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Wagner, Martin

H.A.M. 0

Martin Wagner

Stadtplaner und Architekt

Geb. 05.11. 1885 in Königsberg (Ostpreußen)

Gest. 28.05. 1957 in Cambridge (Massachusetts)/ USA

 

In den Jahren 1905 bis 1910 studiert er Architektur, Städtebau und Volkswirtschaft an der Technischen Hochschule (Berlin-) Charlottenburg und in Dresden, arbeitet anschließend im Büro von Hermann Muthesius als Zeichner und tritt zum 1. Oktober 1911 seine Stelle als erster Leiter des Hochbauamtes der gerade neu gebildeten Stadt Rüstringen an, einen Posten, den Wagner bis zum 1. Juni 1914 innehat.

 

Während dieser noch nicht einmal drei Jahre dauernden Tätigkeit beeinflusst er die Entwicklung der beiden Jadestädte Rüstringen und Wilhelmshaven in vielfältiger Hinsicht. Gegen die vorgefundenen städtebaulichen Negativpunkte wie ein fehlendes Zentrum und eine zersplitterte Besiedlung entwickelt Wagner ein Konzept, das bereits auf die spätere Zusammenlegung der beiden Jadestädte hinzielt. Wagners architektonisches Schaffen würde man unter modernen Gesichtspunkten wahrscheinlich als “sozialen Wohnungsbau“ klassifizieren:  Auch und vor allem gegen die herrschende Wohnungsnot der schnell wachsenden Stadt Rüstringen entwirft er 1912 die Achthäusergruppe, eine mit öffentlichen Geldern geförderte Reihenhausbebauung für kinderreiche Familien.  Ebenfalls auf Wagners Initiative zurück geht ab 1912 der Bau sogenannter Erwerbshäuser auf kommunalem Grund, die nach der Fertigstellung verkauft werden. Im gleichen Jahr führt er eine kommunale Bauberatung mit dem Ziel ein, die “Gestaltung der Städte nicht der Willkür und dem persönlichen Zufall“ zu überlassen. 1913 erlässt er eine Zonenbauordnung, die zur “Bekämpfung der Hässlichkeit der neueren Stadterweiterung“ dienen soll. Im Mai 1913 lobt die Stadt Rüstringen einen Wettbewerb für den Bau eines neuen Rüstringer Rathauses aus, der von Martin Wagner vorgelegte Entwurf wird dann allerdings  mit Beginn des Ersten Weltkrieges nicht mehr weiterverfolgt.

 

Im Juni des Kriegsjahres 1914 verlässt Wagner seine erste bedeutende Wirkungsstätte und übersiedelt nach Berlin. Im darauffolgenden Jahr legt er seine Dissertation über “Das sanitäre Grün der Städte, ein Beitrag zur Freiflächentheorie“ vor und wird 1918 Stadtbaurat in Schöneberg, damals noch eine eigenständige Gemeinde und erst ab 1920 ein Bezirk von Groß-Berlin. Gemeinsam mit Heinrich Lassen konzipiert Martin Wagner die Siedlung “Lindenhof I“, für die {ln:Taut, Bruno ‚Bruno Taut} ein Ledigenwohnheim konzipiert, das allerdings nach seiner Beschädigung im Zweiten Weltkrieg abgerissen wird.

 

1920 gründet der umtriebige Architekt und Stadtplaner, gemeinsam mit August Ellinger, den “Verband sozialer Baubetriebe“ (VsB), dessen Leitung er bis 1925 innehat. Im VsB organisieren sich damals Bauhütten, zumeist gewerkschaftsnahe, dem städtebaulichen Ideal der Gartenstadt und der sozialen Idee der Zunft verpflichtete Zusammenschlüsse von bauwilligen Arbeitern oder Angestellten. Die Zielsetzung der hier zusammengeschlossenen Vereinigungen unterscheidet sich von jener anderer Baugenossenschaften durch die stärker im Vordergrund stehende Forderung nach Gemeinnützigkeit. Zweck der Bauhütte sei, so heißt es in der Zeitschrift “Soziale Bauwirtschaft“, dem Organ des VsB, “nicht die Förderung des Erwerbes ihrer Mitglieder, sondern schlichtweg Dienst am Allgemeinwohl.“

 

1924 gründete der “Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund“ (ADGB) eine Zentraleinrichtung zur Förderung gewerkschaftlicher Unternehmen die (REWOG, später DEWOG), deren Leitung Wagner übernimmt. Über Filialorganisationen koordiniert die DEWOG fortan die gesamte gemeinnützige Bauwirtschaft im Deutschen Reich. Auch die Berliner Tochtergesellschaft GEHAG untersteht zwischen 1924 und 1926 Martin Wagners Leitung. Gemeinsam mit Bruno Taut entwirft er von 1924-1926 die “Hufeisensiedlung“ (seit 2008 Weltkulturerbe) in Berlin-Britz (Wohnzeile “Rote Mauer“). Erstmals werden bei dieser Großsiedlung Wagners Vorstellungen einer Typisierung, Normierung und Rationalisierung im Wohnungsbau umgesetzt, ohne dass sich jedoch die tatsächlichen Entstehungskosten senken lassen.

 

Im Jahre 1926 wechselt Martin Wagner als Stadtbaurat in die zentrale Baubehörde Berlins. Das Stadtplanungsamt kann unter seiner Leitung, in enger Zusammenarbeit mit der GEHAG und mit Hilfe der von ihm seit 1916 geforderten und 1924 eingeführten Hauszinssteuer, ein umfangreiches Wohnungsbauprogramm – insbesondere in Großsiedlungen – umsetzen. Für diese Bauprogramme werden namhafte Architekten wie {ln:Rohe, Ludwig Mies van der ‚Ludwig Mies van der Rohe}, {ln:Gropius, Walter ‚Walter Gropius}, Hans Scharoun oder Hugo Häring herangezogen. Wagner selbst beschäftigt sich nach eigenem Zeugnis eingehend  mit der Neugestaltung des Stadtzentrums von Groß-Berlin mit dem Ziel,  die Reichshauptstadt als “Weltstadt“, zu einer “Stätte glücklicher Arbeit und glücklicher Muße“ zu machen, wie es 1929 in der von Wagner und Adolf Behne redigierten Zeitschrift “Das neue Berlin“ heißt. Nicht zuletzt Projekte wie der Ausbau der U-Bahn (ab 1926), die Planung für den Platz der Republik (1927) vor dem Reichstagsgebäude, der Umbau des Alexanderplatzes (ab 1929), die Konzeption für das Messegelände in Charlottenburg (1927-1930, mit Hans Poelzig), für das Strandbad Wannsee (1928-1930, mit Richard Ermisch) und für das Strandbad Müggelsee (1929-1930) gehen maßgeblich auf Wagner zurück.

 

Nach dem Zusammenbruch der Bauindustrie 1931 und einem Besuch in der Sowjetunion entwickelte Wagner planwirtschaftliche Ansätze für die Großstadt Berlin, die jedoch nicht mehr zum Tragen kommen. Die Berliner Bauausstellung 1931 und die Ausstellung “Sonne, Luft und Haus für alle“ (1932), bei dem Vorschläge für ein “wachsendes Haus der Zukunft“ zusammengetragen werden, sind die letzten wichtigen Aktivitäten des Stadtbaurats Martin Wagner.

 

Kurz nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten verlässt er im Februar 1933  die Berliner Akademie der Künste als Ausdruck seines Protestes gegen den Ausschluss von {ln:Kollwitz, Käthe ‚Käthe Kollwitz} und {ln:Mann, Heinrich ‚Heinrich Mann}. Das langjährige SPD-Mitglied gerät politisch und vor allem als  Vertreter des Neuen Bauens in immer deutlichere Opposition zu den nationalsozialistischen Machthabern. Und die reagieren dann auch recht bald: Im März 1933 wird er, zusammen mit den sozialdemokratischen Mitgliedern des Magistrats, als Stadtbaurat “beurlaubt“.

 

1935 erhält der bis dahin weitgehend arbeitslose Wagner auf eine Empfehlung Poelzigs eine Berufung zum städtebaulichen Berater der Stadt Istanbul. Wie Martin Wagner sind auch zahlreiche andere Künstler, Intellektuelle und Wissenschaftler im türkischen Exil, unter ihnen der spätere Regierende Bürgermeister von Berlin, {ln:Reuter, Ernst ‚Ernst Reuter}, der Literaturwissenschaftler {ln:Auerbach, Erich ‚Erich Auerbach}, der Geiger {ln:Amar, Licco ‚Licco Amar}, der Bildhauer {ln:Belling, Rudolf Edwin ‚Rudolf Belling}, die Informatikerin {ln:Laqueur, Marianne ‚Marianne Laqueur},  der Indologe {ln:Ruben, Walter ‚Walter Ruben} sowie Wagners Architekten-Kollegen  {ln:Schütte-Lihotzky Margarete ‚Margarete Schütte-Lihotzky} und {ln:Oelsner, Gustav ‚Gustav Oelsner}.

 

In der Metropole am Bosporus erarbeitet er in der Folgezeit eine Reihe städtebaulicher Gutachten und einen General-Entwicklungsplan für die Stadt, gestaltet im Sommer 1937  (vermutlich mit Bruno Taut, der ebenfalls als Exilant in der Türkei lebt) eine Ausstellung über die Errungenschaften der Regierung Atatürk. 1938 reist Martin Wagner in die USA aus, wo er bis zu seiner Emeritierung 1950 eine Professur für Städtebau und Landesplanung an der Harvard University in Cambridge innehat. In den Vereinigten Staaten entwickelt er 1940/ 41 das “M-W-System“, ein vorgefertigtes Wohnsystem aus Kuppelhäusern und konzipiert 1945, das Jahr, in dem er auch zum Mitglied der “American Academy of Arts and Sciences“ gewählt wird, von aus “Nachbarschaften“ (neighborhoods) mit je 5000 Einwohnern zusammengesetzten “New Towns“ (1945).

 

1952 kehrt der mittlerweile US-amerikanische Staatsbürger noch einmal nach Deutschland zurück und bereist die Wiederaufbaustädte Dortmund, Essen, Bonn, Köln, Hannover, Hamburg, Frankfurt, Darmstadt, Frankfurt am Main, Stuttgart, Freiburg und Tübingen. Die Enttäuschung über den aus seiner Sicht verfehlten Städte- und Wohnungsbau in der Bundesrepublik entlädt sich kurz vor Wagners Tod 1957 in seiner Streitschrift “Potemkin in Westberlin“, in der er die Planung für das Hansaviertel in Berlin als zu teuer und nicht den aktuellen sozialen Bedürfnissen entsprechend kritisiert.

 

Quelle:

{ln:nw:https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Wagner_(Architekt) }

 

Links (deutsch):

{ln:nw:http://www.adk.de/de/archiv/archivbestand/baukunst/index.htm?hg=bau&we_objectID=667&ugroup=1&seachfor=Wagner }

{ln:nw:https://de.qantara.de/inhalt/deutsche-juden-im-turkischen-exil-unsere-kindheit-war-eigentlich-vollig-normal }

{ln:nw:http://kg.ikb.kit.edu/arch-exil/482.php }

{ln:nw:http://www.hufeisensiedlung.info/geschichte/biographien/martin-wagner-1885-1957.html }

{ln:nw:https://www.berlin.de/sehenswuerdigkeiten/3560991-3558930-hufeisensiedlung-britz.html }

http://www.zeit.de/1985/45/die-gebaute-revolution/seite-2 }

{ln:nw:http://www.deutscherwerkbund-nw.de/index.php?id=317 }

{ln:nw:http://www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm0307/030721.htm }

{ln:nw:https://www.hkw.de/de/media/publikationen/2015_1/2015_publikation_das_wachsende_haus_1.php }

film{ln:nw:http://architekturvideo.de/zu-gast-bei-martin-wagner-berliner-genossenschaftswohnung-der-20er-jahre-als-ferienwohnung/ }

{ln:nw:http://kuenste-im-exil.de/KIE/Content/DE/Objekte/wagner-brief-may-1938.html?single=1 }

{ln:nw:http://www.wiederstein-architekt.de/megacity/exil-wagner.htm }

 

International:

{ln:nw:https://en.wikipedia.org/wiki/Martin_Wagner_(architect) }

{ln:nw:https://fra.archinform.net/arch/1500.htm }

{ln:nw:http://www.transatlanticperspectives.org/entry.php?rec=23 }

{ln:nw:https://multipliciudades.org/2016/03/23/martin-wagner-and-the-politics-of-capitalist-urbanization/ }

{ln:nw:http://www.ghi-dc.org/fileadmin/user_upload/GHI_Washington/Publications/Supplements/Supplement_2/29.pdf }

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