Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Keilson, Hans

H.A.M. 0

Hans Keilson
Arzt und Schriftsteller


Geb. 1909 in Freienwalde/ Oder

Gest. am 31.05.2011 in Hilversum/ Niederlande


Hans Keilson„um die geheimnisse
des konjunktivs
die zeit der bunten bälle
mühte ich mich vergebens
an den grachten die neuen
freunde grüßend und sie nennen mich
mijnheer“

(Hans Keilson: Sprachwurzellos, 1963)


„Wir sind die Letzten – fragt uns aus!“ lautet die Empfehlung von Hans Sahl in seinem berühmten Gedicht von 1973. Hans Keilson ist heute in vielerlei Hinsicht einer der Letzten: Er ist der letzte jüdische Autor, der im alten S. Fischer-Verlag debüttiert, mit seinem Roman „Das Leben geht weiter“, der Geschichte eines kleinen Einzelhandeslkaufmanns in den Wirren der Weltwirtschaftskrise. Auslieferungsdatum: Februar 1933. Der Sohn eines Textilhändlers studiert beginnt 1928 in Berlin an der damaligen Friedrich-Wilhelms-(heute Humboldt-)Universität sein Medizinstudium und ist einer der letzten Juden, die im Januar 1934 noch ihr ärztliches Staatsexamen ablegen können. Und er ist tatsächlich der letzte noch lebende des literarischen Exils in den Niederlanden um Joseph Roth, Irmgard Keun, Klaus Mann, Egon Erwin Kisch, Anna Seghers, Ernst Toller, Vicky Baum und Ödon von Horvath.

Nachdem 1934 ein Publikationsverbot über ihn verhängt und ihm die Ausübung seines medizinischen Berufes verboten wird, arbeitet Hans Keilson zunächst als Sportlehrer und Erzieher an Schulen der jüdischen Gemeinde in Berlin und im Landschulheim in Caputh. 1936 emigriert er mit seiner Frau Gertrud in die Niederlande, wo er sich zuerst als freier Kinderarzt durchschlägt und, nach dem deutschen Überfall auf die Niederlande im Mai 1940, in den Untergrund geht und dort unter Einsatz seines Lebens für den holländischen Widerstand als Kurier, Arzt und Therapeut arbeitet.


„Haben die Himmlischen nicht jedem Schicksal,
das sie zum Dienst erwählt, da sie es lieben,
ein anderes Geschick freundlich gesellt,
dass es in Liebe seine Kräfte rege?
Was abgerungen wurde, Zoll um Zoll,
Wolke um Wolke dem Unendlichen,
vermählen sie bezwungen der Umarmung
der Liebenden und ändern ihre Kreise.
So beugt ein Los des anderen Gesetz
sich zu und fängt mit Armen, stark von Liebe,
an seiner Brust, was finster für den anderen
vom Himmel schwebt, und endet seinen Traum.“

aus: Hans Keilson „Einer Träumenden“ Poem, geschrieben Juli/ August 1943 untergetaucht in „Rekken’schen Inrichtungen“ Eibergen (Niederlande) in limitierter Auflage 1992 erschienen als Freundschaftsausgabe der ELS für Hans Keilson, bei EDITION LITERRISCHER SALON Gideon Schüler, Giessen, 1. Auflage, ISBN 3-925740-09-0, S. 15


Hans Keilson – dessen Eltern deportiert und ermordet werden – überlebt den Nationalsozialismus. Seine Erfahrungen als Untergetauchter verarbeitet der Schriftsteller und Arzt in der Novelle Komödie in Moll, die 1947 erscheint.

Nach dem Krieg veröffentlich Hans Keilson mehrere literarische Werke über die Erfahrung der Verfolgung (Komödie in Moll, Erzählung 1947; Der Tod des Widersachers, Roman 1959) und begründete mit anderen Überlebenden die Hilfsorganisation Le Ezrat Ha Jeled (Zur Hilfe des Kindes) für die Betreuung jüdischer Waisenkinder, Hinterbliebene des Holocaust. Aus dieser therapeutischen Arbeit, auch an der kinderpsychia-trischen Universitätsklinik in Amsterdam, geht als wissenschaf-tliches Hauptwerk eine psychologische Studie über die Sequentielle Traumatisierung bei Kindern (1979) hervor.


„Ich habe als Arzt und als Psychiater meine erste Erfahrung mit einem Kind, das aus Bergen-Belsen zurückkam, wo es seine Eltern und vier Geschwister verloren hat, diesen Jungen, ich hab‘ ihn genau beschrieben in meiner Untersuchung. Das war im November 1945, daß ich dieses Kind sah, einen Jungen von zwölf Jahren, schon also sehr früh, als es zurückkam. Das Gespräch, diese Untersuchung, ist völlig zusammengebrochen, weil ich die Worte nicht fand, die gemäß waren der Sprache, die der Junge im Konzentrations- und Vernichtungslager erfahren hatte…“

(Dr. Hans Keilson in einem Interview mit Ulrike Müller am 8.4.1995)

volume_up.gifKlicken Sie bitte hier, um diesen O-Ton (als MP3-Datei) in ganzer Länge anzuhören
© Ulrike Müller


Laut Keilson wird ein Trauma dabei nicht länger als einzelnes Ereignis, vielmehr als Abfolge traumatischer Sequenzen unterschiedlichen Charakters und Bedeutung interpretiert. Dabei ist für die individuellen Folgen nicht nur entscheidend, was intinial erlebt wurde, sondern was auf das traumatische Ereignis folgt. Das Trauma wird zum Produkt eines über Jahre hinweg andauernden politischen, sozialen und individuellen Prozesses, der auch die nachfolgenden Generationen noch erfassen kann.

Unter den zahlreichen weiteren Schriften Hans Keilsons sind insbesondere sein Gedichtband Sprachwurzellos (1963), sowie die vielfältigen, in dem Band Wohin die Sprache nicht reicht (1998) zusammengefassten Essays zu nennen.

Hans Keilson war Präsident des Exil-PEN, ist Träger des Bundesverdienstkreuzes, Ehrendoktor der Universität Bremen (ebenso wie die Sozialforscherin (Marie Jahoda) und Mitglied in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Er lebt und arbeitet in Bussum bei Amsterdam.


 Im Frühjahr 1933 erschien im Verlag S. Fischer der erste Roman des gerade 24 Jahre alten Autors Hans Keilson in welchem er unter dem Titel „Das Leben geht weiter“ (s)eine Jugend in der Weimarer Republik, die wirtschaftliche  und die Bedrohung durch zunehmenden Antisemitismus in einer kleinen Stadt im Deutschland der Zwischenkriegszeit festhält. Die Fortsetzung „Der Tod des Wiedersachers“ – in der Emigration in den Niederlanden entstanden – konnte erst Jahrzehnte später 1959 erscheinen. Dazwischen lagen ebenso entbehrungs- und spannungsreiche Jahre des Exils und des Lebens in der „Illegalität“.  Voraus ging zunächst ein 1928 begonnenes 1934 zwar noch mit dem Staatsexamen abgeschlossenes Studium der Medizin – das er sich u.a. als Musiker finanzierte –  dem 1934 unmittelbar die Einschränkung der beruflichen und publizistischen Möglichkeiten folgte. Zunächst noch als Sportlehrer an den jüdischen Gemeinden in Berlin tätig emigrierte Hans Keilson 1936  nach den Niederlanden, wo er einerseits seine beruflichen wie literarischen Tätigkeiten fortführte, später mit falschen Papieren in der Illegalität, ab 1943 als Arzt für die niederländische Untergrundbewegung tätig war.  Daneben entstanden zunächst noch Zeitschriften in den Niederlanden („De Gemenschaap“, „Castrum Peregrini“) unter Pseudonym erscheinende Gedichte und die „Komödie in Moll“, 1947 bei Querido in Amsterdam erstmals erschienen und in welcher Keilson mit psychologischem Scharfsinn die Zeit der deutschen Besetzung der Niederlande zum Thema macht.  Nach dem Krieg gehört Hans Keilson zu den Mitbegründern von „Ezrat Hajeled“ einer Organisation zur Betreuung jüdischer Kriegswaisen in den Niederlanden. Nach einem niederländischen Studienabschluss beginnt Hans Keilson 1951 eine über fünfzigjährige Tätigkeit als Psychiater und Psychoanalytiker in Bussum. Es folgen unzählige in Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit stehende wissenschaftliche Publikationen, darunter sein 1979 veröffentlichtes (Haupt-) Werk über „sequentielle Traumatisierung“ (bei verfolgten Jugendlichen), seinem eigentlichen „Lebensthema“. Daneben entsteht ein literarisches Werk, welches „sein“ Verlag S. Fischer 2005 in zwei Bänden mit den Gedichten und „sämtlichen Romanen und Erzählungen“ herausgibt.


Neben seiner medizinisch-wissenschaftlichen Tätigkeit galt Hans Keilsons Interesse und Sorge immer und vornehmlich der Sprache seines Geburtslandes  in welcher er sowohl alle seine wissenschaftlichen wie literarischen Werke schrieb. Noch in einer seiner letzten Publikationen zu eine Anthologie des PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland (Exil-Pen), dem Keilson über vierzig Jahre – zeitweise Mitte der 80er Jahre als dessen Präsident – angehört, beschäftigt ihn einerseits dieses Verhältnis zur Sprache des Herkunftslandes ebenso wie er seines ersten Lektors und „Entdeckers“ beim Verlag S. Fischer, des Lyrikers Oskar Loerke gedenkt. „Da steht mein Haus“ hat Hans Keilson seine vor kurzem erschienenen Lebenserinnerungen gennannt, in welchen er sich u.a. noch einmal seiner Kindheit und Jugend im Land seiner Herkunft und Sprache erinnert.


Hans Keilson wurde mit Preisen und Ehrungen ausgezeichnet, darunter der Moses Mendelssohn Medaille und dem „Johann Heinrich Merck Preis“ der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung für wissenschaftliche Prosa. Seit vielen Jahren führten Reisen Hans Keilson regelmässig auch zu Vorträgen und Lesungen und einem zunehmend grösseren Bekanntenkreis  in die Schweiz (wo er besonders auch die Möglichkeit zum Besuch der Zürcher Oper schätzte). 1909 in Freienwalde an der Oder geboren, ist Hans Keilson 101  Jahre alt am 31. Mai in Bussum in den Niederlanden gestorben.


Literatur:

Hans Keilson: Das Leben geht weiter.
Eine Jugend in der Zwischenkriegszeit,
Fischer Taschenbuch, Frankfurt

ders.: Komödie in Moll,
Fischer Taschenbuch, Frankfurt

ders.: Der Tod des Widersachers,
Fischer Taschenbuch, Frankfurt

ders.: Sprachwurzellos,
Edition Literarischer Salon, Giessen

ders.: Einer Träumenden,
Edition Literarischer Salon, Giessen

ders.: Sieben Sterne
Gedichte und Geschichten
J. Ricker´sche Universitätsbuchhandlung,
Gießen 2003, ISBN 3925740287,

ders.: Sequentielle Traumatisierung. Deskriptiv-klinische
und quantifizierend-statistische follow-up
Untersuchung zum Schicksal der jüdischen
Kriegswaisen in den Niederlanden,
Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart

ders.: Wohin die Sprache nicht reicht. Essays – Vorträge –
Aufsätze. 1936-1996, J. Rickersche Universitäts-
buchhandlung, Edition Literarischer Salon, Giessen

Dierk Juelich (Hg.): Geschichte als Trauma.
Festschrift für Hans Keilson zu seinem 80. Geburtstag,
Nexus Verlag, Frankfurt

Marianne Leuzinger-Bohleber / Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Hg.): „Gedenk und vergiß – im Abschaum der Geschichte…“ Keilson. Trauma und Erinnern. Hans Keilson zu Ehren. Edition Diskord, Tübingen 2001. ISBN 3892957061


Links (deutsch):

http://www.bbpp.de/altaufgelesen/keilson121299.htm

http://www.groene.nl/1995/01_04/keilso.html

http://www.faz.net/s/Rub79A33397BE834406A5D2BFA87FD13913/Doc~E59686647BA8F4C978462A6A01B597D0D~ATpl~Ecommon~Scontent.html

http://www.fasena.de/archiv/keilson.htm

http://www.perlentaucher.de/buch/16533.html

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=3660&ausgabe=200106

http://www.deutsches-filminstitut.de/f_films/film/f004822.htm

http://www.faz.net/s/Rub79A33397BE834406A5D2BFA87FD13913/Doc~E59686647BA8F4C978462A6A01B597D0D~ATpl~Ecommon~Scontent.html

http://www.uni-muenster.de/HausDerNiederlande/Zentrum/Projekte/NiederlandeNet/D-NL/05-10


International:

http://www.groene.nl/1995/01_04/keilso.html

http://www.holocaustechoes.com/4lempp.html

Die Kommentare sind deaktiviert.