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Raschèr, Sigurd Manfred

H.A.M. 0

Sigurd Manfred Raschèr
Saxophonist

Geb. 15.5. 1907 in Elberfeld (heute Wuppertal)
Ges. 25.2. 2001 in Shushan, NY/ USA


Selten hat die Emigration eines große Künstlers zu so vielen Verwirrungen geführt wie bei diesem Pionier des Saxophons: In internationalen Nachschlagewerken, Printmedien und im Internet wird er mal als deutscher, mal als amerikanischer oder deutschamerikanischer, amerikanisch- schweizer oder dänischer beziehungsweise schwedischer Musiker geführt. Die Gründe dafür sind vielschichtig.


Sicher ist, dass der weltberühmte Saxophonist mit der Hitler-Diktatur, also mit Deutschland, in den Jahren des „Tausendjährigen Reichs“ nichts zu tun haben wollte. „Die Wolken waren ihm zu braun“, sagt seine Tochter Carina, und erzählt, dass ihr Vater, der sieben Sprachen fließend beherrschte, sich über Dänemark und Schweden aus der Heimat abgesetzt hatte. Sigurd Raschèr, zu diesem Zeitpunkt bereits als Virtuose auf dem Saxophon ein international renommierter Musiker, bekam Professuren an den Musikakademien von Kopenhagen und Malmö. Er heiratete 1938 eine junge schwedische Malerin und ging dann in die USA. Die Wurzeln der Familie Raschèr gehen väterlicherseits zurück in den rätoromanischenTeil der Schweiz.


Mit 62 Jahren gründete er das „Raschèr Saxophone Quartett“. Mit dabei seine Tochter Carina, das einzige von vier Kindern von Ann Mari und Sigurd Raschèr, das Musikerin geworden war. Dr. Hans Raschèr, der Vater von Sigurd, war Arzt, die Mutter Hausfrau. Es war eine musische Familie mit Hausmusikabenden, bei denen vor allem die Zither den Ton angab. Der junge Sigurd Raschèr studierte Klavier, später Klarinette an der Musikhochschule Stuttgart bei Prof. Philip Dreisbach, einem zu jener Zeit berühmten Klarinettisten. Das Saxophonspiel brachte sich Sigurd Raschèr selber bei, nachdem ihm jemand gesagt hatte, dass dieses Instrument „über Nacht“ erlernbar sei. Der Stuttgarter (Klarinetten-) Abschlussprüfung fügte der Autodidakt noch selbstbewusst ein Stück auf dem Saxophon hinzu, zum Wohlgefallen seiner Prüfer.


Den Nationalsozialisten galt das Saxophon als „Negerinstrument“. Dabei hatte diesen Klangkörper ein Weißer, genauer: der Belgier Adolphe Sax erfunden und gebaut. Eigentlich hieß er Antoine-Joseph und hätte selber die Solistenlaufbahn einschlagen können, denn er war schon in frühen Jahren ein begnadeter Klarinettist. Sein Vater schon war Instrumentenbauer, der die ungewöhnlichsten Kreationen schuf wie etwa eine Flöte mit 22 Tonlöchern, ein chromatisches Horn oder eine Harfe mit Klaviertastatur. Aber Adolphe Sax, der sich mit dem nach ihm benannten Saxophon unsterblich machte, erfand sogar noch weit mehr Instrumente als der Vater. Von Adolphe stammenden Dutzende Patente und noch mehr Instrumente sowie Erfindungen für Konzertsaalakustik, Eisenbahnsignale oder Beatmungsapparate.


Doch eingegangen in den Musikolymp ist Adolphe Sax mit dem nach ihm benannten Instrument. Dazu beigetragen hat der Nazigegner und Exilant Sigurd Ràscher. Er machte das noch relativ junge Saxophon, das die Jazzer längst zu schätzen gelernt hatten, in der klassischen Musik populär. Seiner Begeisterung (und seinem Können) ist es zu verdanken, dass Solo-Konzerte mit Orchester für das Saxophon entstanden. So schrieben die wichtigsten Komponisten seiner Zeit Stücke Sigurd Raschèr auf den Leib oder besser: auf den Mund. Beispielsweise Paul Hindemith, NS-Opfer und Gegner wie Raschèr. Hindemith war nicht eben ein Fan des Saxophons, aber er dürfte überzeugt gewesen sein von der Virtuosität des Sigurd Raschèr. Für ihn komponierte er 1933, im Jahr der „Machtergreifung“ Hitlers, ein Konzertstück für zwei Saxophone, das jedoch lange in Vergessenheit geriet. Erst 1960 hat es Sigurd Raschèr mit seiner Tochter Carina eingespielt.


Kein Mozart oder Beethoven hätte für das Saxophon komponieren können. Was Wunder, dass nicht nur die Nazis Ressentiments gegen diese neue Art von Musik und das Instrument pflegten, sondern sogar die seriösen Musikkritiker Vorbehalte hatten. Sie reagierten zurückhaltend bis abweisend gegenüber dem – wie sie es nannten – „heulenden Sentiment“ des als „grotesk“ empfundenen Saxophons, das sich plötzlich beim „gemeinen“ Publikum so großer Begeisterung erfreute. Die Situation beschreibt der Musikfachmann Hans-Jürgen Schaal wie folgt:

„„Im 19. Jahrhundert waren Solistenwerke fürs Saxophon kaum mehr als trockene Etüden oder sentimentale Arien: Der große Wurf wurde nicht gewagt, ein Konzert für Saxophon und Orchester nicht einmal versucht. Auch hier half der Jazz, präsentierte das Instrument solistisch in kleinen Besetzungen oder vor ganzen Big Bands und mit Freiheiten des Ausdrucks und der Intonation, die die klassischen Musiker dankbar, wenn auch vorsichtig aufgriffen. Kaum hatten zeitgenössische Komponisten die neuen Ragtime-Tänze in ihren Werken reflektiert – vor allem natürlich in Klavierstücken -, folgte in der Ära des Swing der Einbruch des Solo-Saxophons in die E-Musik. 1923 verwendet es Milhaud in La Création du Monde, 1924 Gershwin in der Rhapsody in Blue, 1928 Ravel im Bolero… 1930 schrieb Schulhoff für den holländischen Virtuosen Jules Hendrik de Vries die Hot-Sonate für Altsaxophon und Klavier. Milhaud schrieb 1937 seine populäre Suite Scaramouche ebenfalls für Altsaxophon und Klavier (oder Orchester); bekannter wurde sie allerdings in der Version für zwei Klaviere und der Orchesterfassung für Benny Goodmans Klarinette. Sigurd Raschèr war es, der durch sein ständiges Werben fürs Saxophon die ersten wirklichen Solo-Konzerte mit Orchester anregte. Der Breslauer Komponist Edmund von Borck (1906-1944) widmete ihm 1932 ein Konzert für Altsaxophon und Orchester (op. 6), ein etwa viertelstündiges Pionierwerk, das Raschèr in Hannover, in Berlin (mit den Philharmonikern unter Eugen Jochum) und in Straßburg (unter Hermann Scherchen) aufführte. Die seriöse Musikkritik reagierte zwiespältig und voller Misstrauen gegenüber dem ‚heulenden Sentiment’ des plötzlich populär gewordenen, als grotesk empfundenen Saxophons.“ (Quelle:
http://www.hjs-jazz.de/heulen.html)


Da die Nationalsozialisten über die gleichgeschalteten Medien schnell die Deutungshoheit über Stammtische und Feuilletons erreichten, das Instrument und ihre Solisten als „artfremd“ denunzierten, emigrierte Sigurd Raschèr bereits 1933 nach Skandinavien, später in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo der Siegeszug des Saxophons durch den Jazz triumphal war.

Vor diesem Hintergrund errang der klassische Musiker Raschèr geradezu einen Popstatus, wie man heute sagen würde: Längst waren ein halbes Hundert Werke für ihn komponiert und erfolgreich aufgeführt worden, darunter Saxophonkonzerte, die heute als Klassiker gelten: Glasunovs „Concerto in Es“ (1934), Iberts „Concertino da Camera“ (1935) und Martins Ballade (1938). Und natürlich hat Sigurd Raschèr auch selber komponiert. Die Geschichte des Saxophons ist eine Erfolgsstory. Vor allem dank Sigurd Raschèr konnte dieses „Retortenkind“ im fortschrittsgläubigen 19. und 20. Jahrhundert Karriere machen, nachdem die Komponisten hellhörig geworden waren.


Für die letzten 50 Jahre sind mehr als 11.000 Kompositionen und Transkriptionen registriert, in denen das Saxophon eine prominente Rolle spielt. Der „Spätstarter“ unter den Instrumenten hat mächtig aufgeholt. Doch welche verschlungene Wege hatte Sigurd Raschèr gehen müssen, ehe es so weit kam: Die USA hatten den Musiker zu Beginn des Zweiten Weltkriegs nach Kuba ausgewiesen. Erst 1941 durfte er wieder einreisen und seine schwedische Familie nachholen. Die amerikanische Staatsbürgerschaft, 1952 erworben, behielt er zeit seines Lebens bei, obwohl er ohne Groll schon Ende der 40er Jahre wieder in (West-)Deutschland Konzerte gab.


Eine Sammlung von Zeitungs- Ausschnitten über Konzerte Sigurd Raschèrs aus dem Jahr 1958 können Sie hier herunterladen (PDF)


Autor:

Hajo Jahn


Links (deutsch):

http://freenet-homepage.de/S.Waldvogel/not.ph.htm


International:

http://en.wikipedia.org/wiki/Sigurd_Rasch%C3%A8r

http://www.classicsax.com/asi/smrbio2.pdf

http://www.answers.com/topic/sigurd-rascher

http://www.dornpub.com/saxophonejournal/sigurdrascher.html

http://music.mdickinson.com/SMR_obit.htm

http://www.johnedwardkelly.de/texts/rascher.pdf

http://usuarios.lycos.es/miguel_conde/saxofonistas/rascher.html

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