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Meitner, Lise

H.A.M. 0

Lise (Elise) Meitner
Physikerin


Geb. 17.11.1878 (lt. Geburtenreg. d. IKG Wien; L. M. gab später stets den 7. 11. als Geburtstag an) in Wien/ Österreich-Ungarn
Gest. 27.10.1968 in Cambridge/ Großbritannien


Lise Meitner„Natürlich kann die Wissenschaft uns keine Richtlinien für unser Handeln als Individuum und als Mitglied einer kleineren oder größeren Gemeinschaft geben. Aber sie kann in den Menschen Eigenschaften entwickeln, die ihn besser geeignet machen, sein Verhalten nach ethischen Grundsätzen zu orientieren.
Die tiefe Freude an der reinen Erkenntnis kann ihm gewissermaßen größere und richtigere Maßstäbe gegenüber allem Geschehen geben und ihn vor kleinlicher Einseitigkeit schützen. Die reine Wissenschaft kann Menschen in dieser Weise beeinflussen; ich behaupte nicht, daß sie es immer tut.
Wenn trotzdem die technischen Fortschritte die Menschen in fast unlösbare Schwirigkeiten verwickelt haben, so liegt das nicht an dem ‚bösen Geist‘ der Wissenschaft, sondern daran, daß wir Menschen weit davon entfernt sind, das schon von den Griechen angestrebte ‚höhere Menschentum‘ erreicht zu haben.“

(Lise Meitner) (1)


Die Tochter des Rechtsanwalts Philipp Meitner und seiner Frau Hedwig (geb. Skowran) wird – obgleich beide Eltern aus jüdischen Familien stammen -, ebenso wie ihre Geschwister protestantisch getauft. 1901 legt sie ein externes Abitur ab – eine andere Möglichkeit steht Frauen zum damaligen Zeitpunkt nicht offen – und absolviert ihr LehrerInnen-Examen für Französisch.

Bis 1906 studiert Lise Meitner an der Universität Wien Mathematik, Physik und Philosophie und promoviert (als zweite Frau überhaupt) mit einer Arbeit über die Wärmeleitung inhomogener Körper.


Als Lise Meitner 1907 nach Berlin wechselt, um bei Max Planck zu hören, dürfen Frauen – was sie jedoch zu diesem Zeitpunkt wohl nicht weiß – in Preußen noch nicht studieren. Planck selbst hatte einige Jahre zuvor diese Diskriminierung von Frauen mit den Worten „Amazonen sind auch auf geistigem Gebiet naturwidrig“ kommentiert, allerdings zugleich auch für Ausnahmen plädiert. Lise Meitner wird von ihm für Vorlesungen in Radiophysik zugelassen und setzt ihre experimentelle Arbeit mit Otto Hahn im chemischen Institut fort. Der Zugang zu den wesentlichen Arbeitsräumen wird ihr jedoch als Frau untersagt.

Meitner und Hahn entdecken 1909 zusammen den radioaktiven Rückstoß bei der Aussendung von Alpha-Strahlen und können ihre Zusammenarbeit ab 1912 am neugegründeten Institut für Chemie der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin fortsetzen, wobei Lise Meitner ihre Forschungstätigkeit lediglich als Gast und unbezahlt ausüben darf.


Lise MeitnerAls erste Frau bekommt sie im selben Jahr eine Stelle an der Universität als Assistentin bei Planck in Berlin und wird 1913 wissenschaftliches Mitglied im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie. Während des Ersten Weltkriegs arbeitet die Physikerin vorübergehend als Röntgenschwester in einem Frontlazarett und kann erst 1917 ihre Zusammenarbeit mit Otto Hahn in Berlin fortsetzen. Beide entdecken im Jahre 1918 das chemische Element Nr. 91 (Protactinium). Lise Meitner übernimmt die Leitung der radiophysikalischen Abteilung am Kaiser-Wilhelm-Institut, widmet sich in der Folgezeit vor allem der Untersuchung von Alpha-, Beta- und Gamma-Strahlung und den damit verbundenen Kernprozessen und erwirbt mit diesen Forschungen internationale Reputation.

Erst mit Beginn der Weimarer Republik können Frauen eine wissenschaftliche Laufbahn an einer Hochschule einschlagen. Lise Meitner habilitiert sich 1922 in Physik und wird 1926 außerordentliche Professorin in Berlin.

 


Nach der Machtübernahme der Nationalsozialistischen 1933 wird Professor Lise Meitner die Lehrerlaubnis entzogen. Gemeinsam mit Otto Hahn und Fritz Straßmann beginnt sie ab 1934 mit ihren Forschungen zu Transuraniumelementen.

Zusammen mit dem Physiker Max Delbrück veröffentlicht sie 1935 ein Buch mit dem Titel „Der Aufbau der Atomkerne“. Im selben Jahr schlägt Max Planck Otto Hahn und Lise Meitner für den Chemie-Nobelpreis des kommenden Jahres vor. Allein von 1932 bis 1938 finden sich in Meitners Publikationsliste an die 30 Artikel. 1936 setzt Max von der Laue Lise Meitner allein auf die Vorschlagsliste für den Nobelpreis des nächsten Jahres, wohl auch in der Absicht, die Jüdin mit dieser höchsten wissenschaftlichen Auszeichnung zu schützen. Als Österreicherin könnte sie den Preis noch in Empfang nehmen – allen Deutschen ist dies mittlerweile durch die Nationalsozialisten verboten.

Lise Meitner kann an in ihrem Institut zwar noch ungestört arbeiten, darf jedoch ab 1936 nicht mehr öffentlich auftreten.

Als österreichische Staatsbürgerin ist sie nach dem „Anschluß“ Österreichs von den Nürnberger Rassegesetzen betroffen und flieht im Juli 1938 über die Niederlande nach Schweden, wo sie eine bescheidene Anstellung am Nobel-Institut für Physik findet


„Mir geht es sehr wenig gut. Ich habe hier eben einen Arbeitsplatz und keinerlei Stellung, die mir irgendein Recht auf etwas geben würde. Versuche Dir einmal vorzustellen, wie das wäre, wenn Du statt Deines schönen eigenen Instituts ein Arbeitszimmer in einem fremden Institut hättest, ohne jede Hilfe, ohne alle Rechte…Und daß ich alle die Kleinarbeiten machen muß, die ich 20 Jahre lang nicht gemacht habe. Natürlich ist es meine Schuld; ich hätte viel besser und viel früher mein Fortgehen vorbereiten müssen, hätte von den wichtigsten Apparaten wenigstens Zeichnungen haben müssen etc.“

(Lise Meitner am 5. Februar 1939 in einem Brief an Otto Hahn aus ihrem Stockholmer Exil) (2)


Im Herbst 1938 haben fast zwei Drittel aller Atomforscher das Deutsche Reich verlassen. In Berlin wird von den Nazis die Ausstellung „Der ewige Jude“ eröffnet. Unter den retuschierten Portäts, die zum Judenhaß anstacheln sollen, hängt neben einem Photo von Lise Meitner auch ein Bild ihres Kollegen Otto Hahn. Auf den Protest des Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft hin wird Hahns Bild entfernt. Mit 60 Jahren steht Lise Meitner fast vor dem Nichts, ohne ihr Institut in Berlin und ihre wissenschaftliche Arbeit. Aus einer angesehenen Wissenschaftlerin mit internationalem Ruf ist ein Flüchtling geworden, der in einem Hotelzimmer und aus dem Koffer leben muß. Das Geld reicht kaum für das Nötigste. Ihre Familie ist mittlerweile aus Österreich geflohen und lebt zum Teil in England, den Vereinigten Staaten und Schweden.

Im Dezember 1938 gelingt Hahn und Straßmann die Kernspaltung von Uran und Thorium. Eine Entdeckung, zu der nicht zuletzt Lise Meitner durch schriftliche Anregungen aus dem schwedischen Exil maßgeblich beigetragen hat. 1939 liefert sie, gemeinsam mit ihrem Neffen Otto Robert Frisch, die erste theoretische Deutung der Kernspaltung. Sie, die von ihrem Kollegen Fritz Straßmann stets als Mitentdeckerin der Kernspaltung angesehen wird, geht bei der Verleihung des Nobelpreises aber dann schließlich leer aus: 1945 wird Otto Hahn für den Nachweis der Uranspaltung allein der Chemie-Nobelpreis zugesprochen. Lise Meitner kommentiert dies in einem Brief wie folgt:

„Daß Hahn den Nobelpreis für Chemie voll verdient hat, ist kein Zweifel. Aber…ich bin doch wirklich nicht nur Mitarbeiterin von Hahn gewesen, ich bin ja Physikerin und habe doch ein ein paar ganz ordentliche physikalische Sachen gemacht.“(3)


Am 6. August 1945 wirft ein amerikanischer Bomber die erste Atombombe über der japanischen Stadt Hiroshima ab, wenige Tage später meldet die „New York Herald Tribune“, daß die mathematischen Berechnungen von Lise Meitner eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der Atombombe gespielt haben, und schon bald nennt man sie die „Mutter der Atombombe“. Den vielfältigen Gerüchten und Anwürfen begegnet Lise Meitner mit den Worten: „Weder Professor Hahn noch ich haben den leisesten Anteil an der Entwicklung der Atombombe gehabt!“ (4)

1946 folgt Lise Meitner einer Einladung des ebenfalls aus Österreich emigrierten Physiker-Kollegen Dr. Karl Herzfeld für Gastvorlesungen an der Katholischen Universität in Washington.
Im selben Jahr noch wird sie von us-amerikanischen Journalistinen zur „Frau des Jahres“ gewählt.

1947 hat sie eine Forschungsprofessur an der Technischen Hochschule von Stockholm inne und erhält 1955 den Otto-Hahn-Preis.

Nach ihrer Emeritierung übersiedelt die Physikerin 1960 ins britische Cambridge und besucht 1964, anläßlich eines Kolloquiums der Physikalischen Gesellschaft der DDR, zum letzten Mal Berlin.

1966 wird Lise Meitner – gemeinsam mit Otto Hahn und Fritz Straßmann – der Enrico-Fermi-Preis der amerikanischen Atomenergiebehörde verliehen.

Im Sommer 1968 erliegt Otto Hahn einem Herzversagen. Lise Meitner wird ihn nur um drei Monate überleben und stirbt wenige Tage vor ihrem 90. Geburtstag in einem Pflegeheim. Ihre letzte Ruhe findet die große alte Dame der Atomphysik in einem südenglischen Kirchgarten neben ihrem jüngsten Bruder.

Heute ist das künstliche radioaktive Element mit der Ordnungszahl 109 ihr zu Ehren als Meitnerium benannt.


*) entnommen aus:
Charlotte Kerner:
„Lise, Atomphysikerin – Die Lebensgeschichte der Lise Meitner“,
Beltz & Gelberg, Weinheim 1986,
ISBN 3-407-80664-7,
(1): S. 122
(2): S. 95,
(3): S. 94 und
(4): S. 103


Literatur:

Anne Hardy / Lore Sexl:
Lise Meitner

Originalausgabe
160 S., Zahlr. Bilddokumente, Tb, ISBN 3-499-50439-1


Links (deutsch):

http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/MeitnerLise

http://www.hmi.de

http://www.niester.de/p_natwis/lise_meitner/lise_meitner.html

http://www.suppose.de/texte/meitner.html

http://www.univie.ac.at/biografiA/daten/text/bio/meitner.htm

http://de.wikipedia.org/wiki/Lise_Meitner

http://www.rli.at/Seiten/natwi/bombe.htm


International:

 

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