György Sándor Ligeti (Georg Alexander Ligeti)
Komponist
Geb. 28.05. 1923 in Târnăveni (Siebenbürgen)/ Rumänien
Gest. 12.06. 2006 in Wien/ Österreich
“Die Haare stehen György Ligeti zu Berge, weil er immer zwei Finger in der Steckdose hat, wenn er über Musik spricht. Er ist ein Energiebündel, ein Blitzdenker, ein Ideenirrwisch, unermüdlich in seiner Lust am Entdecken, Reflektieren und Diskutieren.“ *)
Er ist der Sohn einer Augenärztin und eines Nationalökonomen. Die Familie des Vaters heißt ursprünglich Auer (auch der berühmte Geiger Leopold Auer gehört der Familie an), magyarisiert jedoch um die Jahrhundertwende (als Siebenbürgen noch zu Ungarn gehört), einer Assimilierungstendenz folgend, ihren Namen von Auer zu Ligeti. Die Ligetis sind zwar jüdischer Herkunft, jedoch nicht religiös. Györgys Vater, im Ersten Weltkrieg hoch dekoriert und zum Leutnant befördert, wird im April 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet, sein jüngerer Bruder Gábor im März 1945 im KZ Mauthausen, die Mutter überlebt das Grauen von Auschwitz-Birkenau.
Im heute rumänischen Cluj (“Klausenburg“) besucht György zunächst die ungarische Volksschule und anschließend ein rumänisches Gymnasium. Seine Eltern lassen ihn ab 1936 am Klavierunterricht teilnehmen, und schon nach einem Jahr versucht er sich an ersten symphonischen Kompositionen. Der Abiturient des Jahrgangs 1941 will eigentlich Physik und Mathematik studieren, wird aber aufgrund seiner jüdischen Herkunft abgewiesen. Daraufhin beginnt Ligeti eine musikalische Ausbildung bei Sándor Veress, Pál Járdányi, Lajos Bárdos und Ferenc Farkas in Musiktheorie und Orgel am Konservatorium von Cluj, das durch den Zweiten Wiener Schiedsspruch von 1940 inzwischen wieder zu Ungarn gehört. Er setzt sein Studium später in Budapest fort, musste es aber unterbrechen, da er 1944 zum Arbeitsdienst in die ungarische Armee einberufen wird. Ligeti gerät in sowjetische Gefangenschaft, aus der er während eines Bombenangriffs auf das Lager allerdings fliehen kann.
Nach dem Krieg nimmt György Sándor Ligeti seine zuvor unterbrochenen Studien wieder auf, beendet die Ausbildung 1949, arbeitet danach ein Jahr lang als Musikethnologe über rumänische Volksmusik und kehrt später an seine ehemalige Schule in Budapest zurück, diesmal als Lehrer für Harmonielehre, Kontrapunkt und Musikanalyse. In diesen Jahren schränkt die kommunistische Partei die Kommunikation zwischen Ungarn und dem Westen ein, was zur Folge hat, dass Ligeti die aktuellen musikalischen Entwicklungen nur durch verrauschte (gestörte) westliche Radiosendungen verfolgen kann. Nach Ende des Volksaufstands in Ungarn flieht der Komponist im Dezember 1956, gemeinsam mit Veronika Spitz, seiner späteren Frau, nach Wien, wo er kurz darauf den österreichischen Musikforscher, Kritiker und Philosophen Harald Kaufmann kennenlernt, mit dem er zusammen im Januar 1959 in Graz an der Endfassung für den Aufsatz “Wandlungen der musikalischen Form“ arbeitet, einer Kritik an der Entwicklung der seriellen Musik, die 1960 in der Nummer 7 der Zeitschrift “die reihe“ veröffentlicht wird.
Der nunmehr österreichische Staatsbürger György Ligeti arbeitet 1957/ 58 im Studio für elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks in Köln und trifft in der Rheinmetropole so bedeutende Vertreter der musikalischen Avantgarde wie die Komponisten Karlheinz Stockhausen und Gottfried Michael Koenig, damals Pioniere elektronischer Musik. Die neuen technischen Möglichkeiten inspirieren Ligeti, dessen späterer Schaffensschwerpunkt zwar auf der Instrumental- und Vokalmusik liegt, und dennoch zeitlebens von den Strukturen der elektronischen Musik beeinflusst wird, wie der Musiker 1970 in seinem Aufsatz “Auswirkungen der elektronischen Musik auf mein kompositorisches Schaffen“ bekennt.
Von 1969 bis 1972 lebt György Sándor Ligeti in Berlin, ist 1969/ 70 Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und gehört ab 1972 bis zu seinem Austritt zwanzig Jahre später der West-Berliner Akademie der Künste an. 1972 hält er sich als Composer in Residence an der Stanford University im US-amerikanischen Kalifornien auf, schreibt das Orchesterwerk “San Francisco Polyphony“ (1973/ 74) und hat in den Jahren 1973 bis 1989 eine Professur für Komposition an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg inne. Auf Einladung von Walter Fink ist er 1990 der erste Komponist im jährlichen Komponistenporträt des “Rheingau Musik Festivals“.
György Sándor Ligeti, einer der bedeutenden Komponisten des 20. Jahrhunderts, Repräsentant der Neuen Musik, polyglotter Kosmopolit und ausgezeichnet mit zahlreichen nationalen wie internationalen Preisen, verbringt die letzten Lebensjahre in Wien, wo er im Alter von 83 Jahren stirbt. Nach der Einäscherung wird seine Urne in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt (wie u.a. auch die sterblichen Reste von {ln:Matejka, Viktor ‚Viktor Matejka}, Historiker, Dachau-Überlebender und erster Wiener Kulturstadtrat nach 1945).
Ligetis früheste Werke sind Erweiterungen der musikalischen Sprache seines Landsmanns {ln:Bartók, Béla ‚Béla Bartók}. Die von der ungarischen Folklore beeinflussten Klavierstücke “Musica Ricercata“ (1951-1953) sind Bartók gewidmet. Bereits in diesem frühen Stadium seiner Karriere leidet sein kompositorisches Schaffen unter der Drangsal der kommunistischen Partei Ungarns, die das zehnte Stück der “Musica Ricercata“ wegen angeblicher Dekadenz von den Behörden verbieten lässt.
Die 1974–77 entstandene Oper Le Grand Macabre nach Michel de Ghelderode, einem der Protagonisten des absurden Theaters, zeigt dann eine stark veränderte Klangsprache Ligetis, die weniger auf die Gestaltung des Gesamtklanges angelegt ist, sondern wieder traditionelle Formen ins Spiel bringt. In den Achtzigerjahren erweitert er sein stilistisches Spektrum wiederum. Seine Études für Soloklavier (1985-2001) beschäftigen sich mit komplexen rhythmischen Verwicklungen und werden u. a. durch die Studies für Player-Piano von Conlon Nancarrow (dessen Musik er in Europa bekannt gemacht hat) und die afrikanische Musik südlich der Sahara inspiriert. Auch exotischen Tonsystemen sowie der mikrotonalen Erweiterung des traditionellen Tonsystems durch Harry Partch gilt in Ligetis späteren Schaffensphase seine besondere Aufmerksamkeit. Die “Passacaglia ungherese“ (1978) benutzt die speziellen reinen Terzen der mitteltönigen Stimmung. Ebenso spielt das Horn im Trio für Violine, Horn und Klavier (1982) vielfach naturreine Intervalle. Auch die Sonate für Viola solo (1991–94) verwendet im ersten Satz eine naturreine Skala. Zu seinen größeren Werken, die diese Denkweise integrieren, zählen drei Instrumentalkonzerte: das Konzert für Klavier und Orchester (1985–88), das Konzert für Violine und Orchester (1990–92) sowie als letztes das Hamburgische Konzert (1998–2003) für Horn Solo und Kammerorchester.
“Ligetis Erfindung der „Klangflächenkomposition“ entwickelte sich aus der intensiven Beschäftigung mit Serieller Musik: Sein Verzicht auf Intervallprägnanz, rhythmisches Profil und durchhörbare Zeichnung führte zwangsläufig zur totalen Autonomie des Klanges, für den nur noch Farbe, Dichte, Volumen und Binnenstruktur prägend sind. Selbständig geführte Stimmen verschmelzen zur so genannten „Mikropolyphonie“, das Ergebnis ist ein faszinierendes Fließen einer scheinbar oft statisch wirkenden Klangfläche.“ (Hier zitiert aus: nmz, Ausgabe: 5/2003 – 52. Jahrgang/ {ln:nw:http://www.nmz.de/artikel/gyoergy-ligeti-80/}). Realisiert hat er dies auch und vor allem in seinen elektronischen Kompositionen wie “Glissandi“ (1957) und “Artikulation“ (1958). Mit “Apparitions für Orchester“ (1958/ 59) gelingt ihm ein Aufmerksamkeitseffekt. Den tatsächlichen Durchbruch erreicht Ligeti dann schließlich mit seinem Orchesterstück “Atmosphères“, geschrieben für großes Orchester und 1961 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt, wo es ein so großer Publikumserfolg wird, dass es wiederholt werden muss. Gewidmet ist das Stück dem im Alter von 55 Jahren infolge eines Autounfalls im südafrikanischen Krüger Nationalpark ums Leben gekommenen Jazz-Komponisten {ln:Seiber, Mátyás György ‚Mátyás György Seiber}, der ihm einstmals bei seiner Flucht aus Ungarn geholfen hat. Einer weltweiten Öffentlichkeit bekannt wird “Atmosphères“ nicht zuletzt durch die Verwendung in Stanley Kubricks Science-Fiction-Klassiker “2001: Odyssee im Weltraum“. Auch in seinen späteren Filmen “Shining“ und “Eyes Wide Shut“ greift Kubrick auf Kompositionen Ligetis zurück.
Quellen:
*) Das Eingangszitat wurde der folgenden Quelle entnommen: Claus Spahn: “Strubbelkopf im Wunderland“ /(c) DIE ZEIT 28.05.2003 Nr.23/ {ln:nw:http://www.zeit.de/2003/23/Ligeti/komplettansicht }
{ln:nw:https://de.wikipedia.org/wiki/Gy%C3%B6rgy_Ligeti }
{ln:nw:http://www.nmz.de/artikel/gyoergy-ligeti-80 }
Links (deutsch):
{ln:nw:https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=118572911 }
{ln:nw:https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/entity/118572911 }
{ln:nw:http://www.musikbibliographie.de/DB=1.86/SET=23/TTL=1/COLMODE=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=Gy%C3%B6rgy+Ligeti&COOKIE=U999,K999,D1.86,E3a6c6f13-42,I0,B9994++++++,SY,A,H1-90,NGAST,R193.174.240.247,FN }
{ln:nw:http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/musik-komponist-gyoergy-ligeti-gestorben-1355865.html }
{ln:nw:http://www.welt.de/print-welt/article436785/Ligeti-im-Streit-mit-Kubrick.html }
{ln:nw:http://www.mediathek.at/trefferliste/ }
{ln:nw:http://www.ndr.de/info/sendungen/zeitzeichen/Der-Avantgarde-Komponist,sendung512680.html }
{ln:nw:https://www.youtube.com/watch?v=wawSCvuGj4o }
{ln:nw:https://www.youtube.com/watch?v=l2OQbA3r78M }
{ln:nw:https://www.youtube.com/watch?v=-iVYu5lyX5M }
{ln:nw:https://www.youtube.com/watch?v=vmCmrZfybPQ}
{ln:nw:https://www.youtube.com/watch?v=b7sJwiZhdvw }
International:
{ln:nw:http://www.gyorgy-ligeti.com/ }
{ln:nw:http://www.ubu.com/film/ligeti_follin.html }
{ln:nw:https://www.theguardian.com/music/tomserviceblog/2012/aug/27/gyorgy-ligeti-contemporary-music-guide }
{ln:nw:https://pascalvdl.wordpress.com/2013/02/18/stanley-kubrick-and-gyorgy-ligeti/ }
{ln:nw:https://pascalvdl.wordpress.com/2013/02/18/stanley-kubrick-and-gyorgy-ligeti/ }
Die Kommentare sind deaktiviert.