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Hillesum, Etty

H.A.M. 0

Etty Hillesum
Schriftstellerin


Geb. 15.1.1914 in Middelburg/NL
Gest. 30.11.1943 im KZ Ausschwitz


„Ich möchte lange leben, um es später doch noch einmal erklären zu können, und wenn mir das nicht vergönnt ist, nun, dann wird ein anderer mein Leben von dort an weiterleben, wo das meine unterbrochen wurde.“


Das schrieb Etty Hillesum in ihrem Tagebuch am 3. Juli 1942, am selben Tag als die deutschen Besatzer die systematische Vernichtung der Juden in Holland anfingen. Geboren wurde sie 1914 als Tochter von Louis Hillesum aus Amsterdam und Riva Bernstein, geboren in Russland. Die jüdische Holländerin studierte in Amsterdam Jura und anschließend Slawistik. Mit 27 Jahren beginnt Etty Tagebuch zu führen. Sie tut das auf Drängen von Julius Spier, einem Schüler Jungs und angesehenem Psychologen. 1938 war er aus Berlin geflüchtet und hatte in Amsterdam eine Praxis eröffnet. Mit seiner Hilfe durchlebte Etty ab März 1941 einen schnellen Weg zur Innenschau, Wesentlichkeit und Mitmenschlichkeit.


Im Anfang haben dieseTagebücher noch etwas von einem pubertären Mädchenheft, doch allmählich wird aus dem Mädchen eine junge Frau, die klar und deutlich zu beschreiben weiß, was sie geistig und körperlich an sich erlebt. Dadurch haben diese Tagebücher eine mitreißende Anziehungskraft.
Etty Hillesum war hochbegabt, hatte journalistische und schriftstellerische Ambitionen. Sie beschreibt sowohl den Trümmerhaufen, den sie aus ihrem Leben macht wie auch ihre fanatische Suche nach dem Wesentlichen und dem Wichtigen. Aus ihren Tagebüchern tritt eine leidenschaftliche Frau hervor, die mit einem Mann wie verheiratet in Amsterdam lebte und zur gleichen Zeit erotische Beziehungen mit anderen Männern und Frauen hatte.


Weiter schreibt sie am 3-Juli 1942: „Es geht um unseren Untergang und unsere Vernichtung, darüber sollte man sich keinerlei Illusionen mehr machen“. Doch dann schreibt sie weiter: „Leben und Sterben, Leid und Freude, die Blasen an meinen wund gelaufenen Füssen und der Jasmin hinterm Haus,Verfolgungen, die zahllosen Grausamkeiten, all das ist in mir wie ein einziges starkes Ganzes, und ich nehme alles als ein Ganzes hin…. Ich finde das Leben sinnvoll, trotzdem sinnvoll.“ Weil sie selber, ihre Seele, ihr Gott, in der Mitte dieses Ganzes steht wie das stille Zentrum eines Orkans. Was man töten kann ist die Außenseite, „das Wesentliche kann weder angetastet noch entkräftet werden.“


Wie alle Juden in Holland musste auch Etty Hillesum sich im Juni 1943 im Durchgangslager Westerbork melden. Im September 1942 war Julius Spier an Krebs gestorben. Ein Monat später schreibt sie in ihrem Tagebuch: „Man möchte ein Pflaster auf vielen Wunden sein“. Es ist auch der letzte Eintrag in dem Tagebuch, den wir kennen. Sie wollte nicht untertauchen, weil sie realisierte, dass an ihrer Stelle andere deportiert werden sollten. Sie wollte keine Ausnahme sein, das Schicksal teilen.

In Westerbork traf sie bald auch ihre Eltern und den jüngsten Bruder, ein genialer Pianist. Jede Woche wurden aus Westerbork 1500 bis 2000 Juden in den Osten abtransportiert, 98 Mal. Aus Westerbork schreibt Etty noch mehr als hundert Briefe; zwei davon sind schon im Oktober 1943 illegal gedruckt als „Briefe aus Westerbork“. Da ist Etty schon in Auschwitz. Dort stirbt sie Ende November 1943.


Ihre Tagebücher, 1. Auflage erst 1981, enthalten viele Appelle gegen Rassismus und Fremdenhass, obwohl es wirklich nicht einfach ist, wie sie selber auch schrieb. So notiert sie schon früh: „Das größte Problem unserer Zeit ist der große Hass gegen die Deutschen. Der vergiftet das eigene Gemüt. Sollen sie doch alle ersaufen, sagt man, vergasen soll man sie, solche Äußerungen gehören zur täglichen Konversation und geben manchmal das Gefühl, dass es nicht mehr möglich ist in dieser Zeit zu leben. Und doch: sollte es nur noch einen einzigen anständigen Deutschen geben, dann wäre dieser es wert, in Schutz genommen zu werden gegen die ganze barbarische Horde, und um dieses einen anständigen Deutschen willen dürfe man seinen Hass nicht über ein ganzes Volk ausgießen. Das heißt nicht, das man gegenüber gewissen Strömungen gleichgültig ist, man nimmt Stellung, entrüstet sich zu gegebener Zeit über gewisse Dinge, man versucht Einsicht zu gewinnen, aber nicht dieser undifferenzierte Hass. Hass ist eine Krankheit der Seele… und sollte ich in dieser Zeit dahin gelangen dass ich wirklich zu hassen anfange, dann wäre ich in meiner Seele verwundet und müsste so rasch wie möglich Genesung finden…..“


Und später schreibt sie: „…die Umstände sind nicht entscheidend, niemals, da es immer Umstände gibt, gute oder schlechte,(…) damit muss man sich abfinden, was nicht hindert, dass man sein Leben für die Verbesserung der Umstände einsetzt, aber man muss sich im Klaren darüber sein, aus welchen Motiven man den Kampf aufnimmt, und man muss bei sich selbst anfangen, jeden Tag von neuem bei sich selbst.“


Literatur:

Das denkende Herz – Die Tagebücher von Etty Hillesum 1941-1943
RoRoRo 15575, ISBN 3499155753


Autor:

Frits Crimmelikhuizen


Quelle:

Wir Frauen, 22. Jahrgang, Winter 4/2003, S. 26


Links (deutsch):

http://www.uni-dienste.de/rebekka/etty.htm


International:

http://www.amerigo.nl/biografie/hillesum/hillesum.html

http://www.fmh.org.ar/revista/17/testim.htm

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