Hubert Anton Räderscheidt
Maler
Geb. 11.10. 1902 in Köln
Gest. 08.03.1970 in Köln
Der Vater, selber Handelsschuldirektor, wünscht sich für seinen Sohn ebenfalls eine Beamtenlaufbahn als Lehrer. Zwischen den ihn interessierenden Fächern Mathematik und Zeichnen entscheidet sich der junge Räderscheidt nach seinem Realschulabschluss schließlich zugunsten der Kunst. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 ändert zunächst aber einmal vieles im Leben des Anton Räderscheidt: Er wird einberufen und muss sein Studium unterbrechen. In dieser Zeit entstehen allerdings auch die ersten Bilder mit konstruktivistischen Zügen.
1918 heiratet Räderscheidt die Malerin Martha Hegemann, die soeben ihr Examen als Kunst- und Sportlehrerin abgelegt hat und, genauso wie ihr Mann, fortan nur noch freischaffend tätig sein will. Die Eheleute mieten eine Wohnung mit Atelier im Haus Nummer 9 am Kölner Hildeboldplatz. 1919 schließt Räderscheidt seine Lehrerausbildung mit einem Referendariat am Kölner Realgymnasium ab und arbeitet von da ab (anders als von seinem Vater geplant und erhofft) ausschließlich als freier Künstler. Mit seinem Anschluss an die avantgardistische, rheinische Kunstszene beginnt für ihn eine kurze und turbulente Phase politischen und künstlerischen Engagements und Experimentierens. In diesem Jahr werden für Räderscheidt auch die Weichen auf dem Weg hin zum Magischen Realismus gestellt. Er schließt Bekanntschaft mit Heinrich und Angelika Hoerle, Franz Schwert, Otto Baargeld, Hans Arp und Wilhelm Fick und gründet, zusammen mit Hoerle, Seiwert und Fick, die Gruppe „stupid“, zu der auch Marta Hegemann und Angelika Hoerle gehören.
Die Gruppe trifft sich im Atelier von Anton Räderscheidt, hier werden Ausstellungen ihrer Arbeiten veranstaltet, die jeweils “mittwochs 3-7 uhr und sonntags 11-2 uhr“ gegen ein Eintrittsgeld von einer Mark besichtigt werden können. Der einzige Katalog dieser Zeit ist stupid I, der unter dem Motto “kunst ist die ausdauer der hinterbliebenen“ erscheint. Als Initiative von Hoerle wird die Holzschnittmappe „Lebendige“ veröffentlicht, die den ermordeten Sozialisten gewidmet ist und starke expressionistische und konstruktivistische Züge trägt. Räderscheidt pflegt in dieser Zeit auch und vor allem Kontakt zum Dada-Kreis um {ln:Ernst, Max ‚Max Ernst}, an dessen Seite er in der Kölner Herbstausstellung der Gesellschaft der Künste“ vertreten ist. Die im dadaistischen Bulletin d angekündigten zwei figürlichen Räderscheidt-Plastiken werden noch vor Eröffnung der Ausstellung von ihm zurückgezogen, allerdings dann dennoch in der in der Hauptausstellung präsentiert. Die Holzschnittmappe „Dramentage“ wird publiziert, und es entstehen geometrisch-figurale Bilder unter Einfluss der Italiener Giorgio de Chirico und Carlo Carrà. 1920 entstehen erste Bilder mit dem Motiv “Das Paar“. In dem kleinen Ölgemälde “Marta 2″ ist das “einsame Paar“ präfiguriert. Mit diesem Bild, das in der absoluten Reduktion der Menschendarstellung auf gesichtslose, streng geometrische Figuren den Höhepunkt von Räderscheidts konstruktivistischen Ambitionen darstellt, verabschiedet sich der Künstler von der rheinischen Kunstszene der „Progressiven“ und wendet sich der internationalen Bewegung des „Magischen Realismus“ zu. Im selben Jahr besucht der ungarische Maler und Fotograf {ln:Moholy-Nagy, Lázló ‚Lázlo Moholy-Nagy} Räderscheidt, und der Düsseldorfer Industrielle Paul Multhaupt wird zu seinem ersten Sammler.
1921 findet der Maler das Thema “Einsame Paare“. In diesem Motiv wird deutlich, was sich wie ein roter Faden durch sein Werk zieht: Jede männliche Figur ist ein maskiertes Selbstbildnis. 1922 fertigt Werner Mantz eine Serie von Fotografien Räderscheidts an. Anton Räderscheidt erstellt einen Teilabdruck seines Gesichts den er für spätere Selbstportraits nutzt. 1923 flüchtet der Schriftsteller B. Traven, der seit 1917 in München den Ziegelbrenner herausgibt, mit Räderscheidts Pass nach Mexiko. 1924 ist das Jahr einer extremen künstlerischen Selbstbesinnung und eine Phase, in der sich Räderscheidt immer mehr von der Zusammenarbeit mit den Aktivisten der rheinischen Kunstszene zurückzuzieht. Das wiederum trägt ihm Kritik ein in Hinsicht auf “zunehmende Egozentrik und Liberalisierung seines politischen und sozialen Denkens“, mit der angeblich zugleich sein Engagement nachgelassen habe. Eine der letzten gemeinsamen Aktionen Räderscheidts mit Kölner und Düsseldorfer Künstlern ist von herausragender Bedeutung im Hinblick auf die abwehrenden und aggressiven Tendenzen gegenüber der modernen und avantgardistischen Kunst, die sich zu dieser Zeit verstärkt abzuzeichnen beginnen und nicht zuletzt auch den Boden bereiten für den Nazi-Publizisten Alfred Rosenberg und seinen „Kampfbund für deutsche Kultur“ und damit der nationalsozialistischen „Entartungs“ Propaganda. Der renommierte Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe greift in seiner Besprechung der Berliner Akademie-Ausstellung in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 2. Juli 1924 die Kölner Stadtväter und den Direktor des Wallraf-Richartz-Museums, Hans F. Secker, an: Mit dem Otto Dix-Gemälde “Der Schützengraben“ sei ein Bild gekauft worden, das seiner Meinung nach „zum Kotzen“ sei. Daraufhin verfassen Räderscheidt, Arthur Kaufmann, {ln:Adler, Jankel ‚Jankel Adler}, Peter Abelen, Hoerle, Seiwert und Arntz einen Protestbrief, der im „Kunstblatt“ veröffentlicht wird und Meier-Graefe einer den Krieg verharmlosenden, wenn nicht verherrlichenden Pseudoethik und eines verhängnisvollen Ästhetizismus beschuldigt, welcher ihm ermöglichte, einerseits den offenen Bauch der Anatomie Rembrandts weiter [zu] küssen, und andererseits Otto Dix‘ realistische Sicht des Krieges als abscheulich zu empfinden. Das „Schützengrabenbild“ von Otto Dix sollte später als Paradebeispiel der Abteilung ‘Gemalte Wehrsabotage‘ in der ab 1937 von München ausgehenden Wanderausstellung Entartete Kunst vorstehen.
1925 entstehen Räderscheidts erste „Sportbilder“ sowie „Der bekleidete Mann und die hundertprozentige Frau“. Beginn der öffentlichen Anerkennung, Franz Roh weist in seinem Buch „Nachexpressionismus“ als erster auf Anton Räderscheidt hin. Räderscheidt wird als einziger Kölner zur Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ nach Mannheim eingeladen, was für ihn den überregionalen Durchbruch bedeutet. Es entsteht die „Gruppe progressiver Künstler“ um Hoerle, Seiwert, Jankl Adler, Hans Schmitz, {ln:Freundlich, Otto ‚Otto Freundlich}, {ln:Hausmann, Raoul ‚Raoul Haussmann}, Margarete und Stanislaw Kubicki, die sich mehr oder weniger regelmäßig im „Café Monopol“ treffen. 1926 reist der Maler nach Südfrankreich. Es entstehen Aquarelle und Zeichnungen. Sein neues Bildthema heißt „Maler und Modell“. Im darauffolgenden Jahr schließt Räderscheidt eine bis zum Tode 1970 anhaltende enge Freundschaft mit {ln:Davringhausen, Heinrich Maria ‚Heinrich Maria Davringhausen}, einem ebenfalls prominenten Vertreter der Neuen Sachlichkeit. 1931 pflegt Räderscheidt keinen künstlerischen und persönlichen Kontakt mehr zur “Gruppe Progressiver Künstler“. 1932 wird er (so in einem Brief an Eugen Spiro) vom Westdeutschen Beobachter in scharfer Weise angegriffen. Man bezeichnet ihn “in Zusammenhang mit meinen ehemaligen Freunden Hoerle und F.W. Seiwert als Prototyp des marxistischen Künstlers“. Heinrich Maria Davringhausen wird des “Mangels an germanistisch zuversichtlicher Gesinnung“ bezichtigt.
1933, im Jahr der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, macht Anton Räderscheidt Bekanntschaft mit den Mäzenen Rudolf Metzger und Ilse Metzger-Salberg und erwägt, Deutschland zu verlassen, verlässt aber 1934 erst einmal Köln und übersiedelt mit seiner nun neuen Lebensgefährtin, Ilse Metzger-Salberg, zunächst nach Berlin an den Motzensee. 1935 schließlich emigriert der Künstler über die Schweiz und Großbritannien nach Frankreich. Hier richtet er sich in der Pariser Rue des Plantes ein Atelier ein und trifft (den ebenfalls im Exil lebenden) Maler-Kollegen Max Ernst wieder, der sein Nachbar ist. Räderscheidt wird Mitglied der „Surindépendants“ und baut sich sein Haus “Le Patio“ in Sanary-sur-Mer, jenem idyllisch gelegenen Hafenort zwischen Marseille und Toulon, der durch die sich hier ansiedelnden deutschen Exilanten zu einem “Paradies wider Willen“ werden wird. Eine 1987 enthüllte Gedenktafel erinnert an jene deutschen und österreichischen Schriftsteller “mit ihren Angehörigen und Freunden, die auf der Flucht vor der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Sanary-sur-Mer zusammentrafen“. Neben dem Namen von {ln:Brecht, Bertolt ‚Bert Brecht} finden sich u.a. auch die von {ln:Mann, Thomas ‚Thomas}, {ln:Mann, Heinrich ‚Heinrich}, {ln:Mann, Klaus ‚Klaus} und {ln:Mann, Erika ‚Erika Mann}, {ln:Feuchtwanger, Lion ‚Lion Feuchtewanger}, {ln:Werfel, Franz ‚Franz Werfel}, {ln:Roth, Joseph ‚Joseph Roth}, {ln:Schickele, René ‚René Schickele}, {ln:Zweig, Stefan ‚Stefan Zweig}, {ln:Hessel, Franz ‚Franz Hessel}, {ln:Kesten, Hermann ‚Hermann Kesten} und {ln:Hasenclever, Walter ‚Walter Hasenclever}.
1938 wird Anton Räderscheidt zum ersten Mal interniert, und zwar für 17 Tage im Pyrenäen-Lager Les Milles. Den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erlebt die Familie in Sanary, wo man neben den Feuchtwangers lebt. Am 8. September wird Räderscheidt erneut interniert, diesmal in den „Baracken“ von Toulon, von hier aus kommt er neun Tage später wieder nach Les Milles, und wird nach zwei Tagen entlassen. Bis zum 21. Mai 1940. Im Vorfeld des Vormarsches der Hitler-Armee erfolgt seine neuerliche Deportation in die ehemalige Ziegelei unweit von Aix-en-Provence. Nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrages durch General Pétain am 22. Juni sollen die internierten Deutschen an die Nazis ausgeliefert werden. Räderscheidt, Max Ernst, Heinrich Davringhausen und {ln:Kantorowicz, Alfred ‚Alfred Kantorowicz} gelingt die Flucht. Anton Räderscheidt kann untertauchen. Nach einer Razzia 1942 durch die französische Gendarmerie, bei der Ernst Meyer, Ilse Salbergs Sohn, verhaftet und anschließend über das Lager Drancy nach Auschwitz deportiert wird, gelingt der Restfamilie die Flucht aus ihrem Versteck in Barjols (Departement Le Var ) in den französischen Seealpen. Ein Metzger aus Barjols, Lucien Coquillats, versteckt sie unter seiner Ware und bringt sie an die Schweizer Grenze. Anton Räderscheidt, Ilse Salberg, und deren Tochter Brigitte Metzger gelingt der (illegale) Grenzübertritt, sie sind gerettet. Ernst Meyer stirbt unmittelbar nach seiner Ankunft im Konzentrationslager Auschwitz.
Aber auch die Schweiz erweist sich nicht unbedingt als sicherer Zufluchtsort. 1943 wird Anton Räderscheidt auch hier interniert, nur die Fürsprache des Baseler Museumsdirektors Georg Schmidt bewahrt ihn vor der Ausweisung nach Nazi-Deutschland und verhilft ihm zu einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung als “Privatinternierter“ im Hotel Bären in Münchenbuchsee (Kanton Bern).
Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet der Maler ab 1947 auch und vor allem für Schweizer Kunstsammler, die seine “Französische Malerei“ überaus schätzen. Räderscheidt muss Geld verdienen, um die Behandlungskosten für seine schwer erkrankte Lebensgefährtin zahlen zu können. Nach dem Tod von Ilse Salberg verkauft er sein gesamtes schweizerisches ŒOeuvre an die Berner Galerie Marbach und geht mit Brigitte, Salbergs Tochter, nach Paris, wo er den Verlust seiner im Atelier hinterlassenen Bilder konstatieren muss, darunter auch Werke der Neuen Sachlichkeit. 1948 lernt Räderscheidt Gisèle Ribreau-Boucherie kennen und kehrt mit ihr, nicht zuletzt auch aufgrund zunehmender Existenzsorgen, nach Köln zurück. Es folgt ein schwieriger Neuanfang, viele Erwartungen Anton Räderscheidts werden nicht erfüllt. Das Überleben der neuen Familie wird durch Portrait-Auftragsarbeiten, Pferde- und Landschaftsbilder gesichert. Beeinflusst durch die Westdeutsche Kunstszene, dem Informell und der “Ecole de Paris“, deren Ziel die Abkehr vom Gegenständlichen ist, wagt Anton Räderscheidt 1957 den Schritt in die Abstraktion und schafft bis 1964 ein umfangreiches Werk. 1963 (das Jahr, in dem Räderscheidt und Ribreau heiraten) übersiedelt die Familie in das neue Atelierhaus in der Landsbergstrasse in Köln, vier Jahre später beginnt der Künstler eine Serie von schwarz-weiß Bildern mit der Thematik Straßenszenen und Menschenansammlungen, dazu das immer noch wiederkehrende Thema “Das Paar“. Infolge eines Schlaganfalls im Jahre 1967 muss der Maler das Sehen mühsam wieder erlernen. In seiner letzten Lebens- und Schaffensphase entsteht die Serie “Selbstportraits“ sowie Handstudien und stark expressive Temperabilder.
Der im Alter von 67 Jahren verstorbene Künstler wird auf dem Kölner Melaten-Friedhof beigesetzt. Im August 2010 wird die Grabstätte Anton Räderscheidts versehentlich eingeebnet, die Urne kann allerdings noch geborgen und umgebettet werden.
Quelle(n):
{ln:nw:http://raederscheidt.com/Entrance.html }
{ln:nw:http://de.wikipedia.org/wiki/Anton_R%C3%A4derscheidt }
{ln:nw:http://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Hessel#/media/File:Gedenktafel_f%C3%BCr_die_deutschen_u._%C3%B6sterreichischen_Fl%C3%BCchtline_am_Fremdenverkehrsb%C3%BCro_in_Sanary-sur-Mer1.JPG }
Links (deutsch):
{ln:nw:http://www.raederscheidt.com/Entrance.html }
{ln:nw:https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=11874352X }
{ln:nw:http://de.calameo.com/read/0010622377288976fee85 }
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International:
{ln:nw:http://prisons-cherche-midi-mauzac.com/des-hommes/anton-raderscheidt-un-peintre-allemand-a-lepreuve-des-camps-9333 }
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