erworben werden, und schon im darauffolgenden (Kriegs-)Jahr 1917 erhält so die Hamburger Kunsthalle eine „Vase mit Georginen“ von Schmidt-Rottluff aus dem Jahre 1912. Von 1919 bis 1920 gibt sie, zusammen mit Wilhelm Niemeyer, die expressionistische Kunstzeitschrift ‘Die Rote Erde‘ heraus (für die Schmidt-Rottluff den Titelholzschnitt fertigt), gründet 1920 ebenfalls mit Wilhelm Niemeyer den ‘Kunstbund Hamburg‘ und veröffentlicht 1920/1921 die Kunstzeitschrift “Kündung“ (mit Originalholzschnitten z.B. von {ln:Crodel, Charles ‚Charles Crodel }). 1923 porträtiert Schmidt-Rottluff Rosa Schapire in dem Holzschnitt “Frauenkopf R. S.“ Im darauffolgenden Jahr veröffentlicht sie Karl Schmidt-Rottluffs graphisches Werk bis 1923 und schreibt 1929 das Vorwort zum Ausstellungskatalog der Schmidt-Rottluff-Ausstellung in der Chemnitzer Kunsthütte.
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten arbeitet Rosa Schapire noch bis 1939 im Jüdischen Kulturbund Hamburg mit. Im Zusammenhang mit der NS-Propagandaausstellung “Entartete Kunst“ 1937 in München wird auch die jüdische Kunsthistorikerin und Mäzenatin in ihrer Hamburger Wohnung unter Hausarrest gestellt und kann fortan nur noch unter Pseudonym veröffentlichen. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges gelingt Schapire die Emigration nach Großbritannien. Am 18. August 1939 trifft sie in London ein, im Gepäck ihre wertvolle Schmidt-Rottluff-Sammlung und die Künstler-Postkarten. Ihre Bibliothek wird von der Gestapo beschlagnahmt, die zurückgelassenen Kunstwerke im Umfang von 86 Positionen, am 31. Oktober 1941 für 1.348,30 Reichsmark versteigert. Schapires von Schmitd-Rottluff bemalten Möbel fallen 1943 einem Luftangriff im Hamburger Freihafen zum Opfer. Fast alle ihre Familienangehörigen kommen im Holocaust ums Leben.
Rosa Schapire, die als einzige ihrer Familie den Holocaust überleben wird, verdient sich im englischen Exil durch Übersetzungen und als Honorarkraft in der unweit ihrer Unterkunft gelegenen Tate Gallery einen bescheidenen Lebensunterhalt. 1953 hält sie ihren letzten Vortrag zur Ausstellung von Werken Karl Schmidt-Rottluffs in Leicester, für die sie selber auch 40 Holzschnitte aus ihrer eigenen Sammlung beigesteuert hat.
Im Alter von fast 80 Jahren erleidet die eigensinnig-unerschrockene und zeit ihres Lebens allen modischen Trends abholde Kunstförderin in der Londoner Tate Gallery einen Schlaganfall, ganz in der Nähe jener Schmidt-Rottluff-Bilder, die sie einst dem Museum überlassen hat. Den größten Teil ihrer Sammlung, darunter 600 grafische Arbeiten, erhalten deutsche Museen in Mannheim, Berlin, (Hamburg-) Altona, Hamburg und Köln, mit denen sie nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Kontakt gestanden hat. Ihre Postkartensammlung sowie die druckgraphische Arbeiten stiftet Schapire dem Tel Aviv Museum in Israel und den Leicestershire Museums Art Galleries in Großbritannien. Ihr Briefwechsel mit Franz Marc befindet sich seit 2005 im Archiv des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg.
Im August 2009 eröffnet erstmals eine Gesamtausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe über Schapire. Unter dem Titel “Rosa. Eigenartig grün. Rosa Schapire und die Expressionisten“ werden Gemälde aus ihrer Sammlung, Dokumente, Fotografien, Postkarten, Schapire-Porträts und Grafiken der ‘Brücke‘-Künstler sowie ein virtueller Blick in das von Schmidt-Rottluff ausgestattete Hamburger Schapire-Wohnzimmer präsentiert. Teil der Hamburger Ausstellung sind auch Schriftstücke aus dem Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg, aus denen hervorgeht, dass Schapire vor der “Ausreise“ aus Nazi-Deutschland sowohl das gesamte Wohnungsinventar wie auch ihr Einkommen aufzuführen hatte und dass die inventarisierten Haushaltsgegenstände versteigert wurden. Der von ihr noch aus dem Londoner Exil nach dem Krieg gestellte Wiedergutmachungsantrag, wird, trotz des Hinweises auf ihre prekäre finanzielle Situation, erst Ende der 1950er-Jahre, entschieden. Zu diesem Zeitpunkt ist Rosa Schapire, eine der zentralen Persönlichkeiten des deutschen Expressionismus, bereits seit einigen Jahren tot.
Quellen:
{ln:nw:http://de.wikipedia.org/wiki/Rosa_Schapire }
{ln:nw:http://www.taz.de/!42235/ }
{ln:nw:http://www.welt.de/print-welt/article444023/Die-Frau-die-ihrer-Zeit-weit-voraus-war.html }
Links (deutsch):
{ln:nw:https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=118606468 }
{ln:nw:http://www.monopol-magazin.de/kalender/termin/20103100/museum-fuer-kunst-und-gewerbe/Rosa-Eigenartig-gruen-Rosa-Schapire-und-die-Expressionisten.html }
{ln:nw:http://juergenhennekunstkritik.wordpress.com/2010/01/25/jurgen-henne-gestern-in-chemnitz-rosa-schapire-und-karl-schmidt-rottluff/ }
{ln:nw:http://www.initiative-literatur.de/de/schapire/schapire.php }
{ln:nw:http://schaukasten.sub.uni-hamburg.de/beckett/beckett_d/index.php?nov14.php }
{ln:nw:http://www.abendblatt.de/kultur-live/article1156649/Die-Freundin-der-Expressionisten.html }
International:
{ln:nw:http://www.dictionaryofarthistorians.org/schapirer.htm }
{ln:nw:http://jwa.org/encyclopedia/article/schapire-rosa }
{ln:nw:http://www.atelieraldente.de/beckett/beckett_e/img_300_450/11_18_1p_whg_w4.jpg }
{ln:nw:http://www.tate.org.uk/art/artworks/schmidt-rottluff-dr-rosa-schapire-n06248 }
{ln:nw:http://www.moma.org/collection_ge/browse_results.php?criteria=O:AD:E:36501|A:AR:E:3&role=3&view_all=1 }
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